Auf der Suche nach dem Paradies? Einblicke in eine Studie zu „Amenity Migration“ in Cha-am und Hua Hin, Thailand ASEAS 4(1) 166 167 Forschungswerkstatt / Research Workshop Auf der Suche nach dem Paradies? Einblicke in eine Studie zu „Amenity Migration“ in Cha-am und Hua Hin, Thailand Julia Jöstl1 & Birgit Wieser2 Universität Wien Citation Jöstl, J., & Wieser, B. (2011). Auf der Suche nach dem Paradies? Einblicke in eine Studie zu „Amenity Migrati- on“ in Cha-am und Hua Hin, Thailand. ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasienwissenschaften, 4(1), 166-172. Altersmigration („Amenity Migration“ bzw. „Retirement Migration“) ist ein Phäno- men, das in westlichen Gesellschaften in den letzten Jahren immer mehr an Dynamik gewonnen hat. Ausschlaggebend für den drastischen Anstieg der Anzahl älterer Mig- rantInnen, die ihren Lebensabend außerhalb ihres Heimatlandes verbringen wollen, ist einerseits der rasch voranschreitende demographische Alterungsprozess in westli- chen Gesellschaften, andererseits aber auch das meist niedrige Pensionsalter gepaart mit steigendem Wohlstand und relativ niedrigen Kosten für Fernreisen. Parallel dazu hat auch das wissenschaftliche Interesse an solchen semi-permanenten bzw. per- manenten Mobilitätsformen, deren Ursachen, Struktur und Folgen (primär für die Zielgebiete, aber auch für die Gesellschaften in der Herkunftsregion) zugenommen. Während der Großteil der Altersmigrationen in den letzten Jahrzehnten auf län- gerfristige Wohnstandortverlagerungen innerhalb der Vereinigten Staaten aus den nördlichen Landesteilen in die klimatisch begünstigten Gebiete des Südens und im Bereich Europas ähnliche Tendenzen von Nord-Süd-gerichteten Altersmigrationen entfiel, zeichnet sich in den letzten Jahren zunehmend ein neuer Trend ab: ein An- wachsen der „Retirement Migration“ aus dem Westen in Zielländer, die einen nied- rigeren sozioökonomischen Entwicklungsstand aufweisen. Zwei räumliche Schwer- 1 Julia Jöstl ist Diplomandin am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Kontakt: julia.joe@gmx.at 2 Birgit Wieser ist Diplomandin am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Kontakt: birgitwieser@gmx.at d o i 10 .4 23 2 /1 0. A SE A S -4 .1 -1 1 ASEAS 4(1) 166 167 punkte zeichnen sich diesbezüglich ab: (1) Zuwanderungen aus Nordamerika in die Karibik oder in manche Staaten Mittelamerikas und (2) ein wachsender Zustrom von AltersmigrantInnen in südostasiatische Staaten, insbesondere nach Thailand und die Philippinen. Während über das Phänomen „Amenity Migration“ innerhalb Europas und Nord- amerikas bereits zahlreiche Studien vorliegen, ist über die neue Variante – nämlich diese Form der Migration von wirtschaftlich hoch entwickelten in wirtschaftlich we- niger entwickelte Teile der Welt – noch wenig bekannt. Das Interesse der Forschung zu diesem Thema entstand in den USA und die WissenschafterInnen dort befassen sich hauptsächlich mit den Mobilitätsprozessen der NordamerikanerInnen. Es kommt zur Abwanderung in den Sunbelt der USA, Teile Lateinamerikas (vor allem Costa Rica und Mexiko) sowie auf einige karibische Inseln. In Europa tritt die Altersmigration vor allem in den letzten 50 bis 60 Jahren vermehrt auf. Bei Betrachtung der Literatur zum Thema ist festzustellen, dass Südeuropa ein beliebtes Auswanderungsziel ist. An erster Stelle stehen dabei Spanien, Südfrankreich, die Toskana, Malta und die Algarve (Müller, 2002). Dabei ist zu erkennen, dass es sich überwiegend um eine Nord-Süd- gerichtete Mobilität handelt. Für die Region Südostasien ist die Literaturgrundlage nicht sehr umfangreich. Zu erwähnen sind die Arbeiten von Howard (2008, 2009), welcher anhand einer Onlinebefragung Motive, Erfahrungen und Wohlbefinden der westlichen PensionistInnen in Thailand erfragte. Koch-Schultes’ (2008) empirische Fallstudie untersucht die Stadtentwicklung in Udon Thani unter besonderer Berück- sichtigung des Sextourismus und der Entstehung von Zweitwohnungen. Anhand von qualitativen Interviews untersuchte Veress (2009) in ihrer Diplomarbeit die männliche Altersmigration in Cha-am und Hua Hin, wobei die Relationen zwischen Altersmigra- tion und Sextourismus im Zentrum der Forschung standen. Mit einer Untersuchung im Rahmen der Diplomarbeit zum Thema „Amenity Migration“ in Cha-am und Hua Hin möchten die Autorinnen einen empirischen Beitrag zu diesem vergleichsweise wenig erforschten Phänomen leisten. Die aus zwei Fallstudien bestehende Diplomarbeit trägt den Titel „Auf der Suche nach dem Paradies? Das Phänomen „Amenity Migration“ – eine Fallstudie am Beispiel von Cha-am und Hua Hin“ und die empirischen Daten wurden im Rahmen eines viermonatigen Forschungsaufenthaltes im Untersuchungsgebiet gesammelt. Ziel der Arbeit ist die Erstellung eines soziodemographischen und ökonomischen Profils der Julia Jöstl & Birgit Wieser - Auf der Suche nach dem Paradies? Einblicke in eine Studie zu „Amenity Migration“ ASEAS 4(1) 168 169 westlichen Altersmigranten3 sowie die Analyse der Bedeutung dieses Phänomens für Wirtschaft und Gesellschaft vor Ort. Im Rahmen der Untersuchung sollten Antwor- ten zu den Fragen „Warum kommen Expats4 nach Cha-am und Hua Hin?“, „Welche soziale Herkunft weisen sie auf?“ und „Welchen Lebensstil führen sie?“ erforscht werden. Eine qualitative, explorative Erhebungsmethodik diente dazu, einen Einblick in die Lebenssituation der ausländischen Migranten zu erlangen. Damit wird der Fra- ge nachgegangen, ob es sich bei den Untersuchungspersonen im Raum Cha-am und Hua Hin um eine Problemgruppe oder einen unverzichtbaren ökonomischen Faktor handelt. Altersmigration in Thailand Eine neue, aufstrebende Destination der internationalen „Amenity Migration“ ist das südostasiatische Königreich Thailand. Hauptmotive für eine Reise nach Thailand sind im Allgemeinen die freundliche Bevölkerung, die reichhaltige Kultur, geringe Lebens(erhaltungs-)kosten, warmes Klima, Strand, Sport- und Freizeitmöglichkeiten sowie nicht zuletzt die Verfügbarkeit von attraktiven (Sexual-)Partnerinnen (Howard, 2008, S.149). Thailand ist mit 15,94 Millionen internationalen Ankünften im Jahr 2010 (Depart- ment of Tourism, 2011) neben Malaysia Spitzenreiter in der Region Südostasien. Die Annehmlichkeiten, die dieses Land bietet, machen es für LangzeittouristInnen und Expats interessant. Die Sehnsucht nach einem besseren Leben, „dem Paradies“, die Möglichkeit, dem Alltagstrott im Herkunftsland zu entfliehen sowie die steigende Flexibilität und Mobilität auch älterer Bevölkerungsgruppen führen zu einer zuneh- menden Verwischung der Grenzen zwischen den beiden (Mobilitäts-)Phänomenen Tourismus und Migration. So schätzt Howard (2008), dass sich im Durchschnitt 98.000 MigrantInnen aus den westlichen Industrienationen in Thailand aufhalten, wobei etwa 10.000 bis 15.000 das Pensionsalter erreicht haben. Verlässliche statisti- sche Angaben über die Anzahl von AltersmigrantInnen in Thailand sind leider nicht 3 Aufgrund der Tatsache, dass während der Untersuchung 91 Prozent männliche Probanden befragt wurden, wird im Text in diesem Zusammenhang die männliche Form von personenbezogenen Hauptwörtern verwendet. 4 Die Bezeichnung „expatriate“, kurz „expat“ bezieht sich auf Personen, die außerhalb ihres Heimatlandes leben. Der Begriff meint permanente MigrantInnen, wird aber in der Praxis wie etwa innerhalb der thailändischen Expat- Gemeinschaft genauso für saisonale oder temporäre Zuwanderer verwendet. (Williams, King, & Warens, 1997) Im Zusammenhang mit dieser Fallstudie werden daher die Begriffe „Expats“ und Zuwanderer synonym verwendet. ASEAS 4(1) 168 169 verfügbar. Fakt ist, dass das Land nicht nur eine wichtige Zieldestination für den internationalen Tourismus ist, sondern auch neue längerfristige Erscheinungsformen der Mobilität in den letzten Jahren boomen und Thailand als Land zum Sesshaftwer- den immer beliebter wird (Libutzki, 2003). Dies ist nicht selbstverständlich, da neben den bereits angeführten Pull-Faktoren auch erhebliche kulturelle und sprachliche Barrieren, zahlreiche bürokratische und gesetzliche Hürden – wie zum Beispiel die komplizierten Visabestimmungen sowie Restriktionen für ausländische Personen, Land zu besitzen – einem längerfristigen Aufenthalt von AusländerInnen im Königreich entgegenwirken. Datengrundlage der Diplomarbeit Im Rahmen der Studie wurden qualitative, explorative Interviews mit zufällig ausge- wählten Mitgliedern der Expat-Bevölkerung von Cha-am und Hua Hin durchgeführt. Zur Teilnahme an den Interviews war ein Mindestaufenthalt von drei Monaten am Stück pro Jahr im Untersuchungsgebiet erforderlich. Von besonderem Interesse im Rahmen der Befragung waren die Attraktivität des Standortes und die Standortent- scheidung, die Wohnsituation, das Verhältnis zur thailändischen Kultur und Sprach- kenntnisse sowie das sozioökonomische Profil der Zuwanderer. Die Fragen wurden anhand eines strukturierten Leitfadens gestellt, der den InterviewpartnerInnen ge- nug Raum für eigene Reflexionen und freie Antworten ließ. So variierte die Dauer der Interviews von 20 Minuten bis zu 2 Stunden, meist bewegten sie sich im Rahmen von 30 bis 45 Minuten. Insgesamt wurden 130 Interviews auf Englisch oder Deutsch aufge- zeichnet. Die Befragten füllten überdies zwei Polaritätsprofile aus, welche sich als ge- eignetes Mittel erwiesen, um Images und Einstellungen gegenüber dem Zielland und der eigenen Bevölkerungsgruppe darzustellen. Zusätzlich wurden die ProbandInnen ersucht, ihren Wohnstandort im Untersuchungsgebiet auf einer beigefügten Karte einzutragen, um eventuell vorhandene räumliche Segregationstendenzen der Expats aufzuzeigen. Die Befragungsaktion ergab schlussendlich 112 Interviews, die transkri- biert, kodiert und mithilfe von MAXQDA, einem Programm zur Analyse qualitativer Daten, sowie SPSS für die statistische Analyse ausgewertet wurden. Julia Jöstl & Birgit Wieser - Auf der Suche nach dem Paradies? Einblicke in eine Studie zu „Amenity Migration“ ASEAS 4(1) 170 171 Die Expats in Cha-am und Hua Hin Bereits nach wenigen Tagen Recherche wurde offensichtlich, dass sich Expats an ganz bestimmten Plätzen der Stadt aufhielten – häufig in Einkaufszentren, Restaurants und Bars im touristischen Viertel und in der Thai-Sprachschule von Hua Hin. Die- jenigen, die sich zu den Interviews bereit erklärten, waren meist sehr interessiert an der Thematik, offen und auskunftsfreudig. Nicht selten erzählten sie von ihren privaten Problemen, Enttäuschungen und Hoffnungen – Beweggründe, weshalb sie schlussendlich nach Thailand gekommen waren – oder von emotionalen Erlebnissen, die sie erst dort hatten. Die zunehmende Beliebtheit Thailands als Ziel der interna- tionalen Altersmigration spiegelt sich zusätzlich in der Altersstruktur der Befragten wider: Der Großteil (42 Prozent) der Probanden war zwischen 60 und 70 Jahre alt. Ebenso wenig überraschend war die Tatsache, dass fast ausschließlich männliche Interviewpartner befragt wurden (91 Prozent). Die Verteilung der Befragten nach Na- tionalitäten sowie deren Geschlechterproportion stimmen mit den Aufzeichnungen des Immigrationsbüros von Hua Hin (N. Satitnathitham, persönliches Gespräch, 8. September 2010) überein. Die größte Gruppe stellen Expats aus Großbritannien dar, gefolgt von Skandinavien (Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland), der Schweiz, Deutschland und den USA. Mit der Zahl der Zuwanderer steigt die Nachfrage nach angemessenen Wohnmög- lichkeiten, weshalb der Immobilienmarkt in Cha-am und Hua Hin wächst. Zahlreiche Bauprojekte unter ausländischem Management wurden bereits verwirklicht, zumeist handelt es sich um so genannte „gated communities“, die auf die Bedürfnisse westli- cher Kunden – und dabei speziell auf ein älteres Klientel – zugeschnitten sind. Die An- gebotsseite wurde ebenfalls in die Untersuchung miteinbezogen: Durch Besichtigun- gen und Gespräche mit ManagerInnen diverser Projekte konnte ein Überblick über die Anzahl bereits fertig gestellter sowie gerade entstehende Immobilienprojekte gewonnen werden. Weiters wurden die Grundbuchämter beider Städte aufgesucht, um sowohl einen räumlichen als auch quantitativen Überblick über die Immobili- enprojekte und die Entwicklung der Landpreise zu bekommen. Ein eigens erstellter Interviewleitfaden für die Bürgermeister von Cha-am und Hua Hin sollte helfen, Aus- künfte zu aktuellen und zukünftigen Planungsmaßnahmen für die wachsende Expat- Bevölkerung zu erhalten. Die Meinung der Betroffenen, warum das Untersuchungs- ASEAS 4(1) 170 171 gebiet ein so beliebtes Ziel für den Zuzug von Expats darstellt, wurde erfragt. Während die Befragung der Expats gut voran ging, erwies sich die Datenbeschaf- fung bei den verschiedenen Behörden als deutlich schwieriger. Die „Tourism Authori- ty of Thailand“ (TAT) führt zwar präzise Tourismusstatistiken, jedoch keine spezifisch zum Thema „long-stay-tourists“. Ebenso problematisch erwies sich die Datenlage im Hinblick auf die Zuwanderung von AusländerInnen in das Untersuchungsgebiet. Im Immigrationsbüro von Hua Hin und Bangkok waren die gewünschten Daten entwe- der nicht aufbereitet oder nicht zugänglich. Eine weitere Hürde bei der Arbeit mit den thailändischen Behörden stellte wie erwartet die Sprachbarriere dar. Ohne die Hilfe von ÜbersetzerInnen war die Informationsgewinnung, angesichts der geringen Thai- Kenntnisse der Forscherinnen und der oft mangelhaften Kenntnisse der englischen Sprache auf thailändischer Seite, selten von Erfolg gekrönt. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die bestehenden sprachlichen Hürden aufgrund der steigenden Bedeutung der aus dem Ausland zugezogenen Bevölkerungsgruppe in naher Zukunft abgebaut werden. Gerade weil die tendenziell eher wohlhabenden Zu- wanderer große Wertschöpfung in die Region bringen, wird es zunehmend wichtiger, diese Entwicklungen zu kontrollieren, da Konflikte bei so unterschiedlichen sozioöko- nomischen Gruppen leicht auftreten können. Aufgrund der Tatsache, dass die thailän- dische Regierung mit ihren „Retirement Visa“ auch zukünftig auf ein älteres Klientel ausgerichtet ist, es jedoch immer mehr zu einem Auseinanderklaffen zwischen der Lebensweise der Expats und der lokalen Bevölkerung kommt, sollten die Entschei- dungsträger eine „Win-Win“-Situation für beide Seiten erlangen. Die Verfasserinnen hoffen, mit ihrer Arbeit, welche im Herbst 2011 fertig gestellt wird, einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Forschungsstandes in Bezug auf dieses noch relativ unerforschte Phänomen „Amenity Migration“ sowie zur Verbesserung der Kommuni- kation zwischen der lokalen Bevölkerung und den Expats zu leisten. Julia Jöstl & Birgit Wieser - Auf der Suche nach dem Paradies? Einblicke in eine Studie zu „Amenity Migration“ ASEAS 4(1) 172 173 Bibliographie Department of Tourism, Ministry of Tourism and Sport (2011). Tourist arrivals in Thailand. Year 2010. Zuletzt zugegriffen am 04. April 2011 unter http://www.tourism.go.th/2010/en/statistic/tourism. php?cid=31 Howard, R. W. (2008). Western retirees in Thailand: motives, experiences, wellbeing, assimilation and future needs. Ageing and Society, 28, 145-163. Howard, R. W. (2009). The Migration of Westerners to Thailand: An Unusual Flow From Developed to Developing World. International Migration, 47/2, 193-225. Koch-Schulte, J. (2008). Planning for International Retirement Migration and Expats: A case study of Udon Thani, Thailand. MA thesis, University of Manitoba, Canada. Libutzki, O. (2003). Strukturen und Probleme des Tourismus in Thailand. In C. Becker, H. Hopfinger, & A. Steinecke (Hrsg.), Geographie der Freizeit und des Tourismus (S. 679-691). München, Deutschland & Wien, Österreich: Oldenburg Verlag. Müller, D. K. (2002). German Second Home Development in Sweden. In C. M. Hall & A. M. Williams (Hrsg.), Tourism and Migration (S. 169-185). Dordrecht, Niederlande: Kluwer Academic Publishers. Veress, K. 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