Das philippinische Gesetz zur reproduktiven Gesundheit und seine Bedeutung für feministische sowie entwicklungspolitische (Bildungs-)Arbeit ASEAS 5(1) 160 161 Forschungswerkstatt / Research Workshop Das philippinische Gesetz zur reproduktiven Gesundheit und seine Bedeutung für feministische sowie entwicklungspolitische (Bildungs-)Arbeit Michael Reckordt1 Citation Reckordt, M. (2012). Das philippinische Gesetz zur reproduktiven Gesundheit und seine Bedeutung für fe- ministische sowie entwicklungspolitische (Bildungs-)Arbeit. ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasienwissen- schaften, 5(1), 161-165. Das Philippinenbüro arbeitet im Bereich der politischen Bildungsarbeit seit Jahren zu Themen, die die philippinische Zivilgesellschaft bewegen. Der 1987 gegründete Verein kann auf eine Vielzahl an Seminaren und Publikationen zurückblicken, in denen er Themen der philippinischen Zivilgesellschaft identifizierte und versuchte, eine Sensi- bilisierung für diese Diskussionen im deutschsprachigen Raum zu erreichen. Ziel der politischen Bildungsarbeit ist ein reger Austausch sowie ein gegenseitiges Verstehen und Lernen. Selten zuvor war ein Thema so schwer aufzuarbeiten, wie das Seminar zu reproduktiver Gesundheit in den Philippinen, welches am 24. und 25. März 2012 abgehalten wurde. Bereits bei der Vorbereitung dieses Seminars war es schwieriger als sonst, ReferentInnen und GeldgeberInnen von der Notwendigkeit einer Diskussion über die Reproductive Health Bill in Deutschland zu überzeugen. Unserer Ansicht nach ging es dabei weniger um die Relevanz des Themas in der entwicklungspolitischen Debatte, wie die Betonung der Millenniumentwicklungsziele2 vielfach zeigt, als da- rum, dass einzelne Organisationen und Personen befürchteten, zu einer Positionie- rung gezwungen zu werden. Außer der Stiftung Umverteilen und dem AKE Bildungs- werk Vlotho ließen sich daher keine PartnerInnen gewinnen. Zur Einstimmung des Seminars „Die Diskussion um das philippinische Reproduc- 1 Michael Reckordt ist Geograph und arbeitet seit 2008 im philippinenbüro, dessen Geschäftsführer er seit 2009 ist. Im Rahmen einer Philippinenreise im Jahr 2011 führte er viele Interviews mit AktivistInnen zum Thema reproduktive Gesundheit. Kontakt: michael.reckordt@asienhaus.de 2 Das fünfte Millenniumentwicklungsziel behandelt die Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Müttern und möchte zwischen 1990 und 2015 die Sterberate von Müttern um drei Viertel senken sowie bis 2015 einen allgemeinen Zugang zu reproduktiver Gesundheit erreichen. d o i 10 .4 23 2 /1 0. A SE A S -5 .1 -1 0 ASEAS 5(1) 162 163 tive Health Gesetz – Ursachen und die Bedeutung für feministische sowie entwick- lungspolitische (Bildungs-)Arbeit“ wurden thematisch passende Fotoimpressionen aus den Philippinen gezeigt. Viele Kirchen, religiöse Einrichtungen und Einzelperso- nen zeigen ihre Ablehnung durch großflächige Plakate, während die BefürworterIn- nen des Gesetzes ihre Unterstützung ebenfalls sichtbar mit Demonstrationen auf die Straße tragen. Nach dem visuellen Einstieg führte Maitet Ledesma von Pinay sa Holland-GABRIELA, einem niederländischen Netzwerk philippinischer Migrantinnen, das der philippini- schen Partei GABRIELA nahesteht, in den Gesetzesentwurf und die damit verbundene Diskussion ein. Sie zeigte die historischen Kontinuitäten der Probleme und sozialen Kämpfe um dieses Gesetz auf. In einem Vergleich mit anderen Ländern in der Region Südostasien fielen vor allem die hohe Sterberate von Müttern bei der Geburt, die hohe Anzahl an illegalen Schwangerschaftsabbrüchen sowie der Wunsch vieler Frau- en nach einer besseren Familienplanung auf (siehe dazu auch den Beitrag von Marina Wetzlmaier in der vorliegenden ASEAS-Ausgabe). In der anschließenden Diskussion wurde die Rolle der katholischen Amtskirche thematisiert, die die stärkste Oppositi- on gegen das Gesetz stellt. Die Diskussion ist in den Philippinen hochgradig emotio- nal aufgeladen und selbst Personen wie der Jesuit John Carroll, der sich als Vermittler anbieten würde, wird für seine Positionierung drastisch angegriffen. Obwohl einige Ordensgemeinschaften größere Freiheiten bei einer Positionierung zu dem Gesetz haben, äußern sie sich ebenfalls nur sehr vorsichtig. In der Diskussion wurde auch angemahnt, dass progressive Bischöfe gestärkt werden müssten. Um das Thema nicht allein aus der philippinischen Perspektive zu diskutieren, sondern auch einen Bezug zum politischen Diskurs in Deutschland herzustellen, be- richtete Jutta Kühl, ehemalige Referentin für feministische Politik der Partei Die Linke, im Anschluss an den Vortrag von Maitet Ledesma über reproduktive Gesundheit in Deutschland. Aus ihrer Sicht sind Debatten im Bundestag, welche diese Thematik betreffen, in der Regel entideologisiert und der Fraktionszwang ist aufgehoben. Das ist auf der einen Seite positiv, weil die Meinungsbildung mit offenerem Ausgang ge- schieht. Auf der anderen Seite wird somit aber auch die Diskussion stärker entpoliti- siert, da sich keine konservativen, sozialdemokratischen oder linken Positionen iden- tifizieren lassen und die Entscheidungen der PolitikerInnen individualisiert werden. Dadurch wird die (frauen-)politische Dimension aus der Diskussion genommen, ein- ASEAS 5(1) 162 163 zelne PolitikerInnen aus denselben Parteien können gar entgegengesetzte Meinungen vertreten und ethische Argumente dominieren. Für die WählerInnen bedeutet dies auch, dass sie de facto durch ihre Stimme für eine bestimmte Partei die Diskussion nicht mit gestalten können. Doch nicht nur die Entpolitisierung der Diskussion ist zu bemängeln. Tatsächlich haben sich durch die Hartz IV-Gesetzgebung und Umgestal- tungen in der Gesundheitspolitik für Frauen in Deutschland einige grundlegende Din- ge verändert. So ist zum Beispiel die Pille als Verhütungsmittel für Frauen ab dem 20. Lebensjahr nicht mehr kostenlos erhältlich. Die betroffenen Frauen müssen sowohl Praxisgebühren als auch die Kosten für die Pille selbst übernehmen, was vor allem für ärmere Bevölkerungsschichten, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, eine finanzielle Hürde darstellen kann. Im Endeffekt führt es dazu, dass Familienplanung für ärmere Familien schwieriger wird. Ein anderer Punkt ist, dass in Deutschland der Zugang zur „Pille danach“ eingeschränkt ist. Diese Pille ist keine Abtreibungspille, sondern lässt den Zyklus schneller beginnen und sorgt zum Beispiel nach gerissenen Kondomen oder Vergewaltigungen dafür, dass eine unfreiwillige Schwangerschaft verhindert wird. In vielen europäischen Ländern ist diese Pille in Apotheken frei zu- gänglich, in Deutschland ist sie immer noch verschreibungspflichtig, obwohl dies 2002 von der EU und 2003 von einem Sachverständigenrat kritisiert wurde. Vor allem in Regionen mit niedriger ÄrztInnendichte und für Frauen ohne Dokumente kann dies zu ungewollten Schwangerschaften führen. Am 25. März 2012 stellten Eleanor Koch und Elsie Joy dela Cruz die Positionen der MigrantInnen in Deutschland sowie die Position der United Church of Christ in the Philippines (UCCP) vor. Eleanor Koch von PhilNetz, einem Verein, der sich aus der philippinischen Diaspora in Deutschland gegründet hat und als Netzwerk an Themen zur Integration und Entwicklungszusammenarbeit arbeitet, zeigte anhand ihrer eige- nen Biographie Kontinuitäten in der Diskussion auf. Zur Zeit des Kriegsrechtes in der Marcos-Diktatur arbeitete sie als Lehrerin auf den Philippinen, nahm an Fortbildun- gen teil und wurde zur Gesundheitsarbeiterin ausgebildet. In diesem Zusammenhang wurden Trainingsworkshops angeboten und auch Verhütungsmittel wie Kondome verteilt. Marcos hatte 1967 die Population Control Bill unterschrieben, ein Projekt, das von der United States Agency for International Development (USAID) finanziert worden war, um das Bevölkerungswachstum einzudämmen. In diesem politischen Ziel ist gleichzeitig der Hauptwiderspruch zum heutigen Gesetzentwurf zu sehen, denn es Michael Reckordt - Das philippinische Gesetz zur reproduktiven Gesundheit ASEAS 5(1) 164 165 geht den AktivistInnen von Organisationen wie Likhaan - eine philippinische NGO, die Gesundheitsversorgung für marginalisierte Frauen anbietet und deren Mitglieder sich aktiv für die RH Bill einsetzen - oder GABRIELA aktuell darum, Frauen und ihren Familien die Wahlfreiheit zu ermöglichen, wie viele Kinder sie bekommen möchten, und nicht darum, der Bevölkerung eine ideale Familiengröße aufzuzwingen. Der Slo- gan lautet „Freedom of choice“ ohne staatlichem Zwang zu einer Zwei-, Drei- oder Vier-Kindpolitik. Eleanor Koch berichtete auch, dass in der philippinischen Diaspora in Deutschland die Unterstützung für das Gesetz überwiegt. Dennoch sei die Diskus- sion eine sehr persönliche Sache und es mangele vor allem an Informationen über das Gesetz als auch über Verhütungsmethoden. Zum Abschluss referierte Elsie Joy dela Cruz über die Position der UCCP. Sie ist Pastorin der UCCP und freie Mitarbeiterin bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Deutschland. Die UCCP ist eine sogenannte Mainline Church, eine modera- te protestantische Kirche, deren theologische Ansätze als offen für gesellschaftliche Veränderungen gelten. Im Gegensatz zur katholischen Amtskirche unterstützen viele protestantische Kirchen offiziell das Gesetz und somit die Frauenrechtsgruppen. Die VertreterInnen der UCCP haben sich mehrfach öffentlich, in Zeitungen oder durch Presseerklärungen für die Reproductive Health Bill ausgesprochen. Elsie Joy dela Cruz stellte Übereinstimmungen mit vielen Positionen der Frauenrechtsgruppen vor, be- tonte auf der anderen Seite aber auch, dass das Thema nicht im Zentrum der politi- schen Arbeit der UCCP stehen würde. Im Anschluss an den Vortrag wurde die Rolle der Kirchen thematisiert und einige der Teilnehmenden konnten aus ihrer eigenen Biographie – und vor allem aus dem Besuch von religiösen Schulen – die Diskussion bereichern. Eine Teilnehmerin sagte, dass Deutschland und die Philippinen in verschiedenen Zeiten leben würden. Eine andere Teilnehmerin widersprach dem vehement und betonte, dass dies vielleicht für den religiösen Konservatismus stimme, jedoch die Mittelschicht in den urbanen Zentren der Philippinen, die eine durchschnittliche Anzahl an Kindern habe, die mit Europa oder den USA vergleichbar ist, im Bezug auf die RH Bill mit Sicherheit nicht rückwärtsgewandter sei. Zum Abschluss folgte eine Diskussion, inwieweit auch die TeilnehmerInnen in Deutschland in die Diskussion eingreifen, PartnerInnen in den Philippinen unterstüt- zen und Informationsarbeit zu dem Thema entwickeln können. Dem Philippinenbüro ASEAS 5(1) 164 165 wurde vor allem der Auftrag erteilt, weiter an diesem Thema zu arbeiten sowie Infor- mationsmaterialien zu erstellen und zu verteilen. Ein möglicher Ansatzpunkt, diese Arbeit besser zu verankern, könnten die Millenniumsentwicklungsziele sein, die bis 2015 erreicht werden sollten. Auch die Erfahrungen und der Austausch von feminis- tischen AktivistInnen in Deutschland und den Philippinen könnten eine Möglichkeit darstellen, durch gegenseitiges Lernen reproduktive Gesundheit als Thema in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Weitere Informationen, der Seminar-Reader sowie die Präsentationen sind allen Interessierten online unter www.philippinenbuero.de zugänglich. Michael Reckordt - Das philippinische Gesetz zur reproduktiven Gesundheit