Callabero-Anthony, Maly/Emmers, Ralf und Amitav Acharya (Hrsg.) (2006): Non-traditional Security in Asia: Dilemmas in Securitisation ASEAS 1 (1) 95 Callabero-Anthony, Maly/Emmers, Ralf und Amitav Acharya (Hrsg.) (2006): Non-traditional Security in Asia: Dilemmas in Securitisation. London: Ashgate. ISBN 0-7546-4701-3. 257 Seiten. Rezension / Review ALFRED GERSTL ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasienwissenschaften / Austrian Journal of South-East Asian Studies, 1 (1), 2008 SEAS - Gesellschaft für Südostasienwissenschaften - www.SEAS.at Seit Ende des kalten Krieges hat sich der Sicherheitsbegriff im wissenschaftlichen wie politischen Sprachgebrauch grundlegend gewandelt: Wurde “Sicherheit” von den Anfängen der Disziplin Internationale Beziehungen (IB) nach dem Ersten Weltkrieg bis in die frühen �980er Jahre rein militärisch verstanden, so erweiterte die Friedensforschung vor mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten den Fokus um friendens- und entwicklungspolitische Fragestellungen. Militärische Bedrohungen der nationalen Sicherheit, also gewaltsame Konflikte und Kriege zwischen zwei oder mehr Staaten, spielen in der Forschung nach wie vor eine wesentliche Rolle, doch im letzten Jahrzehnt hat sich die Wissenschaft der Internationalen Beziehungen verstärkt mit sogenannten nicht-traditionellen, also nicht-militärischen, Konflikten auseinandergesetzt. Der Sicherheitsbegriff erfuhr somit sowohl eine konzeptionelle Erweiterung als auch eine analytische Vertiefung, etwa in Form der Konzepte Regime-, wirtschaftliche, gesellschaftliche, Energie-, Umwelt- oder menschliche Sicherheit. Ein besonders vielversprechender Forschungsansatz stammt von der Copenhagen School. Die prominentesten Vertreter dieses in seiner Vielfältigkeit nicht zu unterschätzenden ASEAS 1 (1) konstruktivistischen Konzeptes sind Barry Buzan, Ole Wæver und Jaap de Wilde. Ihr spezielles Interesse gilt der Frage, wie ein Thema im politischen, gesellschaftlichen oder medialen Diskurs von einem politischen Problem in die sicherheitspolitische oder militärische Arena erhoben wird – oder, umgekehrt, diesen Rang verliert (Securitization respektive Desecuritization). Buzan, Wæver und Jaap de Wilde verstehen unter Sicherheit eine existenzielle Bedrohung des Staates, wobei sie fünf Kategorien von Sicherheit postulieren: eine militärische, ökologische, ökonomische, gesellschaftliche und politische. Eine Bedrohung ist für sie dann “sekuritisiert” worden, wenn diese von der Lobby-Gruppe der Allgemeinheit oder einer bestimmten (betroffenen) Gruppe erfolgreich als existenziell gefährlich präsentiert wurde, zu deren Bewältigung es rascher Maβnahmen ausserhalb der angestammten politischen Prozesse bedarf – allerdings, dies ist ein zentraler Punkt, innerhalb der angestammten staatlichen Strukturen, mit der Regierung als dominanter Akteurin. Die diesem Ansatz nachgesagten theoretischen und empirischen Lücken schlieβen will der von Mely Callabero-Anthony, Ralf Emmers und Amitav Acharya herausgegebene Sammelband “Non-traditional Security in Asia: Dilemmas in Securitisation”. Asien ist als regionaler Schwerpunkt bestens gewählt, ist hier doch das umfassende, traditionalle und nicht-militärische Bedrohungen einschließende Sicherheitskonzept (“comprehensive security”) besonders weit verbreitet. Am deutlichsten zeigt dies die auf die Gewährleistung des soziökonomischen Wachstums und damit der Regime-Legtimität ausgerichtete chinesische Auβenpolitik. Zentral ist für sie die Sicherung des Zugangs zu externen Rohstoffen und Energieträgern. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich in Asien, wo die zwischenstaatlichen Beziehungen in der Regel mit realistischen Theorienansätzen untersucht werden, auch der Human Security- Zugang. Dieser richtet den Blick auf politische, wirtschaftliche, umweltpolitische und vor allem entwicklungspolitische Bedrohungen der Individuen, ohne Einfluss und Verantwortung des Staates zu leugnen. Ziel dieses Buches ist nicht nur, nicht-traditionelle sicherheitspolitische Krisen zu untersuchen, sondern zur Theoriebildung des Ansatzes der Copenhagen School beizutragen. Verschiedene theoretische Mängel machen Callabero-Anthony und Emmers in ihrer Einleitung geltend. An erster Stellen nennen sie das Versäumnis, zu untersuchen, aus welchen Gründen überhaupt ein Thema diskursiv zu einer sicherheitspolitischen Bedrohung gemacht wird. Es geht mithin um die politischen Motive und Interessen, welche die unterschiedlichen Partizipanten verfolgen. Weiters sehen sie einen Mangel an empirischer Forschung und kritisieren die Europa-Zentriertheit. Als vierten Schwachpunkt sehen die beiden die fehlende Auseinandersetzung mit den effektiven Folgen der Securitization: Trägt sie dazu bei, dass die “sekuritisierte” nicht-traditionelle sicherheitspolitische Herausforderung politisch besser gelöst wird oder erschwert diese neue Prominenz sogar den Umgang mit diesem Problem? 96 Alfred Gerstl - Non-traditional Security in Asia: Dilemmas in Securitisation - Rezension / Review ASEAS 1 (1) Ausgehend von dieser Kritik skizzieren Callabero-Anthony und Emmers knapp ihr Forschungsprogramm, das als Raster sämtlichen Beiträgen dieses Buches zugrunde liegt. Warum, wie und für welches Zielpublikum ein Risiko in den Rang einer sicherheitspolitischen Bedrohung erhoben wird oder zu einem politischen herabgestuft wird, bildet ihre Ausgangsfrage. Besonderes Augenmerk gilt auch ihnen dem diskursiven Prozess der Securitization oder Desecuritization: Welche staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure sind beteiligt? Gibt es einen Konsens über Art und Umfang der Bedrohung? Auf welchen sicherheitspolitichen Konzepte basieren die Urteile der verschiedenen Beteiligten? Ganz im Sinne der Copenhagen School konzentrieren sie sich dabei ebenfalls auf den speech act, die Art und Weise, wie die Schlüsselpersonen die sicherheitspolitische Sprache verwenden, um ihre Anliegen durchzusetzen. Um die Folgen einer “Sekuritisierungsdebatte” abzuschätzen, schlagen sie erstens vor, das politische Ausmaß der Securitization zu untersuchen (Gradmesser sind z.B. finanzielle Mittel, neue Gesetze oder Institutionen). Zweitens wollen sie untersuchen, inwiefern die Securitization oder Desecuritization zur Lösung beiträgt. Als letzten Punkt zählen Callabero-Anthony und Emmers verschiedene Rahmenbedingungen auf, die die “Sekuritisierung” oder “Entsekuritisierung” beeinflussen. Neben internationalen Normen und dem spezifischen Einfluss der verschiedenen Akteure nennen sie hier auch das nationale politische System. Ein wesentlicher Unterschied besteht, wie Amitav Acharya in seiner abschlieβenden Analyse “Securitiziation in Asia: Functional and Normative Implications” aufzeigt, zwischen demokratischen und autoritären Staaten. Angesichts des zumindest eingeschränkten öffentlichen Diskurses fällt es einem nicht-demokratischen Regime naturgemäβ viel leichter, ein Thema zu “sekuritisieren”, z.B. politische Autonomiebewegungen als terroristische Bedrohung darzustellen. Dieser Umstand, so gibt Acharya zu bedenken, wirft erhebliche normative Probleme für Anhänger der Idee auf, dass die Versicherheitspolitisierung eines Problems ein Schritt zu dessen Lösung ist. Intellektuell und analytisch sehr wertvoll ist die Einbeziehung der innenpolitische Dimension durch die HerausgeberInnen. Sie widerspiegelt die häufig, etwa von (neo)liberalen ForscherInnen geäuβerte Kritik am (Neo-)Realismus, wonach dieser konzeptuelle Schwierigkeiten hat, die Zusammenarbeit von Staaten zu erklären – und ganz besonders von Kooperationen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. Indes: Ihr modifiziertes Konzept der Copenhagen School ist zwar realitätsnah, aufgrund seiner Komplexität gleichzeitig aber auch schwer operationalisierbar, bzw. droht es, in seiner analytischer Aussagekraft banal zu werden. Die Vorzüge, aber auch Schwächen machen die neuen Fallstudien deutlich. Sie reichen von Untersuchungen, wie sich NGOs erfolglos dagegen einsetzten, dass aus MigrantInnen aus Bangladesh aufgrund der Securitiziation in Südasien “enemy aliens” wurden (Priyankar 97 ASEAS 1 (1) Upadhyaya), wie Malaysia, Singapur und das International Maritime Bureau die Piraterie in Südostasien zu “(de)sekuritisieren” versuchten (JN Mak), wie Krankheiten und Seuchen in Asien dank “Sekuritisierung” in den Status von sicherheitspolitischen Herausforderungen erhoben und damit effizienter bekämpft werden könnten (Beiträge von Peter Chalk und Ilavenil Ramiah) oder welche regionalen sicherheitspolitischen Effekte der von China forcierte Ausbau der Wasserkraft im Mekong-Delta zeitigt (Evelyn Goh). Dass NGOs in Staaten mit mangelnder politischer Autorität und unzureichender administrativer Infrastruktur eine wesentliche Rolle bei der Unterstützung der Bevölkerung spielen (können), ist kein neuer Befund. Aufschlussreich ist hingegen, wie Bob Hadiwinata in seinem Beitrag “Poverty and the Role of NGOs in Protecting Human Security in Indonesia” darlegt, wie der diskursive Rückgriff auf das Human Security-Konzept entwicklungs- oder umweltpolitische NGOs in legitime sicherheitspolitische Akteure verwandeln kann. Hadiwinata streicht jedoch den spezifischen indonesischen Kontext heraus, in dem NGOs, die basisdemokratische Bewegungen initiieren und in ihren speech acts das Versagen des Staates bei der Armutsbekämpfung anprangern, vom Regime wie Teilen der Bevölkerung mitunter der Destablisierung bezichtigt werden. Sein Fazit: Zwar gelang es zwei augewählten NGOs, das Problem der Armut zu thematisieren, ja sogar zu politisieren – zu einer sicherheitspolitischen Bedrohung ist Armut in Indonesien jedoch noch nicht geworden. Wie wesentlich für den Erfolg des “Sekuritisierungsdiskurses” die Wahl des richtigen Zielpublikums ist, illustriert JN Mak in “Securitizing Piracy in Southeast Asia: Malaysia, the International Maritime Bureau and Singapore”. Zur Jahrtausendwende scheiterte der Versuch des International Maritime Bureaus (IMB), gegenüber der Regierung in Kuala Lumpur die Piraterie in der Strasse von Malakka als eine existentielle Bedrohung darzustellen, die nur durch eine Internationalisierung – und somit eine De-facto-Unterminierung der Souveränität Malaysias – gelöst werden könnte. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es diese Interessensorganisation der Schifffahrt verabsäumte, die Perspektive der besonders betroffenen lokalen Fischer einzubeziehen, die zusätzlichen politischen Druck hätten ausüben können. So war es der Regierung möglich, die Pläne der IMB zurückzuweisen und Piraterie nach wie vor als einen kriminelles Akt zu behandeln, dem nicht mit sicherheitspolitischen, sondern mit einer Kombination aus polizeilichen Maßnahmen und sozioöonomischen Entwicklungsrezepten beizukommen sei. Wie Mak zeigt, ist der internationale Kontext ganz wesentlich: Der Terroranschlag auf das World Trade Centre erleichtete es vielen Regierungen ihrer Bevölkerung oder anderen Staten gegenüber, eigentlich rein kriminelle Gefahren als terroristische zu präsentieren, denen nur mit auβerordentlichen Maβnahmen begegnet werden könne: Erst als Singapur nach 9/11 die Piraterie mit dem Terrorismusproblem verknüpfte, baute dies ausreichend internationalen 98 Alfred Gerstl - Non-traditional Security in Asia: Dilemmas in Securitisation - Rezension / Review ASEAS 1 (1) Druck auf Kuala Lumpur (und Jakarta) auf, um Hand zu einer Art Internationalisierung light (gemeinsame Patrouillen von Singapur, Malaysia und Indonesien) zu bieten. Der Autor belegt mit diesem letztlich geringen politischen Effekt, dass weder das IMB noch Singapur das Zielpublikum – die malayischen Eliten – vom Charakter der Piraterie als existenzieller Bedrohung zu überzeugen vermochten, da dieses eine andere Risikobewertung sowie eigene nationale (und vermutlich auch persönliche) Interessen hatte. In Maks Worten: “Threats are therefore constructed not only by securitizing actors, but interpreted and reconstructed by the target audience.” Mit dieser Aussage illustriert Mak einen Vorzug des (modifizierten) Ansatzes der Copenhagen School: die fundamentale Bedeutung, welche der Wahrnehmung und Bewertung einer Bedrohung durch die EntscheidungsträgerInnen wie deren politischen Zielsetzungen zukommt. Doch er macht damit zugleich auf eine groβe Schwäche aufmerksam: Weder durch eine Analyse von Reden und Handlungen, noch durch Interviews oder teilnehmede Beobachtung lassen sich die wahren Interessen, Interpretationen und Werthaltungen von Individuen oder Gruppen völlig erschlieβen. Der Forscher oder die Forscherin kommt nicht umhin, die Aussagen, Einschätzungen und Handlungen der verschiedenen Akteure zu interpretieren oder zu dekonstruieren. 99