Rezension: Schröter, S. (Hrsg.) (2010). Christianity in Indonesia: Perspectives of Power ASEAS 4 (2) 342 343 Rezensionen / Book Reviews Schröter, Susannne (Hrsg.) (2010). Christianity in Indonesia: Perspectives of Power. Münster, Deutschland: LIT Verlag. ISBN: 978-3-643-10798-5. 420 Seiten. Citation Warta, C. (2011). Rezension: Schröter, S. (Hrsg.) (2010). Christianity in Indonesia: Perspectives of Power. ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasienwissenschaften, 4(2), 343-348. Der Sammelband Christianity in Indonesia ist das Resultat der 2003 an der Goethe- Universität Frankfurt abgehaltenen, gleichnamigen Konferenz, deren Resultate, wie die Herausgeberin Susanne Schröter bemerkt, in Abstimmung mit ihrem damaligen Mitveranstalter Edwin Wieringa, nicht publiziert wurden. Der Grund dafür war die Schwierigkeit, aus unterschiedlichsten Wissenschaftsrichtungen kommende Beiträge in einer Publikation zu vereinen. Stattdessen entschied sich die Herausgeberin für einen Sammelband aus sozialanthropologischer Perspektive „in the broadest sense“ (S. 5), der auf der besagten Konferenz aufbaut und im Laufe der Jahre durch zusätzliche Bei- träge ergänzt wurde. Schröters Anspruch blieb jedoch bestehen, nämlich sozial- und kulturwissenschaftliche, politikwissenschaftliche, philosophische, historische und letztendlich auch theologische Zugänge im Rahmen eines interdisziplinären Ansatzes mit sozialanthropologischem Fokus zu vereinen und dadurch neue Erkenntnisse zum Christentum in Indonesien bereitzustellen. Das Ergebnis ist ein thematisch äußerst weitgefasster Sammelband, dessen Beiträge sich nicht nur qualitativ unterscheiden, sondern auch die Grenzen des Regionalgebiets Indonesien sprengen. Trotz der etwas schwierig nachvollziehbaren Auswahl der Beiträge und den nicht immer zu erkennen- den Zusammenhängen beurteile ich den vorliegenden Sammelband gerade aufgrund seiner vielfältigen Zugänge als durchaus lesenswert und bezeichne ihn als einen er- sten gewagten Schritt in die interdisziplinäre Beschäftigung mit dem Christentum in Indonesien. Bevor ich näher auf den Inhalt eingehe, bedarf es noch einer kurzen Erklärung zur Anthropologie des Christentums: Innerhalb der Sozialanthropologie entwickelte sich in den letzten Jahren ein zunehmendes Interesse am Christentum, was an einer Christian Warta - Rezension: Christianity in Indonesia d o i 10 .4 23 2 /1 0. A SE A S -4 .2 -1 1 ASEAS 4 (2) 344 345 Vielzahl an Publikationen sichtbar ist und Fenella Cannell 2006 dazu veranlasste eine Anthropology of Christianity zu etablieren. Dieses Interesse entsprang unter anderem Debatten über die Rückkehr des Religiösen als Reaktion auf die Globalisierung und den damit verbundenen Umbrüchen bestehender Weltordnungen. In diesen durch- aus kontroversen Auseinandersetzungen wird nicht nur das Fortbestehen des Nati- onalstaats in Frage gestellt, sondern auch ein Ende des säkularen Zeitalters thema- tisiert. Folglich befasst sich die Anthropologie des Christentums vorzugsweise mit transnationalen, politisch-religiösen Kräften, die, in lokalen Kontexten analysiert, als Einzelstudien zum Gesamtbild eines sich neu formierenden Christentums beitragen. Besonderes Augenmerk gilt dabei den religiösen Bewegungen in postkolonialen Ge- sellschaften. In manchen Regionen, beispielsweise in Melanesien, manifestierte sich das Christentum oft auch in sogenannten Ethno-Theologien, die von westlichen theo- logischen Auslegungen abweichen, sich jedoch wesentlich an biblischen Inhalten ori- entieren und diese auch zur Grundlage politischen Handelns machen. In diesem Um- gestaltungsprozess, in dem sich traditionelle religiöse Vorstellungen mit christlichen arrangieren, spielen neuere transnationale religiöse Bewegungen, wie beispielswei- se das charismatische Pfingstlertum, eine bedeutende Rolle. Letzteres kennzeichnet sich teilweise durch eine relativ stark ausgeprägte Intoleranz gegenüber anderen re- ligiösen Auffassungen, was sich auch in Indonesien in einem zunehmend angespann- ten Verhältnis zum Islam bemerkbar macht. In Verbindung zu diesen transnationalen religiösen Kräften ist auch die landesweite Revitalisierungsbewegung von Tradition und Brauchtum (Adat) zu sehen, die seit dem erzwungenen Rücktritt von Präsident Suharto im Jahre 1998 im Rahmen der derzeitigen Dezentralisierungspolitik zuneh- mend an Einfluss gewinnt. Interessanterweise ist die Revitalisierung von Adat dort am stärksten, wo der Islam vergleichsweise schwächer ausgeprägt ist, was sich auch in den ethnographischen Beiträgen dieses Sammelbandes reflektiert, von denen sich die meisten mit ethno-religiösen Konflikten im Osten Indonesiens beschäftigen. Wie sich transnationale religiöse Strömungen gepaart mit der Revitalisierung von Adat auf die Zukunft Indonesiens auswirken und mit dem pluralistischen Nationalstaat vereinen lassen, ist daher die primäre Frage der Gegenwart. Vor diesem Hintergrund sollte Christianity in Indonesia gelesen werden. Bereits in der Einleitung wird deutlich, dass der Sammelband auf religiöse Konflik- te fokussiert. Nach einem kurzen historischen Überblick führt das Überblickskapitel ASEAS 4 (2) 344 345 in die Gegenwart, wo es mit einer Darstellung der Revitalisierung des indonesischen Islam und damit verbundenen interreligiösen Spannungen abschließt. Spätestens hier wäre die Erwähnung eines sich ebenfalls „revitalisierenden“ und keineswegs passiven Christentums wünschenswert. Eine genauere Auseinandersetzung mit der Geschichte des Christentums bieten die ersten drei Kapitel. Den mit über 50 Seiten längsten Beitrag verfasste der Theo- loge Olaf Schuman, der nicht nur Indonesien, sondern auch Malaysia und Brunei miteinbezieht. Schuman zeigt vor allem die Verflechtungen von Kolonisierung und Missionierung auf, betont aber gleichzeitig, dass diese keine neue Erkenntnis sei. Die- sem kirchengeschichtlich durchaus interessanten und detaillierten Beitrag folgt eine Exkursion ins Britische Malaya der Jahre 1890 bis 1928. Auch dieser vom Südostasien- wissenschafter Holger Warnk verfasste Text, der sich der Produktion von malaiischen Schulbüchern widmet, zeigt auf anschauliche Weise, wie koloniale Bildungspolitik und Mission sich ergänzten, nicht zuletzt um westliche Werte und Konzepte zu ver- breiten. Mit dem Beitrag des interkulturellen Theologen Karel Steenbrink verlagert sich dann der Fokus – dem Buchtitel entsprechend – wieder auf Indonesien. Mit Haupt- augenmerk auf die katholische Kirche thematisiert Steenbrink die Macht des Geldes. Dabei zeigt er auf, wie die katholische Kirche sich durch internationale Entwicklungs- projektgelder einen weitgehend autonomen Status aufbauen konnte und zu einer mächtigen Institution in den Schlüsselbereichen Bildung, Gesundheit und Medien he- ranwuchs. Internationale Finanztransfers, die dies lange Zeit ermöglichten, wurden 1978 von der Regierung strikten Reglements unterworfen und mehr oder weniger zur Staatsangelegenheit gemacht. Steenbrink erwähnt in seiner Conclusio auch die islamischen Bildungseinrichtungen, die seit den 1990er-Jahren zunehmend mit den kirchlichen Institutionen gleichziehen und gibt seiner Verwunderung Ausdruck, dass diese auffällige Konkurrenz im innerkirchlichen Dialog bisher kaum Erwähnung fand. Damit kündigt Steenbrink auch schon den Schwerpunkt des zweiten Teils dieses Sam- melbandes an, nämlich die gegenwärtige Konkurrenz von Islam und Christentum in Indonesien. Zuvor aber betonen die Beiträge von Susanne Schröter und Raymond Corbey die innerchristliche Konkurrenz und die unterschiedlichen Auswirkungen protestanti- scher und katholischer Missionstätigkeit auf lokale religiöse Vorstellungen. Während Christian Warta - Rezension: Christianity in Indonesia ASEAS 4 (2) 346 347 Schröters ethnographische Studie zum indigenisierten Katholizismus der Ngada auf der Insel Flores die Toleranz der katholischen Kirche gegenüber traditionellen Glau- benselementen positiv hervorhebt und darin einen wesentlichen Unterschied zur protestantischen Kirche erkennen lässt, greift Corbey in seinem undifferenzierten, historischen Beitrag das bereits ausführlich behandelte Thema der destruktiven Aus- wirkungen missionarischer Tätigkeit auf. Im Gegensatz zur eher indirekten Befassung mit religiösen Konflikten im ersten Teil des Bandes, weist der zweite Teil bereits in der Überschrift explizit auf diese hin: Lokale Konflikte, religiöse Rhetorik und praktizierter Pluralismus in Indonesien sind behandelte Themen. Die kulturanthropologischen Beiträge von Susanne Rodemeier und Dieter Bartels betonen vorerst die Rolle des lokalen Adat und sehen dieses als Grundlage friedlicher Koexistenz. Während Rodemeier den Verlust einer auf gemein- samen Ahnenvorstellungen aufgebauten Identität als mögliche Ursache für zukünf- tige religiöse Konflikte im Alor-Pantar-Archipel interpretiert, zeigt Dieter Bartels an- hand der Molukken, wie der regulierende Einfluss des lokalen Adat mit zunehmender staatlicher und religiöser Institutionalisierung zu schwinden begann, und erkennt darin auch die primäre Ursache für den im Jahre 1999 zwischen ChristInnen und Mus- limInnen ausgebrochenen Molukken-Konflikt. Die Sozial- und Kulturanthropologin Birgit Bräuchler untersucht hingegen die Re- präsentationen des Molukken-Konflikts im Internet. Deutlich zeigt die Autorin auf, wie ethnische Zugehörigkeiten durch religiöse Identitäten überlagert wurden und die ursprünglich für ihre guten interreligiösen Beziehungen bekannte Bevölkerung sich entlang religiöser Linien spaltete. Moderne Kommunikationstechnologien spielten dabei eine wesentliche Rolle, denn sie ermöglichten nicht nur Allianzen mit außen- stehenden AkteurInnen, sondern auch ein Forum für die Repräsentation des Konflikts im virtuellen Raum. Über die lokale Ebene und den Einfluss des Staates hinaus be- einflusste das strategisch eingesetzte Internet nicht nur den Konflikt selbst, sondern ermöglichte auch die Betonung religiöser Identitäten auf nationaler und transnati- onaler Ebene. Bräuchlers Beitrag ist äußerst zeitgemäß und richtungsweisend, ob- wohl er bereits in ähnlichen Versionen internationale Bekanntheit erlangte. Konflikte werden heute zunehmend auch über das Internet ausgetragen und können daher nicht mehr als lokale, von globalen Einflüssen unberührte, Phänomene verstanden werden. Insofern wäre es wünschenswert, wenn Bräuchlers Zugang auch in anderen ASEAS 4 (2) 346 347 Christian Warta - Rezension: Christianity in Indonesia Konfliktregionen Anwendung finden würde. Mit muslimisch-christlichen Rivalitäten und religiös gefärbten nationalistischen Ansprüchen beschäftigt sich der informative Beitrag der Kulturanthropologin Lorraine V. Aragon, die davor warnt, den in den spä- ten 1990er-Jahren ausgebrochenen Poso-Konflikt in Zentral-Sulawesi als rein religiös motiviert zu interpretieren. Vielmehr definiert die Autorin Transmigrationsbewegun- gen und den Kampf um natürliche Ressourcen als wesentliche Grundmotive. Dabei beschränkt sich ihr Blick keineswegs auf das Lokale, sondern betrachtet auch natio- nale und transnationale Faktoren, um zu verstehen, wie Migration, wirtschaftlicher Druck und Staat auf die unterschiedlichen religiösen Gruppen einwirkten. Aragon zeigt hier hervorragend auf, dass lokale Phänomene erst durch diesen transnationa- len Blick erklärbar werden. Einen ähnlichen Weitblick weisen auch die Beiträge des Kulturanthropologen Sven Kosel und des Islamwissenschaftlers Hasan Noorhaidi auf, die sich beide mit Themen beschäftigen, die heute das östliche Indonesien in Bewe- gung setzen. Sven Kosel geht der Frage nach, inwieweit die vorwiegend christlichen Minahasa im Norden von Sulawesi aufgrund ihrer religiösen und ethnischen Iden- tität eine Unabhängigkeit von Indonesien anstreben. Dazu konzentriert er sich auf religiös-politische Bewegungen, insbesondere auf christlich-paramilitärische Grup- pen. Diese sehen sich selbst als Verteidiger des durch die Pancasila-Staatsideologie garantierten religiösen Pluralismus und formieren sich gegen eine befürchtete Is- lamisierung. Kosel relativiert hier das Bild eines defensiven Christentums und zeigt am Beispiel von Nordsulawesi, was auch in Papua für Zündstoff sorgt, nämlich die Verbindung von Christentum und Unabhängigkeit. Hier schließt auch der Beitrag von Hasan Noorhaidi an, der sein Augenmerk auf die Christianisierungsvermutungen fun- damentalistischer islamischer Gruppierungen legt. Noorhaidi kommt auf die vorwie- gend im östlichen Indonesien verbreiteten Verschwörungstheorien einer gegen den Islam gerichteten jüdisch-christlichen Allianz zu sprechen. Die Annahme einer globa- len zionistisch-christlichen Verschwörung, so der Autor, dient radikalen islamischen Gruppierungen als Legitimation für ihr gegen das Christentum gerichtetes Auftreten. Davon, dass derartige Gerüchte nicht nur in Nordsulawesi, sondern auch in den Mo- lukken und Papua zirkulieren, konnte ich mich bei meinen aktuellen Forschungen selbst überzeugen. Auch in diesem hervorragenden Beitrag werden die essentiellen Zusammenhänge von lokalen Konflikten und nationalen bzw. transnationalen Bewe- gungen ersichtlich. ASEAS 4 (2) 348 349 Religionsfreiheit wird heute mehr denn je infrage gestellt, resümiert schließlich der Philosoph und Jesuit Franz Magnis-Suseno, der im Schlusswort dieses Sammel- bandes über den religiösen Pluralismus in Indonesien reflektiert. Ob bzw. wie die Wahrheitsansprüche abrahamitischer Religionen mit dem Ideal einer pluralistischen Gesellschaft vereinbar sind, werde die Zukunft der indonesischen Gesellschaft we- sentlich mitbestimmen. Noch sieht Magnis-Suseno die lange Tradition der interkul- turellen und interreligiösen Koexistenz als wichtigste gesellschaftliche Kraft für ein friedliches Miteinander. Inwieweit religiöse Radikalisierung dieses Miteinander in ein Gegeneinander umkehren kann, werde laut Magnis-Suseno davon abhängen, wie sehr Korruption die Schere zwischen Arm und Reich noch öffnen wird. Die Herausforderung dieses vielfältigen und lesenswerten Sammelbands liegt nicht zuletzt bei dem auf die Sozialanthropologie fokussierten, jedoch interdisziplinä- ren Anspruch der Herausgeberin. Ein derartiger Ansatz ist wichtig, denn die Ansicht, dass eine Anthropologie des Christentums von der Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftsdisziplinen profitiert, setzt sich immer stärker durch. Nicht nur in der postkolonialen Welt durchläuft das Christentum heute grund- legende Veränderungen – die zahlreichen nordamerikanischen evangelikalen Meg- akirchen, deren Einfluss auch in Indonesien von Bedeutung ist, stellen dies lebhaft unter Beweis. Einen Beitrag zu evangelikalen, prophetisch-charismatischen, pfingst- lerischen Strömungen vermisse ich in diesem Sammelband. Ebenso wünschenswert wäre es gewesen, wenn Papua etwas mehr Erwähnung gefunden hätte, zumal es sich bei dieser Region im wahrsten Sinne des Wortes um eine von den transnationalen Strömungen betroffene religiöse frontier handelt. Zweifelsfrei macht sich im heutigen Zeitalter der Globalisierung und im Zuge des Neoliberalismus ein Trend zum Religiösen bemerkbar, der als Reaktion auf sich ver- ändernde Normen und Ordnungen zu verstehen ist. Davon ist auch Indonesien nicht ausgeschlossen, wo lokale Konflikte keineswegs unabhängig von nationalen und transnationalen religiösen Bewegungen zu verstehen sind. Insofern lese ich Christia- nity in Indonesia primär als eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit religiösen Konflikten, denn darin erkenne ich den roten Faden, der die unterschiedlichen Beiträ- ge verbindet. Christian Warta École française d’Extrême-Orient