Vom Multilateralismus zum Bilateralismus: Das APEC-Treffen in Sydney im September 2007 From Multilateralism to Bilateralism: The APEC-Meeting in Sydney, September 2007 ASEAS 1 (1) Vom Multilateralismus zum Bilateralismus: Das APEC-Treffen in Sydney im September 2007 From Multilateralism to Bilateralism: The APEC-Meeting in Sydney, September 2007 Alfred Gerstl Dr. Alfred Gerstl ist ASEAS-Chefredakteur und Forscher am Centre for Policing, Intelligence and Counter Terrorism (PICT), Macquarie University, Sydney, Australien. ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasienwissenschaften / Austrian Journal of South-East Asian Studies, 1 (1), 2008 SEAS - Gesellschaft für Südostasienwissenschaften - www.SEAS.at Das Gipfeltreffen der Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) in Sydney vom 7.–9. September 2007 bedeutete eine Art Heimkehr, hatte doch das allererste Treffen 1989 in Canberra stattgefunden. Es war nämlich Australien, das mit starker Unterstützung Japans das multilaterale Wirtschafts- und Handelsforum ins Leben gerufen hatte. Doch auf der anderen Seite markierte der Sydney Gipfel gleich in doppelter Hinsicht einen Abschied: Die ursprünglich als zentral betrachteten Handelsfragen rangierten ganz unten auf der Agenda, und bilaterale Abkommen zwischen den APEC-Partnern ersetzten multilaterale. In Erinnerung wird das APEC-Gipfeltreffen vom September 2007 den EinwohnerInnen Sydneys in erster Linie wegen des Verkehrschaos bleiben, das die Schutzvorkehrungen für die 2� Staats- und Regierungschefs aus Asien, Ozeanien, Nord- und Lateinamerika in Australiens einziger global city verursacht haben. Nicht nur verschwand die Innenstadt für eine Woche hinter einem drei Meter hohen Zaun – sogar das abschlieβende Feuerwerk vor dem Opera House fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Selbst GipfelteilnehmerInnen wunderten sich über das Ausmaß an polizeilichen Kontrollen, welche die nahezu obsessiv mit tatsächlichen und (oft sehr) vermeintlichen Bedrohungen der nationalen Sicherheit befasste konservativ-nationale Regierung angeordnet hatte. 86 ASEAS 1 (1) An greifbaren politischen oder wirtschaftlichen Ergebnissen brachte der Gipfel dagegen wenig. Doch die Erwartungshaltung ist bereits im Vorfeld sehr niedrig gewesen, da auf internationaler Ebene die Freihandelsgespräche im Rahmen der Doha-Runde der Welthandelsorganiation (WTO) nach wie vor blockiert sind. Zum anderen scheint US-Präsident Bush politisch ganz vom Irak-Fiasko vereinnahmt zu werden. Weiters durfte nicht erwartet werden, dass die Assoziation südostasiatischer Nationen (ASEAN) vor ihrem Dezember-Gipfel weitreichenden handelspolitischen Liberalisierungen zustimmen würde. Und schlieβlich lieβen die bevorstehenden australischen Parlamentswahlen erwarten, dass die Regierung eher einen Foto-Gipfel als offene Kontroversen über ambitionierte, aber umstrittene Zukunftsprojekte anstrebte. Zwar bildeten Handelsfragen ein Traktandum, doch auf mehr als ein Bekenntnis zur Unterstützung der Doha-Verhandlungen konnten sich die Staatsmänner und -frauen, die über 40 Prozent der Weltbevölkerung und fast 60 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren, nicht einigen. Am konkretesten scheint noch die Einrichtung einer APEC Policy Support Unit, welche einen Schritt in Richtung Institutionalisierung des Forums bedeutet. Wie groβ deren Spielraum sein wird, ist jedoch offen. Erwartungsgemäß spielte der Krieg gegen den Terrorismus nur eine untergeordnete Rolle, da die Vereinigten Staaten in Ostasien traditionell eine Politik des Bilateralismus verfolgen. Abkommen mit Schlüsselpartnern wie Singapur, Malaysia, Thailand oder den Philippinen über verstärkte Zusammenarbeit und Informationsaustausch von Justiz- und Sicherheitsorganen erscheinen der Bush-Administration erfolgversprechender als ein umfassender regionaler Ansatz. Angesichts des bestehenden Erweiterungsmoratoriums war es nur konsequent, interessierten latein- und mittelamerikanischen oder asiatischen Nationen, allen voran Indien, weiterhin die Mitgliedschaft zu verwehren. Die politisch wichtigste Vereinbarung betrifft den Klimaschutz. Erstmals akzeptierten die weltgröβten Emittenten von Treibhausgasen Washington, Peking und Jakarta sowie Australien in der Sydney Declaration Richtwerte für den CO 2 -Ausstoss für ein Post-Kyoto-Abkommen. Doch konkrete quantitative Zielvorgaben nannten sie keine – dies sei Aufgabe der kommenden Klimakonferenz der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) in Bali im Dezember 2007, erklärten die PolitikerInnen. Zusätzlich wurde das Bekenntnis zu „mutigen“ Klimaschutzmassnahmen durch die Verknüpfung von Klimaschutz mit Wirtschaftswachstum und der Sicherung von Energieressourcen relativiert. Der Fokus liegt eindeutig auf der Steigerung der Energieeffizienz durch neue Technologien, und auch die Nuklearenergie leistet dazu laut der Declaration einen Beitrag. Insgesamt ist die Declaration nicht mehr als eine auf die nationalen Wählerschaften gerichtete PR-Aktion, die von KlimaschutzaktivistInnen sofort entsprechend vehement kritisiert wurde. 87 ASEAS 1 (1) Von konkreten Resultaten im Zusammenhang mit dem APEC-Treffen ist dennoch zu berichten. Allerdings kamen diese im Vorfeld oder am Rande des Gipfels zustande – und dann auch noch auf bilateraler Ebene. Beispielsweise hatte der russische Staatschef Putin vor seiner Landung in Sydney Zwischenstation in Jakarta gemacht, wo er mit seinem Amtskollegen Yudhoyono einen Vertrag über einen Kreditrahmen in der Höhe von einer Milliarde US-Dollar für russische Rüstungslieferungen – U-Boote, Panzer und Helikopter – vereinbarte. Doch die lukrativsten Abkommen schloss ohne Zweifel Australien. So unterzeichnete Premierminister Howard mit Putin einen Vertrag zur Lieferung von Uran an Russland. China erhält bereits jetzt, Indien demnächst australisches Uran für seine (zivile) Nuklearindustrie. In den Schatten gestellt werden alle Vereinbarungen jedoch vom Abkommen, das der australische Woodside-Konzern mit PetroChina über die Lieferung von verflüssigtem Gas (Liquefied Natural Gas, LNG) in der Höhe von �0 bis �8 Milliarden US-Dollar abschloss – der bislang lukrativste Exportdeal für ein australisches Unternehmen. Bezeichnenderweise hatte der chinesische Staatschef Hu Jintao seinen Aufenthalt auf dem fünften Kontinent im rohstoffreichen Westaustralien begonnen und eine Reihe von chinesischen Wirtschaftsführern in seinem Tross. Dazu passte, dass – nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit – Australiens neuesten Handelsstatistiken zeigten, dass China erstmals Japan als Australiens gröβten Handelspartner abgelöst hatte. Der Rohstoffhunger des Reiches der Mitte lieβ Australiens Wirtschaft in den letzten Jahren stärker wachsen als den OECD-Durchschnitt. Die Wirtschaft läuft zwar auf Hochtouren, der Export von Ressourcen wie Kohle, Eisenerz, Gold oder Uran boomt, und die Arbeitslosenrate beträgt lediglich 4,� Prozent, doch die steigenden Zinsen belasten das Volk von HausbesitzerInnen stark, weshalb sich die Konservativen nicht auf ihren wirtschaftlichen Lorbeeren ausruhen können. Allerdings bezahlt Canberra für die handelspolitische Abhängigkeit von China einen zunehmend hohen politischen Preis. Während Australien gegenüber den kleineren Staaten in Südostasien, aber auch gegenüber Indonesien, zu dem traditionell gespannte Beziehungen bestehen, Menschenrechtsverletzungen oder den Mangel an Demokratie und good governance beklagt, gibt man sich gegenüber der Regierung in Peking auffallend kleinlaut. Auch Kevin Rudd, der Labor-Führer und mutmaβliche neue Regierungschef, sprach mit Hu Jintao in Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen des Regimes nicht Klartext – obwohl er ausgezeichnet Mandarin beherrscht. Bezeichnenderweise beeilte sich Howard auch, eine anti-chinesische Stossrichtung der im März 2007 geschlossene sicherheitspolitische Quasi-Allianz mit Japan in Abrede zu stellen. Dieses bei einem Treffen mit dem japanischen Ministerpräsidenten am Rande des APEC-Gipfels konkretisierte Abkommen sieht verstärkte Kooperationen bei der Wahrung der regionalen 88 Alfred Gerstl - Vom Multilateralismus zum Bilateralismus ASEAS 1 (1) Sicherheit vor, konkret will man bei der Bekämpfung des Terrorismus und bei friedenserhaltenden Maβnahmen zusammenarbeiten, den Informationsaustausch intensivieren und gemeinsame Manöver durchführen. Abgesehen von den jeweiligen bilateralen Abkommen mit Washington begründet dieser Quasi-Pakt für beide Seiten die engste bilaterale sicherheitspolitische Partnerschaft. Bereits gibt es Spekulationen, dass sie sich zu einem Bündnis zwischen den USA, Japan, Australien und Indien entwickeln könnte – mit dem unausgesprochenen Ziel, China strategisch einzudämmen. So selbstverständlich es heute scheint, dass der fünfte Kontinent – zumindest in ökonomischer Hinsicht – Teil Ostasiens ist, so heftig umstritten war die Ausrichtung an Ostasien zur Zeit der Gründung von APEC. Es war die damalige Labor-Regierung, namentlich der Schatzkanzler und spätere Ministerpräsident Paul Keating, die ein Forum im asiatisch-pazifischen Raum schaffen wollte, das erstmals einen strukturierten und regelmäβigen Austausch mit den ostasiatischen PolitikerInnen – unter Einschluss der USA – ermöglichen sollte. Dagegen betonen die Konservativen traditionell das Primat der sicherheitspolitischen Allianz mit den Vereinigten Staaten, und Premierminister Howard fand nie einen unverkrampften Zugang zu Ostasien. Ende der �980er Jahre existierten dank der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN in Südostasien, nicht jedoch in Nordostasien multilaterale Strukturen. Nach dem Ende des Kalten Krieges bestand jedoch ein Bedarf nach kooperativen Mechanismen, drohten doch auch in dieser Weltregion durch den Ost-West-Gegensatz eingedämmte Konflikte aufzubrechen. Ein Mindestmaß an regionaler Einigkeit war auch nötig, um als ostasiatischer Block in einer tripolaren Weltordnung eine relevante Rolle spielen zu können: Ende der �980er Jahre schien der internationale Trend eindeutig in Richtung der Bildung von (Wirtschafts-)Blöcken zu gehen, wie das EU-Binnenmarktprojekt oder die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA belegten. Ob Australien – kulturell fest im Westen verankert und zusehends stärker amerikanisiert – politisch und wirtschaftlich zu Ostasien gehört, war in den achtziger Jahren auch in einigen südostasiatischen Ländern umstritten. Speziell Malaysia und Indonesien standen engeren Beziehungen mit Australien (und den USA) kritisch gegenüber. Anfang der neunziger Jahre lancierte der damalige malaysische Ministerpräsident Mahathir Mohammed gar die Idee einer binnenorientierten ostasiatischen Wirtschaftsgemeinschaft (East Asian Economic Grouping, EAEG) unter Ausschluss der USA, Australiens und Neuseelands. Doch selbst Tokio, dem Mahathir die Führungsrolle in diesem Block eingeräumt hatte, lehnte – auch, aber nicht nur – auf Druck Washingtons ab. Dagegen war APEC von Anfang an als ein multilaterales, offenes und nicht-diskriminierendes Forum gedacht, in dem westliche und östliche, Industrie- und Entwicklungsländer im Geiste von Handelsliberalisierungen zusammenarbeiten sollten. Geografisch ist die Asia-Pacific Economic Cooperation beim Gipfeltreffen in Sydney im 89 ASEAS 1 (1) September 2007 zwar zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Politisch haben sich die Staats- und Regierungschef aber von der ursprünglichen Zielsetzung eines multilateralen Vorgehens meilenweit entfernt. Mit 2� Mitgliedern scheint die de facto nicht-institutionalisierte APEC einfach zu groβ geworden zu sein – und zu viele zu unterschiedliche Themen finden sich auf der Traktandenliste. Für APECs eigentliche raison d‘être – die Vereinbarung multilateraler Handelsliberalisier- ungen in der Region Asien-Pazifik – ist der Spielraum hingegen sehr klein geworden, geht der internationale Trend doch eindeutig in Richtung bi- oder subregionaler Freihandelsvereinbarungen, wie das China - ASEAN Free Trade Agreement (CAFTA) oder Australiens Abkommen mit den USA oder Singapur vorzeigen. Auf regionaler Ebene scheint es nach der Einigung beim Bogor- Gipfel �994 auf das Ziel, bis 20�0 zwischen den industrialisierten, bis 2020 auch zwischen den Entwicklungsländern einen weitgehenden Zollabbau (auf unter 5 Prozent) zu verwirklichen, kein visionäres Projekt mehr zu geben. Doch solange nicht eine neue Generation von politischen FührerInnen APEC auf einen neuen Fokus und eine innovative, zukunftsgerichtete Politik, etwa im Bereich Entwicklung, Umwelt oder Klimaschutz, einschwört, scheint der Wert von APEC nur darin zu bestehen, als Forum für den Abschluss bilateraler wirtschaftlicher und politischer Abkommen zu dienen. 90 Alfred Gerstl - Vom Multilateralismus zum Bilateralismus