ASEAS 1-2 final (außerGottowik).indd Forschungswerkstatt / Research Workshop Religion und Identität bei den Dia’ang auf Pantar, Indonesien: Eine ethnographische Fallstudie eines gewalttätigen Konfl ikts1 Religion and Identity Among the Di‘ang on Pantar, Indonesia An Ethnographic Case Study of a Violent Confl ict Bettina Volk2 Museum für Sepulkralkultur in Kassel, Deutschland / Museum of Sepulcral Culture in Kassel, Germany ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasienwissenschaften / Austrian Journal of South-East Asian Studies, 1 (2), 2008 SEAS - Gesellschaft für Südostasienwissenschaften - www.SEAS.at Anfang 2007 brachen auf der Insel Pantar im Osten Indonesiens Unruhen zwischen zwei Ethnien, den Mauta und den Bara aus. Durch die betroffenen, aber nicht beteiligten Dia’ang wurden diese Ausschreitung als religiös motiviert gedeutet. Diese Interpretation spiegelt die Angst der Dia’ang wider, aufgrund ihrer christlichen Konfession Opfer von Angriffen zu werden. Diese Deutung zeigt, wie fragil das scheinbar friedliche Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen auf Pantar ist und welche tiefen Spannungen hinter dieser idyllischen Fassade bestehen. Schlagworte: Identität, Ethnizität, Konfl ikt, Indonesien, Pantar At the beginning of 2007 a violent confl ict broke out between the Mauta and the Bara, two ethnic groups of the Pantar island in Eastern Indonesia. The not involved but by the consequences affected Dia’ang interpreted this into religious motivated riots, which refl ects their fear of being attacked because of their Christian religion. This reinterpretation shows how fragile the seemingly peaceful coexistence of Muslims and Christians is on Pantar and how deep the tensions behind this image are. Keywords: Identity, Ethnicity, Confl ict, Indonesia, Pantar 1 Soweit nicht anders gekennzeichnet, beruht dieser Artikel auf Daten, die ich während meines bisher 18- monatigen Feldforschungsaufenthaltes in Muriabang erhoben habe. Mein Forschungsschwerpunkt liegt hierbei auf den lebenszyklischen Ritualen und nicht auf Konflikten. Der vorliegenden Artikel erhebt daher keinen Anspruch auf eine theoretische Einbettung in die Konfliktforschung. 2 Nach Abschluss ihres Magisterstudiums der Ethnologie begann Bettina Volk 2005 die Arbeit an ihrer Promotion an der Universität Passau. Zur Produktion von indigener Moderne in den Totenritualen der Dia’ang forschte sie bisher 1,5 Jahre stationär auf Pantar in Indonesien. 162 Bettina Volk - Religion und Identität bei den Dia‘ang auf Pantar, Indonesien Forschungswerkstatt / li i d d i ASEAS 1 (2) Einleitung Die Insel Pantar im ostindonesischen Alor-Archipel ist noch immer ein nahezu weißer Fleck auf der ethnographischen Landkarte. Nachdem 1932 Ernst Vatters berühmtes Buch „Ata Kiwan“ über seine Reise durch die ostindonesischen Archipele erschienen ist, wurden nur noch wenige Artikel zu Pantar veröffentlicht3. Ethnologischen Feldforschungen wurden auf Pantar bis in die 1990er Jahre, als Susanne Rodemeier in Munaseli forschte, überhaupt nicht durchgeführt. Als ich 2005 meine eigene stationäre ethnologische Feldforschung4 in Muriabang auf Pantar begann, stand mir also nur wenig Hintergrundwissen speziell zur Situation im gewählten Forschungsgebiet zur Verfügung. Meine Anfangsannahme zum Verhältnis der AnhängerInnen von Islam und Christentum zu einander, die auf persönlichen Gesprächen mit Susanne Rodemeier sowie der vorhanden Literatur zu Pantar und den umliegenden Inseln beruhte, war, dass es zwischen den MuslimInnen und ChristInnen des Alor-Archipels, im Gegensatz zu der Situation auf den Molukken oder Flores, zu keinerlei Spannungen aufgrund der unterschiedlichen Religionen komme. Ganz im Gegenteil leben sie friedlich zusammen, heiraten häufig untereinander, wobei die Konversion eines der Partner zur Religion des anderen keine Konflikte zwischen den Familien hervorrufe (vgl. Pampus 2006; Rodemeier 2006). Schon in der Anfangsphase meiner Feldforschung wurde deutlich, dass dieses idyllisches Bild nicht auf die Dia’ang und ihre Nachbarn zutrifft. Vielmehr herrscht hier ein tiefes Misstrauen zwischen den AnhängerInnen beider Religionen, das im Alltag hinter einer Fassade scheinbar harmonischen Zusammenlebens verborgen ist. Diese Spannungen sind so ausgeprägt, dass sie in bestimmten Situationen zu gewalttätigen Konflikten führen können. Im vorliegenden Artikel soll einer dieser Konflikte vorgestellt werden, der Anfang 2007 ausbrach und bis jetzt schwelt. Zur Ethnographie der Dia’ang Die Dia’ang sind eine kleine ethnische Gruppe, der etwa 1000 Menschen angehören. Sie leben größtenteils im Muriabang-Gebiet im Bezirk Pantar Mitte (Kecamatan Pantar Tengah). Pantar ist eine der ärmsten Regionen Indonesiens. In Muriabang gibt es bisher weder asphaltierte Straßen, noch Strom oder fließendes Wasser, Telefon oder Mobilfunk. Die hygienischen Bedingungen sind genau wie die medizinische Versorgung5 schlecht. Es gibt keine Geschäfte, 3 Zum Forschungsstand und zu Publikationen zu Pantar bis 1992 vgl. Rodermeier (1992). 4 Neben der teilnehmenden Beobachtung arbeitete ich hauptsächlich mit narrativen und teilstrukturierten Interviews sowie Gruppeninterviews. 5 Die erste Krankenstation (Puskesmas) in Maliang, einem der beiden Hauptdörfer Muriabangs, wurde 2006 eröffnet. 163 lediglich einige kleine Kioske und wöchentliche Märkte, um die Menschen mit den nötigsten Dingen für den täglichen Bedarf zu versorgen. Die tägliche Ernährung besteht aus Mais, gekochten Bananen oder Süßkartoffeln, seltener aus Reis. Gemüse und Obst sind selten, Fisch für die Dia’ang, die selbst nicht angeln, teuer und daher selten. Fleisch gibt es in der Regel nur auf Festen. Gerade bei Kindern sind Folgen dieser Mangelernährung häufig. Malaria ist endemisch. Die Dia’ang sind Bauern, die eine erweiterte Subsistenzwirtschaft betreiben. Sie produzier- en also hauptsächlich für den eigenen Bedarf, verkaufen jedoch eventuellen Überschuss auf den wöchentlichen Märkten. Saisonal verkaufen sie Kopra, Cashewnüsse sowie Lichtnüsse. Das soziale Leben der Dia’ang ist durch eine ausgeprägte geschlechterspezifischen Rollen- und Arbeitsaufteilung ebenso geprägt, wie sie auf dem Prinzip der Seniorität, Primogenitur und dem patrilinealen Verwandtschaftssystem beruht. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Dia’ang missioniert und traten, nahezu kollektiv, zum Protestantismus über. Dies hatte jedoch zunächst nur wenig Auswirkung auf ihr indigenes Glaubenssystem, das unter anderem mit Ahnendienst einhergeht, an dem sie weiter festhielten. Erst in den 1960ern, als die meisten von ihnen aus ihren Bergdörfern an die Küste zogen, wo sie zwei neue Dörfer – Maliang und Tamakh– gründeten, begann der Protestantismus die traditionelle Religion mehr und mehr abzulösen. Heute ist das Christentum eines der Hauptcharakteristika ihrer Identität6, obwohl sie sich in Krisensituationen nach wie vor der indigenen Religion zuwenden. Während das traditionale Glaubenssystem oft mit Rückständigkeit in Verbindung gebracht wird, steht das Christentum für die Dia’ang ebenso für Moderne wie für ihre muslimischen Nachbarn, die Bayang und die Bara, der Islam.7 Ethnische Identität der Dia’ang Auch wenn es sich bei den Dia’ang nur um eine kleine ethnische Gruppe handelt, haben sie doch eine ausgeprägte ethnische Identität, die in der oralen Geschichte und in Mythen definiert wird und sich auf ihre eigene Sprache – das Dia’ang Tra –, ihr eigenes Territorium – das Muriabang-Gebiet –, ihre eigenen Traditionen – adat – und ihrem Christ-Sein gründet. Diese Gleichsetzung von Dia’ang-Sein8 und Christ-Sein geht so weit, dass ein Dia’ang, der zum Islam konvertiert, quasi aus der Ethnie ausgeschlossen wird. Zwar wird dies niemals so 6 Susanne Schröter beschreibt Ähnliches auch für bestimmte Regionen Sumatras (Schröter 2006: 366) und für die Ngada auf Flores (Schröter 2002: 37). 7 Diese Verbindung der traditionalen Religion mit Rückständigkeit und der Weltreligionen mit Modernität ist nichts Pantar-spezifisches, sondern in weiten Teilen Indonesiens der Fall (vgl. Sakai 2002). 8 Im Folgenden werde ich mich bei allgemeinen Aussagen zu den Dia’ang auf die männliche Form beschränken, weibliche Dia’ang sind, soweit nicht anders gekennzeichnet, in diese einbezogen. 164 Bettina Volk - Religion und Identität bei den Dia‘ang auf Pantar, Indonesien ASEAS 1 (2) ausgesprochen, doch im Alltag zeigt sich dies deutlich. Normalerweise kommt es aufgrund einer interreligiösen Heirat zu einem Religionswechsel. Dieser geht als äußeres Zeichen nicht nur mit einem Namenswechsel einher, bei dem die betreffende Person ihren christlichen Namen ablegt und einen muslimischen annimmt, sondern auch mit einem Wohnortwechsel, da das Paar nach der Hochzeit bei der muslimischen Familie leben wird. Dies bedeutet oft ein Verlassen des Territoriums der Dia’ang. Für einen Mann hat der Übertritt zum Islam noch weitere Konsequenzen: Seine Nachkommen werden in der Regel nicht in die Genealogien, die jeder männliche Dia’ang auswendig kennen sollte, aufgenommen, so dass sein Familienzweig in den Stammbäumen ausstirbt. Hiermit stirbt seine Familie im Gedächtnis der Dia’ang aus und er hat keine Chance, ein Ahne zu werden. Interreligiöse Interaktion zwischen den Dia’ang und ihren Nachbarn Die Dia’ang leben in enger Nachbarschaft mit den christlichen Mauta und den muslimischen Bayang – alle drei Ethnien habe einen gemeinsame Mythos über die Ankunft auf Pantar und den Ursprung bzw. die Manifestierung verschiedener Ethnien, lange bevor Islam und Christentum Einzug auf Pantar hielten. Während es zwischen den Dia’ang und den Mauta kaum zu Spannungen kommt, sind Misstrauen und Konflikte zwischen den Bayang und den Dia’ang ebenso häufig wie zwischen den Bayang und den Mauta. Gleiches lässt sich zur Koexistenz mit den muslimischen Bara feststellen, die ebenfalls in der Nachbarschaft der Dia’ang leben. Diese Spannungen zeigen sich besonders in Stresssituationen, sind aber auch im normalen Alltag deutlich zu spüren. Im ganzen Gebiet herrscht eine große Furcht vor schwarzer Magie. Man hat Angst, mit Fremden zu essen, zu trinken oder Betelnüsse zu teilen, wenn diese von dem Fremden zu bereitet oder gereicht werden, da sie als Vehikel für schwarze Magie genutzt werden könnten. In der Regel wird es als unbedenklich angesehen, mit Fremden der eigenen Religion Speisen, Getränke und Betelnüsse zu teilen. Man geht davon aus, dass man sicher ist, weil man als Angehörige/r der eigenen Religion keinerlei schwarze Magie verwendet, so etwas tun nur die AnhängerInnen des anderen Glaubens. Es wird also von beiden Seiten mit einer starken Unterscheidung zwischen „wir“ und „den Anderen“ gearbeitet, wobei „die Anderen“ jeweils als ein unkalkulierbares Risiko angesehen werden, die noch an den alten Mächten festhalten, die heute mit Satan in Verbindung gebracht werden.9 Wenn ein Mensch schwer erkrankt oder eine andere Katastrophe eintritt, wird dies oft mit schwarzer Magie in Zusammenhang gebracht, 9 Oberhofer (2006) betont, dass Hexerei bzw. Schwarze Magie nicht nur innerhalb einer ethnischen Gruppe relevant für das Zusammenleben ist, sondern gerade auch für den Umgang von Ethnien untereinander. 165 die jeweils von „den Anderen“ ausgeübt wurde. Schwarze Magie kann von den Opfern entweder in Träumen10 oder durch einen traditionellen Heiler bzw. eine Heilerin erkannt werden und dann von diesem bekämpft werden. Bestimmte Menschen können besondere Gebete sprechen, die Heilung bringen und den Weg für weitere magische Attacken verschließen (tutup jalan). Diese Angst vor schwarzer Magie erschwert die Kommunikation zwischen ChristInnen und MuslimInnen in Muriabang erheblich, da jede ernsthafte Konversation durch gemeinsames Trinken und Kauen von Betelnüssen eröffnet werden sollte. In beiden Fällen von interreligiöser Heirat, die während meiner Feldforschungsphase auftraten, kam es über die Frage, wer zu welcher Religion konvertiert, zu ernsthaften Konflikten zwischen den Familien. Die Heiraten wurden von allen beteiligten Familien abgelehnt und in beiden Fällen durch die Schwangerschaft der jungen Frauen erzwungen. In einem Fall kam es sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzung und dem Einschreiten der Polizei. Zwischen den Anhängern beider Religionen besteht eine grundsätzliche Einigkeit darüber, dass man innerhalb der eigenen Religion heiraten sollte. Wenn über die jeweils andere Religion und deren Anhänger gesprochen wird, werden immer die Unterschiede betont. Die Religion wird als identitätsstiftend und Mittel zur Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen wahrgenommen. Eine andere Religion wird häufig auch als Erklärung für moralisch verwerfliches Handeln angesehen. Dennoch schaffen die Dia’ang, Bayang, Bara und Mauta einen äußeren Schein von harmonischen Zusammenleben und guten nachbarschaftlichen Beziehungen in der täglichen Interaktion. Dies zeigt sich etwa, wenn ChristInnen ihren muslimischen Nachbarn bei der Renovierung ihrer Moschee helfen oder sie gegenseitig zu den Trauerfeiern erscheinen, selbst wenn der Verstorbenen/die Verstorbene der jeweils anderen Religion angehörte. Der Konflikt aus Sicht der Dia’ang Im Januar 2007 brachen zwischen den muslimischen Bara und den christlichen Mauta gewalttätige Unruhen aus. Aus Sicht der Dia’ang stellte sich der Konflikt folgendermaßen dar11: Eine junge Muslima war auf ihrem Weg nach Hause von Flores nach Baranusa. Bei einem Zwischenstopp der Fähre mit Landgang verbrachte sie ihre Pause nicht etwa mit ihren Freundinnen, sondern entschied sich mit einem jungen Mauta auf seinem Motorroller zu einem 10 Man kann die Bedrohung schon im Vorfeld in Träumen erkennen, die dann durch einen oder eine Traumdeuter/ in (dukun tapsir) gedeutet werden müssen. Der Bedrohung kann man dann entgehen, indem bestimmte Menschen Gebete sprechen, die den Weg für den magischen Angriff versperren (tutup jalan) und diesen unmöglich machen. 11 Die nachfolgende Version des Ursprungs des Konflikts beruht auf den Erzählungen aus Muriabang. Bei den Mauta in Puntaro, wo Gary Holton zur gleichen Zeit eine sprachwissenschaftliche Forschung durchführte, weicht die Version in Details ab. (Persönliche Kommunikation im August 2008) (vgl. Volk 2008). 166 Bettina Volk - Religion und Identität bei den Dia‘ang auf Pantar, Indonesien ASEAS 1 (2) Imbissstand zu fahren, um etwas zu essen zu kaufen. Da der junge Mann angetrunken war, vergaß er den Weg zum Imbissstand. Die junge Frau geriet in Panik, da sie dachte, er nehme den falschen Weg, um sie zu vergewaltigen. So sprang sie vom fahrenden Motorroller, brach sich den Arm und zog sich schwere Verletzungen im Gesicht zu. Wieder auf der Fähre, rief sie ihre Familie in Baranusa an und berichtete, was geschehen war. Als die Fähre in Baranusa anlegte, hatte sich ihre Familie schon im Hafen versammelt und verprügelte den jungen Mauta, als er die Fähre verließ. Die Schlägerei war noch in vollem Gange, als ein Verwandter des jungen Mannes vorbei kam, ihn erkannte und daraufhin die Angreifer wüst beschimpfte, woraufhin auch er verprügelt wurde. Als man in den Dörfern der Mauta hiervon hörte, versammelten sich sofort die Männer, bewaffneten sich mit Macheten sowie Pfeil und Bogen. Bevor sie sich auf den Weg nach Baranusa machten, um Rache zu nehmen, beteten sie zusammen für den Sieg und führten ein altes Ritual durch, das ihnen Glück im Kampf geben sollte. Auf ihrem Weg nach Baranusa trafen sie auf ein Ehepaar aus Baranusa, das Fisch verkaufen wollte. Sie schlugen sie zusammen und zerstörten ihren Motorroller. In Baranusa angekommen, begannen sie Häuser nieder zu brennen, ungeachtet der Tatsache, dass sich in ihnen noch Personen befanden. Glücklicherweise konnten sich die Menschen retten. Es kam zu Straßenschlachten, bei denen etliche Personen verletzt wurden, und zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Jeder Versuch, die Beteiligten zu beruhigen und die Situation zu entschärfen, scheiterte. In den folgenden Tagen kam es immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen den beiden Gruppen. Schließlich errichtete eine der Konfliktparteien nachts Straßensperren, so dass die Straße von Baranusa nach Muriabang nahezu unpassierbar wurde. Der Bootsverkehr, der normalerweise Muriabang mit Baranusa verbindet, wurde eingestellt. Dies bedeutete für die Dia’ang, die so zwischen die Fronten geraten waren, dass sie keine Möglichkeit hatten Muriabang bzw. Pantar zu verlassen, und dass sie auch keinen Nachschub für ihre Kioske erhielten, so dass es innerhalb kürzester Zeit kein Öl für Lampen, Benzin, Reis etc. zu kaufen gab. Auch kamen die Bara nicht mehr, um Fisch zu verkaufen, und die Wochenmärkte wurden für fast zwei Monate geschlossen. Reaktion der Dia’ang auf den Konflikt In Muriabang reagierte man mit Panik auf die Unruhen, die sich über Wochen hinzogen. Die Männer bewaffneten sich, Pfeile wurden hergestellt, nachts patrouillierten die jungen Männer durch das Dorf, Frauen und Kinder wurde verboten, ohne Begleitung die Häuser zu verlassen, und die Arbeit auf den Feldern, die Richtung Baranusa liegen, wurde eingestellt. Nachdem es neben immer wieder aufflammender Gewalt bei – gescheiterten – Friedensverhandlungen zu 167 einem Angriff auf den Bezirksvorsteher (camat) und dessen Frau gekommen war, verstärkte sich die Angst der Dia’ang, in diesen Konflikt hineingezogen zu werden, weiter. Die wenigen jugendlichen Dia’ang, die sich an den Unruhen beteiligt hatten, waren vorsorglich sofort nach Alor geschickt worden, damit es nicht zu einer Eskalation zwischen den Bara und den Dia’ang käme. Zu groß war die Angst vor Ausschreitungen wie etwa auf den Molukken. Es ging das Gerücht um, dass die Bara an einem bestimmten Datum das Gebiet der Dia’ang überfallen würden, um alle Dia’ang zu töten, da sie ChristInnen seien. Einige Männer schickten daraufhin ihre Familien in die Berge in die alten Dörfer, bis die Gefahr vorüber wäre. Weiter bestärkt sahen sich die Dia’ang und auch die im Muriabang lebenden Mauta durch die bekannten religiösen Unruhen auf den Molukken, Flores und anderen Gebieten Indonesiens. Man begann, die muslimischen Nachbarn im Dorf möglichst zu meiden, und forderte gerade die Kinder und jungen Erwachsenen immer wieder auf, vorsichtig im Kontakt zu sein. Auch als der festgelegte Tag des angenommenen Massakers vorüber war und niemand das Gebiet angegriffen hatte, legte sich die Angst nicht völlig, sondern war noch immer spürbar, als ich im August 2007 Pantar verließ. Nachdem die Dia’ang zwei Monate lang fast vollständig von der Außenwelt abgeschlossen waren, wurden die Straßensperren entfernt, der Bootsverkehr wieder aufgenommen, und schleppend liefen auch die Wochenmärkte wieder an, die allerdings bei meinem Verlassen der Insel immer noch nicht wieder ähnlich gut besucht waren wie vor den Ausschreitungen. Zwar wurden immer wieder Versuche gemacht, offiziell Frieden zwischen den Mauta und Bara zu schließen. Nach mehreren gescheiterten Anläufen verlegte man sich darauf, diesen nach dem adat mit einem lego-lego12 zu beschließen, doch im August 2007 war es hierzu noch nicht gekommen. Schlussbetrachtung Obwohl es aus der oralen Geschichte und auch in der näheren Vergangenheit etliche Zusammenstöße zwischen den Mauta und den Bara bekannt sind, reinterpretierten die Dia’ang diesen Konflikt, der ja letztlich auf einem Missverständnis beruhte13, in religiöse Unruhen.14 Hierbei sehen sie die muslimische Bara als die ersten Aggressoren an und sind überzeugt, dass 12 Lokale Form des Rundtanzes bzw. eines Festes mit dem genannten Tanz. 13 Nach der Version des Konfliktes, die in Muriabang erzählt wurde. 14 Hierbei handelt es sich nicht um eine religiöse Rhetorik, die zum Zweck der Mobilisierung der Massen in nicht primär religiös motivierten Konflikten eingesetzt wird, wie Schröter (2006) für andere Gebiete Indonesiens beschreibt. Ganz im Gegenteil wollten die Dia’ang möglichst nicht in den Konflikt hineingezogen werden, auch wenn sie ganz klar Partei für die Mauta ergriffen. Nicht nur sind sie durch Allianzen mit einzelnen Klanen der Mauta verbunden, sondern sie handeln so auch genau nach den gleichen, oben beschriebenen, Strategien, die sie auch in alltäglichen Situationen im Umgang mit Muslimen an den Tag legen. 168 Bettina Volk - Religion und Identität bei den Dia‘ang auf Pantar, Indonesien ASEAS 1 (2) diese sich mit allen anderen Muslimen in der Gegend verbünden werden, um die ChristInnen auf Pantar auszulöschen. Hierbei lassen sie den tatsächlichen Auslöser des Konflikts, nämlich den vermeintlichen Angriff eines jungen Mauta auf die Ehre einer jungen Bara, völlig außer acht. Ebenso wenig ließen sie sich von den MuslimInnen, die in Muriabang leben, beruhigen15, die einen religiösen Hintergrund immer bestritten haben, ebenso wie die Bara, mit denen ich im Laufe des Konflikts sprechen konnte. Diese Interpretation der Ausschreitungen zeigt nicht nur, wie tief die Angst vor ähnlichen Ausschreitungen (vgl. Schröter 2008) wie auf den Molukken, auf Flores oder vielen anderen Orten Indonesiens sitzt, sondern auch, dass die These des spannungsfreien Zusammenlebens von Anhängern beider Religionen für Muriabang falsch ist. Die idyllische Fassade der friedlichen Koexistenz der beiden Religionen ist stattdessen ausgesprochen fragil und kann schnell in offenes Misstrauen, Angst und Gewalt umschlagen. Hiermit unterscheidet sich der Bezirk Pantar Mitte deutlich von Alor und Ternate, aber auch von Munaseli auf Pantar. Rodemeier beschreibt für Munaseli auf Pantar einen völlig spannungsfreien Umgang mit religiösen Unterschieden und interreligiösen Heiraten (Rodemeier 2006). Wellfelt berichtet über Alor, dass „instead of being a cause of conflict, religious diversity is presented as a benefit“ (Wellfelt 2007: 4). In ihrer Arbeit zu Ternate kommt Wellfelt zu dem Schluss, dass im Gegensatz zum öffentlichen Diskurs, interreligiöse Heiraten zwar zu Spannungen zwischen den betroffenen Familien führen, diese aber nicht eskalieren. So führe Religion auf Ternate zwar auch zu Abgrenzungsprozessen, die aber über eine Definierung der eigenen Identität als einheimischer Ternates aufgefangen würden. So sehen sie adat als wichtiger als Religion an (Wellfelt 2007). Warum diese Strategien bei den Dia’ang keine Anwendung finden und warum hier religiöse Unterschiede so stark gewichtet werden, hat seinen Ursprung vermutlich in der lokalen Geschichte der Dia’ang und ihrer Nachbarn. In jüngster Vergangenheit kam es etwa in den 1960ern zu Ausschreitungen zwischen Bara und Dia’ang, als die Dia’ang aus den Bergen an die Küste umsiedelten. Nach den Dia’ang wollten die Bara ihnen ihr Land streitig machen. In der oralen Geschichte der Dia’ang finden sich außerdem immer wieder Ereignisse, die sie als Angriff der muslimischen Nachbarn auf ihre christliche Identität interpretieren. So etwa Berichte über Konvertierung ganzer Familien zum Islam oder von Menschen, die sich geweigert haben, das Christentum aufzugeben. Von besonderer Bedeutung sind sicherlich die Geschichten, die sich um ihren letzten König ranken, der einige Jahre in Baranusa in einer Art Gefangenschaft lebte. Es wird berichtet, dass man ihn schon fast zermürbt hatte und er zum Islam übergetreten wäre, wenn nicht in letzter Minute eine seiner Ehefrauen ihn davon abgehalten hätte. Er besann sich und konnte nach Muriabang zurückkehren. In der oralen 15 Eine direkte Kommunikation zu diesem Thema zwischen den Dia’ang und ihren muslimischen Nachbarn fand nicht statt. 169 Geschichte der Dia’ang spiegelt sich, dass sie sich im Hinblick auf ihre Identität als ChristInnen nicht nur während der beschriebenen Unruhen von ihren muslimischen Nachbarn bedroht fühlen, sondern dies schon lange der Fall ist und Anfang 2007 lediglich einen neuen Höhepunkt fand. Bibliographie Oberhofer, M. (2006). Hexerei und Ethnizität. Das Beispiel der Jã ana und ihrer Nachbarn in Burkina Faso. Mainz: Johannes Gutenberg Universität Mainz. Pampus, K.-H. (2006). Sieben Tage auf Pantar. Eine Erkundungsreise auf Ernst Vatters Spuren. Paideuma, 52, 127-156. Rodemeier, S. (1992). Lego-lego-Platz und naga-Darstellung. Jenseitige Kräfte im Zentrum einer Quellenstudie über die ostindonesische Insel Alor. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Ludwig-Maximilians- Universität München. Rodemeier, S. (2006). Tutu kadire in Pandai - Munaseli. 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Theoretische und empirische Beiträge zur Säkularisierungsdebatte in der Religionssoziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Vatter, E. (1932). Ata Kiwan. Unbekannte Bergvölker im tropischen Holland. Ein Reisebericht. Leipzig: Bibliographisches Institut AG. Volk, B. (2008): Lokale Interpretationen eines gewalttätigen Konfliktes auf Pantar, Ostindonesien. Pacific News, forthcoming. Wellfelt, E. (2007). Diversity & shared identity. A case study of interreligious relations in Alor, Eastern Indonesia. Master Thesis. Göteborg: School of Global Studies. Göteborg University. 170 Bettina Volk - Religion und Identität bei den Dia‘ang auf Pantar, Indonesien