Kindersextourismus: Ein südostasiatisches Phänomen? Im Dialog mit Astrid Winkler von ECPAT Austria ASEAS 4(1) 172 173 Im Dialog / In Dialogue Kindersextourismus: Ein südostasiatisches Phänomen? Im Dialog mit Astrid Winkler von ECPAT Austria Michelle Proyer1 Universität Wien, Österreich / ASEAS Redaktion Citation Proyer, M. (2011). Kindersextourismus: Ein südostasiatisches Phänomen? Im Dialog mit Astrid Winkler von ECPAT Austria. ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasienwissenschaften, 4(1), 173-178. Sonne, Meer, Tempel - Nicht allen TouristInnen scheint das genug zu sein, wenn sie sich auf die Reise nach Thailand machen. Lange Zeit schien sexuelle Ausbeutung von Kindern in Form von Prostitution und anderen strafrechtlichen Vergehen auf den südostasiatischen Raum beschränkt. Medien ver- mittelten den Eindruck, dass vor allem Thailand und Kambodscha beliebte Reiseziele für jene wären, die in ihrem Urlaub nach Möglichkeiten für Sex mit Minderjährigen suchten. Ein Gespräch mit der Geschäftsführerin der NGO ECPAT (End Child Prostitution, Child Pornography and Traffi cking of Children for Sexual Purposes) Österreich, Astrid Winkler, macht deutlich, dass regionale Einschrän- kungen fernab der Realität sind, Kindersextourismus nie auf den südostasiatischen Raum beschränkt war. Sun, sea, temples - Not everybody travelling to Thailand seems to be content with that image. Sexual exploitation such as prostitution as well as other forms of crime against children seemed to be focused on South-East Asia. The media have conveyed the impression that especially Thailand and Cambodia are favoured holiday destinations for those seeking sex with minors respectively. An in- terview with the director of the non-governmental organisation ECPAT (End Child Prostitution, Child Pornography and Traffi cking of Children for Sexual Purposes) Austria, Astrid Winkler, shows that regional limitations are not consistent with reality and that child sex tourism has never been restricted to South-East Asia. Michelle Proyer: Jemand, der ECPAT nicht kennt, sollte wissen … Astrid Winkler: ECPAT steht für End Child Prostitution, Child Pornography and Traf- ficking of Children for Sexual Purposes und ist eine internationale Kinderrechtsorgani- 1 Michelle Proyer ist Universitätsassistentin am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien und Mitglied des Redaktionsteams von ASEAS. Das Interview wurde am 22. März 2011 im Büro von ECPAT Österreich durchgeführt. Michelle Proyer - Kindersextourismus: Ein südostasiatisches Phänomen? d o i 10 .4 23 2 /1 0. A SE A S -4 .1 -1 2 ASEAS 4(1) 174 175 sation, die auf Bekämpfung von sexueller Ausbeutung von Kindern in den zentralen Ausprägungsformen Kinderprostitution, Kinderpornographie, Kindersextourismus als Sonderform der Kinderprostitution und Kinderhandel spezialisiert ist. Proyer: Zur Organisation … Winkler: ECPAT ist eine NGO. Die Organisation gibt es in über 80 Ländern. Der Haupt- sitz befindet sich in Bangkok, wo sich die Organisation Ende der 1980er- bzw. zu Beginn der 1990er-Jahre als Kampagne gegen den Kindersextourismus in Asien ent- wickelt hat. Ursprünglich stand das Akronym für End Child Prostitution in Asian Tou- rism. Die beteiligten Organisationen der Kampagne erkannten allerdings bald, dass das Phänomen komplexer ist, Kinderprostitution im Tourismus nur eine Manifestati- on ist. In der Zeitspanne zwischen 1990 und 1996, als der erste Weltkongress gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern in Stockholm in Kooperation mit UNICEF und der schwedischen Regierung stattfand, wurde der Tätigkeitsbereich ausgeweitet. Der Sprung von der Kampagne zur Organisation wurde vollzogen. In Österreich gibt es die Organisation seit 2003, seit 2006 als eingetragenen Verein. Davor war ECPAT Ös- terreich ein informelles Netzwerk, das in der Organisation respect [Institut für integ- rativen Tourismus und Entwicklung, Anm. M.P.], quasi als Fachbereich integriert war. Proyer: Schwerpunkte von ECPAT Österreich in Südostasien … Winkler: Derzeit gibt es diese im südostasiatischen Raum nicht, weil es an Ressour- cen mangelt. Die Frage ist: Woher sollen die finanziellen Mittel herkommen? Die Schwerpunktarbeit von ECPAT liegt bei der Arbeit im eigenen Land. Diese besteht aus Lobbying und Advocacy für Verbesserungen im Bereich der Prävention und Betreuung von sexuell ausgebeuteten Kindern, Monitoring der nationalen Gesetzgebungen, um zu sehen, wie diverse internationale Instrumente umgesetzt werden, so zum Beispiel die Kinderrechtskonvention, und natürlich auch Sensibilisierung und Bewusstseins- bildung, etwa durch Schulungen und Workshops. Wichtig sind für ECPAT Kooperatio- nen und Netzwerkarbeit und die Beteiligung von Jugendlichen. Im ECPAT Österreich Jugendbeirat engagieren sich Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren und führen eige- ne Aktivitäten, wie z. B. Peer-to-Peer Workshops durch. Ein wichtiger Partner mit his- torischer Tradition ist die Tourismuswirtschaft, aber auch andere privatwirtschaftli- che Sektoren wie beispielsweise Internetserviceprovider. Und nicht zu vergessen sind ASEAS 4(1) 174 175 Aktionen wie die derzeit laufende internationale Kampagne Stoppt Sexhandel mit Kin- dern in Kooperation mit dem internationalen Kosmetikunternehmen The Body Shop. Proyer: Vernetzungsaktivitäten im deutschsprachigen Raum … Winkler: Derzeit gibt es eine trilaterale Kampagne, die in erster Linie auf Regierungs- ebene passiert. Die zuständigen Ministerien von Deutschland, Österreich und der Schweiz haben diese Kampagne ins Leben gerufen, eine bisher einmalige Koopera- tion. Es handelt sich um einen Video-Spot, der von Reiseveranstaltern, Hotelketten (z.B. Accor Österreich), der Austrian auf Langstreckenflügen und im öffentlichen Raum gezeigt wird. In diesem werden Reisende bzw. die Bevölkerung dazu aufgerufen, Ver- gehen an Kindern zu melden, um Ermittlungsbehörden zu unterstützen. Generell muss man davon ausgehen, dass ein paar Tausend ÖsterreicherInnen jedes Jahr im Ausland Minderjährige sexuell missbrauchen und ausbeuten. Man ist auf ZeugInnen und Opferaussagen angewiesen, deswegen ist es sehr wichtig, diese Sensibilisierung durchzuführen und Menschen Hinweise zu geben, wohin sie sich wenden können. Proyer: Kontakt mit österreichischen Reiseveranstaltern … Winkler: Es gibt positive Erfahrungen mit einigen wenigen. Zehn Jahre nach der Unterzeichnung des Verhaltenskodex2 durch den Österreichischen Reisebüro Verband (ÖRB), der ungefähr 60 Mitglieder zählt, wäre es wünschenswert gewesen, dass min- destens 80 Prozent der Mitglieder sichtbare Schritte gesetzt, also in ihrem Aktionsra- dius mögliche Maßnahmen des Kodex umgesetzt hätten. Informationen auf der Web- seite zu veröffentlichen, um über die Kampagne zu informieren, wäre das Mindeste. Jene, die eigene Kataloge haben, könnten ein Inserat abdrucken. Wirklich sichtbar ist der Verhaltenskodex nur bei Jumbo Touristik, TUI Österreich, Thomas Cook und teil- weise Verkehrsbüro. Es bräuchte hier ständiges Monitoring. Vielleicht 10 Prozent der Reiseveranstalter haben sichtbar etwas umgesetzt. Proyer: Zur Datenlage … Winkler: In den „Hotspotgebieten“, wie den Tourismuszonen von bspw. Kambod- scha, Thailand, den Philippinen, Kenia, Brasilien, Sri Lanka etc. ist Kindersextouris- 2 Code of Conduct for the Protection of Children From Sexual Exploitation in Travel and Tourism, im Folgenden auch nur als Kodex, Kinderschutzkodex oder Child Protection Code bezeichnet. Michelle Proyer - Kindersextourismus: Ein südostasiatisches Phänomen? ASEAS 4(1) 176 177 mus sehr offensichtlich. Sehr junge Prostituierte kann man überall finden. Es handelt sich nicht um ein verstecktes Phänomen. Wirklich versteckt ist die Prostitution von kleinen Kindern. Einschlägige pädophile Netzwerke haben hier eigene Kontakte. Teil- weise erhalten wir auch von im Tourismus Tätigen (Hotelangestellte, TaxifahrerInnen etc.) einschlägige Informationen. Vereinzelt findet man aber auch noch – eher unbekannte – Reiseve- ranstalter, die in diesem Segment Gewinn machen wollen. Weiters gibt es ein sehr dichtes Netzwerk an ECPAT-Partnerorganisation oder Affiliates, die Daten erheben. Das sind keine statistischen Daten, da solche in diesem Bereich schwer zu erheben sind. Es werden lokale Assessments erstellt, die In- formationen darüber enthalten, wo sich Hotspots befinden. Jeder/m TouristIn könnte Kindersextou- rismus auffallen, es bedarf keiner speziellen Schu- lung. Proyer: Tendenzen in der Gesetzgebung der be- troffenen Länder und Regionen… Winkler: Es ist eine eindeutige Tendenz zu beob- achten, dass die Gesetzgebungen strenger werden. Das Problem ist die Umsetzung der Gesetze, die Korruption. Ein weiteres Problem stellt das Faktum dar, dass die Ausbeutung oft im Einverständnis mit der Lokalbevölkerung oder der Familie passiert. Das Phänomen ist sehr vielschichtig und die Sicht aus unterschiedlichen Perspektiven notwendig. So gering teilweise das Unrechtsbewusstsein unter den Reisenden oder unter GelegenheitstäterInnen ist, gibt es dieses fehlende Unrechtsbewusstsein auch auf der anderen Seite. Proyer: Ende des Kindersextourismus - Wegfall einer wichtigen Einnahmequelle … 1. Einführung einer Firmenphilosophie (Leitbild), welche sich eindeutig ge- gen die kommerzielle sexuelle Aus- beutung von Kindern ausspricht. 2. Sensibilisierung und Ausbildung der Mitarbeitenden/Beschäftigten im Herkunftsland und im Zielland der Reisenden. 3. Aufnahme von Klauseln in den Ver- trägen mit LeistungsträgerInnen, welche die gemeinsame Ablehnung von kommerzieller sexueller Ausbeu- tung von Kindern deutlich machen. 4. Informationsvermittlung an die Kun- dinnen und Kunden betreffend die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern mit dem Faltblatt »Klei- ne Seelen – große Gefahr« oder ande- ren geeigneten Mitteln. 5. Zusammenarbeit (Informationsver- mittlung) mit den Destinationen. 6. Jährliche Berichterstattung über die durchgeführten Maßnahmen Kriterien des Kinderschutzkodex Quelle: The Code (o.D.) ASEAS 4(1) 176 177 Winkler: Wenn die Polizei ermittelt und ZeugInnen sagen Dinge wie: „da war nichts, der/die hat nur Schulgeld bezahlt“, wird es schwer die Sachlage vor Gericht zu brin- gen. Andererseits haben viele Länder, zum Beispiel Kambodscha, nicht zuletzt auf- grund der starken Präsenz einer NGO, die nicht zum ECPAT-Netzwerk gehört, extre- me Fortschritte gemacht, auch in Bezug auf die Strafverfolgung. Proyer: Verschiebung der Hotspots … Winkler: Kindesmissbrauch ist nichts Neues. Das Phänomen hat im Lauf der Zeit und in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Ausprägungen angenommen. Alle Kulturen haben dafür rationalisierende Erklärungen gefunden. Ansonsten geht er einher mit steigenden Tourismuszahlen. Rasche Tourismusentwicklung übt einen gewissen Sog aus. Es gibt ein klares sozio-ökonomisches Gefälle zwischen Reisenden und der Gesellschaft vor Ort. In vielen Destinationen hat Kindersextourismus eine lange Tradition. Sexuelle Straftaten gegen Kinder sind bei weitem nicht mehr auf Asi- en beschränkt. Dieses Bild, dass es nur in Thailand oder hauptsächlich in Südostasien ein Problem ist, hat sich aber ganz tief eingeprägt. Proyer: Der/die typische KindersextouristIn … Winkler: Es gibt keinen Steckbrief, der den typischen Kindersextouristen oder die typische Kindersextouristin charakterisiert. Nicht jede/r steigt als KindersextouristIn ins Flugzeug. Täter verbinden mit der Urlaubsillusion und -vorstellung Sex. Es gibt eine relativ große Zielgruppe, zu der auch Geschäftsreisende gehören. Prostituierte oder Escortservices gehören manchmal zum ganz normalen „After-Business-Vergnü- gen“ und werden teilweise von den GeschäftskollegInnen vor Ort organisiert. Häufig genügt es, wenn ein/e ReisendeR so etwas nicht ausschließt. Der nächste Schritt ist dann ein relativ kleiner. Es kommen bestimmte Faktoren dazu: Man ist weit weg vom sozialen Umfeld, also von der normalen sozialen Kontrolle befreit. Sand, Sonne, Alkohol – man gönnt sich mal was, was man sonst vielleicht nicht machen würde… Proyer: Das Reiseziel… Winkler: Es gibt natürlich bestimmte Problemziele, die bekannt sind. Diese sind aber definitiv nicht auf den südostasiatischen Raum beschränkt, auch die Karibischen In- seln, etwa Kuba, gehören dazu. In Südostasien gibt es neuerdings Meldungen aus Michelle Proyer - Kindersextourismus: Ein südostasiatisches Phänomen? ASEAS 4(1) 178 179 Myanmar. Dort soll mittlerweile vieles möglich sein. Man kann das Phänomen also wirklich nicht auf bestimmte Regionen einschränken. Proyer: Aktivitäten im Bereich des Tourism Child Protection Code… Winkler: Die wichtigsten PartnerInnen, die den Kodex in Österreich unterzeichnet haben, sind der ÖRV (Österreichischer Reisebüro Verband) – dieser hat als Verband den Verhaltenskodex für alle seine Mitglieder unterzeichnet – und ACCOR Österreich. ECPAT erwartet sich von der trilateralen Kampagne auf Regierungsebene, wo ECPAT- Organisationen aller drei Länder eingebunden sind, zusätzlichen Anstoß. Weiters hat erstmals auf der Ferienmesse in Wien ein Corporate Social Responsibility (CSR)-Tag stattgefunden, wo ECPAT in Rahmen einer Kooperation eingebunden war und die es auch im kommenden Jahr wieder geben soll. ECPAT nützt also jede Gelegenheit. In- ternational gesehen ist es wichtig, dass die ITB Berlin (Internationale Tourismus-Börse) (ITP) als Messe den Child Protection-Code im März 2011 unterzeichnet hat. Proyer: Zukunft des Kinderschutzkodex (Child Protection Code) … Winkler: Es konnte ein großer Erfolg beim Fundraising erzielt werden, um eine pro- fessionelle Struktur aufzubauen. Noch 2011 wird ein Headquarter in Bangkok ein- gerichtet, da hier auf langjährige Erfahrung zurückgegriffen werden kann. Weiters sollen bald drei Regionalstellen für voraussichtlich Europa, Afrika und die Amerikas entstehen. Die größte Herausforderung für die kommenden Jahre, neben Struktur- schaffung, wird darin bestehen, ein praktikables und standardisiertes Prozedere für internes und externes Monitoring der Umsetzung der sechs Kriterien des Kinder- schutzkodex zu entwickeln. Proyer: Vielen Dank für das Gespräch. Bibliographie The Code. (o.D.). Code of Conduct for the Protection of Children From Sexual Exploitation in Travel and Tou- rism. Zuletzt zugegriffen am 30.Mai 2011 unter http://www.thecode.org ECPAT International. (o.D.). Webseite. Zuletzt zugegriffen am 1.Juni 2011 unter http://www.ecpat.net ECPAT Österreich. (o.D.). Webseite. Zuletzt zugegriffen am 1.Juni 2011 unter http://www.ecpat.at