Entwicklungs- und Gesundheitsarbeit des Österreichischen Roten Kreuzes in Südostasien: Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner ASEAS 5(1) 174 175 d o i 10 .4 23 2 /1 0. A Se A S -5 .1 -1 2 Im Dialog / In Dialogue Entwicklungs- und Gesundheitsarbeit des Österreichischen Roten Kreuzes in Südostasien: Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner Anna-Sophie Tomancok1 Citation tomancok, A.-S. (2012). entwicklungs- und Gesundheitsarbeit des Österreichischen Roten Kreuzes in Süd- ostasien: Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner. ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasien- wissenschaften, 5(1), 174-185. Max Santner leitet den Bereich Internationale Hilfe (Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammen- arbeit) im Generalsekretariat des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) in Wien. Gerlinde Astleith- ner ist als Asien-Länderreferentin des ÖRK unter anderem für die Zusammenarbeit in Südostasien (vor allem Laos und Myanmar sowie an Rande auch für Osttimor) verantwortlich. Im vorliegenden Gespräch bieten sie einen Überblick zur gegenwärtigen Lage der Entwicklungs- und Gesundheitsar- beit der internationalen Rotkreuzbewegung in Südostasien. Das Interview wurde am 19. März 2012 in Wien durchgeführt. Max Santner is Head of International Aid (Humanitarian Aid and Development Co-operation) at the Austrian Red Cross (ARC) headquarters in Vienna. Gerlinde Astleithner, the ARC’s country coordina- tor for Asia, is in charge of development co-operation in South-East Asia (particularly Lao PDR and Myanmar, but also Timor-Leste). In this interview, they give an overview on the International Red Cross movement’s activities as well as the current state of development and health work in South- East Asia. The interview was conducted on 19 March 2012 in Vienna. ANNA-SOPHIe tOMANCOK: Lassen Sie mich mit einer allgemeinen Frage für jene LeserInnen beginnen, die nicht mit der Auslandsarbeit der Rotkreuzbewegung vertraut sind: Wie ist eigentlich die Arbeit des internationalen Roten Kreuzes organisiert? MAX SANtNeR: es gibt auf der einen Seite das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (In- ternational Committee of the Red Cross/ICRC), das ein Völkerrechtssubjekt ist und als Hüter der Genfer Konvention vor allem in Konfliktfällen agiert. Darunter fällt zum Beispiel der Schutz von ZivilistInnen, wie es im Moment in Syrien geschieht. Dann gibt es auf der anderen Seite nationale Gesellschaften des Roten Kreuzes, wie zum Beispiel das Kambodschanische Rote Kreuz oder das Österreichische Rote Kreuz. Diese Gesellschaften haben nationale Mandate, 1 Anna-Sophie tomancok ist Studentin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien, Österreich und war von Oktober 2011 bis Juni 2012 Praktikantin bei SeAS - Gesellschaft für Südostasienwissenschaften. ASEAS 5(1) 174 175 meist in einem gesetzgebenden Rahmen gegenüber dem Staat und sind zur Hilfestellung ver- pflichtet. Die nationalen Organisationen wiederum sind zusammengeschlossen unter einem Dachverband, der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und der Roter-Halbmond-Gesell- schaften (International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies/IFRC). Dieser Dach- verband hat die Funktion, die nationalen Gesellschaften in ihrem Aufbau zu unterstützen und ist eine Schnittstelle für Kommunikation und Koordination, beispielsweise auch dann, wenn es zu Naturkatastrophen kommt. Vereinfacht dargestellt: Der Vater ist das ICRC, die Mutter ist die IFRC und die Kinder sind die einzelnen Nationalgesellschaften. Welche Länder in Südostasien unterstützt das Österreichische Rote Kreuz im Moment? GeRlINDe AStleItHNeR: In Südostasien sind wir derzeit in Osttimor, laos und Myanmar tä- tig. In Südasien arbeiten wir in Nepal und Pakistan. Bleiben wir bei Ihren Aktivitäten in Südostasien. Welche Aktivitäten finden in diesen Län- dern statt? AStleItHNeR: Hauptsächlich machen wir gemeindebasierte Wasser- und Sanitärprojekte. In laos und Osttimor haben wir noch eine community-based health-Komponente dabei. Alle unsere Projekte sind community-based, weil sie immer gemeinsam mit den Communities ge- macht werden. Was ist so eine community-based health-Komponente? AStleItHNeR: es wird zunächst mit den Dörfern selbst erarbeitet, welche Krankheiten vor- kommen – Durchfälle, Hauterkrankungen sowie Unter- und Mangelernährung sind dabei die drei häufigsten erkrankungen bzw. Symptome. Was wir dann leisten können, richtet sich nach diesen erhebungen. es wird im nächsten Schritt mit der Community diskutiert, wo Hilfe und Unterstützung benötigt werden, und intern wird dann beim Roten Kreuz auch evaluiert, ob es die Möglichkeit gibt die lokale Bevölkerung dabei zu unterstützen. Dann werden Pro- gramme implementiert. Wasser- und Sanitärprojekte werden immer zusammen eingebracht, zum Beispiel ist der Zusammenhang zwischen praktiziertem Händewaschen und Durchfällen wesentlich. Der wichtigste Punkt ist dann eben Sauberkeit und Hygiene. Oder es werden Moskitonetze verteilt und erklärt, warum die leute unter diesen schlafen sollen. Der Wasser- und Sanitärbereich bzw. öffentliche Gesundheit sind ein Bestandteil vieler in- ternationaler Entwicklungsaktivitäten. Inwiefern unterscheidet sich das Rote Kreuz in die- sem Bereich von anderen Hilfsorganisationen? Anna-Sophie Tomancok - Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner ASEAS 5(1) 176 177 AStleItHNeR: Primär durch die Vernetzung und darin, dass wir durch unser großes Netz- werk die most vulnerable groups erreichen. SANtNeR: Und durch das spezielle Regelwerk oder die Gesetzeslage, die die nationalen RK- Gesellschaften gegenüber dem Staat haben. es gibt auf der einen Seite NGOs, die meistens ein Regelwerk über die Sozialministerien haben und dann gibt es auch eigene „Rotkreuz-Geset- ze“. Das heißt, dass die Gesetzeslage, in der wir uns mit dem Roten Kreuz bewegen, speziell ist. ein anderer wichtiger Punkt ist, dass wir einerseits stark in den Communities verankert sind und andererseits durch unsere Vernetzung eine internationale Dimension hineinbringen können. Und diese Größe haben andere Organisationen nicht. Was bedeutet nun die besondere Stellung der RK-Gesellschaften in Ihrer täglichen Arbeit im Feld? AStleItHNeR: Das RK hat immer einen gewissen Sonderstatus – es ist auxiliary to the govern- ment, also es ergänzt die Arbeit der Regierungen. Diese besondere Stellung erleichtert den Zugang zu allen Gruppen der Bevölkerung. Durch die nationalen Gesellschaften haben wir einen leichteren Zugang im Allgemeinen und speziell bei Katastrophen. Da das ÖRK eng mit nationalen Behörden und den lokalen RK-Gesellschaften, die mit der betroffenen Bevölkerung interagieren, zusammenarbeitet, gibt es auch eine Beeinflussung Ihrer Arbeit durch die nationalen Regierungen? AStleItHNeR: einerseits ist es unsere Aufgabe, den Regierungen das Mandat der Zivilbe- völkerung nahe zu bringen. Andererseits versuchen wir politisch unabhängig zu sein. Das offizielle Mandat macht es uns einfach, direkten Zugang zu allen Gruppen einer Gesellschaft zu bekommen, also zu Behörden und zur Bevölkerung Kontakte herzustellen und Gespräche mit den lokalen Gemeinden zu führen. In manchen ländern ist es dann aber auch schwierig zu unterscheiden, wo Politik anfängt und wo sie wieder aufhört. Das kommt dann immer auf den lokalen Kontext an. Und umgekehrt gefragt: Beeinflusst Ihre Arbeit auch nationale Regierungen? AStleItHNeR: Das ist der Sinn, die Idee unserer Arbeit. Durch uns wird die Stimme der Zivil- bevölkerung in die Politik eingebracht. Das geht manchmal besser und manchmal nicht so gut, aber es ist ein permanenter Dialog und eine permanente einbringung. Die Präsenz in Netzwerken und die wiederholte einbringung der Stimme der Zivilbevölkerung, das passiert laufend. Das Rote Kreuz gibt meistens eine Meinung zu bestimmten themen in den Medien ab und das passiert auch in südostasiatischen ländern. ASEAS 5(1) 176 177 Gibt es auch, überspitzt gefragt, irgendwelche Erfolgsmeldungen, wie zum Beispiel Geset- zesnovellierungen aufgrund ihrer internationalen Zusammenarbeit? AStleItHNeR: Das ist möglich, aber ich kann es im Detail nicht sagen. Ich weiß aber von unseren PartnerInnen in Myanmar, dass dort ein Austausch mit den jeweiligen Ministerien stattfindet und sich diese Stellen gegenseitig ergänzen. Was zeichnet Südostasien im Gegensatz zu anderen Regionen aus? AStleItHNeR: Vor allem der Buddhismus ist in Südostasien prägend. Sonst sind die Projekte ähnlich, immer lokal und regional adaptiert. Südostasien zeichnet sich auch dadurch aus, dass es im Vergleich zu anderen Regionen tendenziell friedlich ist. Aber Osttimor ist doch zum Beispiel katholisch geprägt und eine Postkonfliktregion, in My- anmar wurde das ICRC, das in Bürgerkriegsregionen tätig war, des Landes verwiesen? AStleItHNeR: Ja das stimmt, es sind Postkonfliktregionen, aber im Vergleich zu anderen Weltregionen läuft es in Südostasien friedlicher ab. Man kann dort leichter arbeiten, weil man keine Bombenanschläge erwarten muss. Gerade in Myanmar sind die leute, aus meiner Sicht, auch aufgrund des Buddhismus friedlicher. Der Buddhismus macht schon etwas aus, wenn ich das jetzt mit anderen Weltregionen vergleiche. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit regionalen und lokalen Partnerorganisationen? AStleItHNeR: Wir haben immer Partnerschaften mit den lokalen RK-Gesellschaften, zum Beispiel dem laotischen oder Myanmarischen Roten Kreuz oder dem Malaysischen Roten Halbmond. Diese sind immer unser Ansprechpartner und unsere lokale Instanz, die auch die Projekte implementieren. Die Zusammenarbeit zeichnet sich durch die partnerschaftlich gestalteten Projekte aus. Die Stärke der Programme liegt in der stetigen Kommunikation mit den PartnerInnen vor Ort, da diese genau wissen, was in Form von Kapazitäten oder entwick- lung in den Communities gebraucht wird. Die MitarbeiterInnen unserer lokalen Partnerorga- nisationen sprechen auch die jeweiligen landessprachen und können damit die Bedürfnisse genau herausfinden. Gibt es auch Barrieren, die von den nationalen Regierungen gegenüber dem Roten Kreuz aufgestellt werden? SANtNeR: Vor allem in Bezug auf Geldmittel und Ressourcen gibt es Grenzen, und eine weite- re Barriere für das Rote Kreuz ist auch, dass es begrenzte Kapazitäten gibt und der Staat im- Anna-Sophie Tomancok - Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner ASEAS 5(1) 178 179 mer noch der Souverän im land ist. es ist also ein ambivalentes Verhältnis zwischen Hilfe von außen und Selbstbestimmung des Staates. Da wir in den nationalen Gesellschaften aufgrund der Gesetzeslage sehr oft einen gesetzlichen Auftrag haben, eben die sogenannte auxiliary role, ist aber damit eigentlich weitgehend abgesteckt, was gemacht werden kann. Und da gibt es dann einen Spielraum, je nachdem wie, auf nationaler oder regionaler ebene, die Be- reichsleiterInnen oder die regionalen DirektorInnen mit den RegierungsbeamtInnen zusam- menarbeiten. In laos gibt es zum Beispiel oft eine Personalunion, das heißt die leiterInnen des Gesundheitswesens des Bezirks sind oft auch leiterInnen der lokalen Rotkreuzbewegung. In der Praxis hat das positive Auswirkungen, der-/diejenige hat dann Zugang zu Mitteln, die eine andere Organisation nicht hätte. Die Verankerung in der Bevölkerung ist auch stärker. Ist es in der Regel oft so, dass Programme angenommen werden, oder gibt es da auch Ressen- timents? SANtNeR: es besteht grundsätzlich die Frage, ob man einen top-down- oder bottom-up-Ansatz hat. Das ist in der Praxis oft eine Mischung. Wenn aufgrund der Bedarfslage reagiert wird und dann das Richtige gemacht wird, dann ist es der am meisten erfolg bringende Ansatz. Auf- grund der Verankerung in den Communities ist eine hohe Akzeptanz gegeben, aber allgemein gültig ist die Frage nicht zu beantworten. In Osttimor, zum Beispiel, wurden die Programme in einem Bezirk angenommen und in einem benachbarten Bezirks ist es schief gegangen, we- gen verschiedenster lokaler Umstände. es hängt auch einfach von den handelnden Personen ab. Aber aufgrund der Verankerung in der Bevölkerung wird unsere Hilfe oft angenommen, das kann man fast generalisieren. Aber es gibt dann auch Beispiele, wo es nicht funktioniert. AStleItHNeR: In laos, zum Beispiel, in der Provinz, in der wir arbeiten, gibt es 34 verschie- dene ethnien. Da diese unterschiedlich sind, ist es oft schwer einen gemeinsamen Nenner zu finden. In den meisten Dörfern funktioniert es wunderbar. Und dann erwischt man ein Dorf, in dem eine ethnie lebt, die mit unseren Maßnahmen wenig anfangen kann. SANtNeR: Oder ganz banal, die ethnie oder das Dorf kommt einfach nicht mit dem/der Pro- jektleiterIn aus, weil er/sie von einer anderen ethnie ist. Diese/n lassen sie dann nicht an sich heran und akzeptieren somit das gesamte Programm nicht. Das sind einfach menschliche Mechanismen, die dahinterliegen, die behindernd wirken und die man schwer im Vorfeld einschätzen kann. Da beginnt auch ownership zu wirken. Wenn die Betroffenen die ownership nicht übernehmen und sich dafür nicht verantwortlich fühlen, dann funktioniert es nicht. Wenn die Betroffenen, egal ob die lokale RK-Gesellschaft oder die Regierung, die Agenden akzeptieren und auf sich nehmen, dann hat ein Projekt erfolg. Wenn es auf diese Weise nicht so angenommen wird, sondern das Gefühl besteht, dass es nur von außen implementiert wurde, dann wird es nicht funktionieren. ASEAS 5(1) 178 179 Also das Design aller Projekte wird in Zusammenarbeit mit den lokalen RK-Gesellschaften entwickelt? AStleItHNeR: Ja, Projekte werden vor Ort mit der RK-Gesellschaft und der Community ent- wickelt. Ist dann das ÖRK, die nationale RK-Gesellschaft und die Community vor Ort? Also sind dann immer auch Leute aus der Community dabei? AStleItHNeR: es sind immer die Wichtigsten dabei. So sitzen in den Besprechungen immer die VertreterInnen lokaler Verbände, beispielsweise der Youth oder der Women’s Union, oder aber auch lehrer, Hebammen und andere einflussreiche leute. Dann stellen Sie aber fest, dass die Leute die Projekte aufgrund fehlenden ownerships nicht annehmen. Wie ist das unter einen Hut zu bringen? AStleItHNeR: es ist sehr unterschiedlich. Damit die leute die Programme annehmen, ist es wichtig, dass sie von Anfang an bei der entwicklung beteiligt sind. Das birgt aber auch eine gewisse Gefahr, weil die Beteiligten sich dann viel erwarten. Wenn man das Projekt zu offen- siv entwickelt, dann gibt es gewisse erwartungen der Betroffenen und damit muss man auch vorsichtig sein. Denn oft bekommt man dann das Geld für ein solches Projekt nicht bewilligt und man kann es dann nicht in Gang bringen. Man muss die Balance finden – Bedürfnisse gemeinsam herausfinden ohne erwartungen zu schüren. Es mangelt also nicht an Partnerschaftlichkeit? Die ist dann immer gegeben? AStleItHNeR: An und für sich schon. In laos, zum Beispiel, nehmen von 100 Dörfern zwei oder drei das Programm aus ethnischen Gründen nicht an. Aber dann kann man es mit diesen halt nicht machen. Heißt das dann, dass sich das ÖRK oder die nationale RK-Gesellschaft aus diesen Dörfern zu- rückzieht? Nach dem Motto „Lebt euer Leben wie ihr wollt“? AStleItHNeR: Implementiert wird immer von der nationalen RK-Gesellschaft, weil diese Mit- arbeiterInnen die Sprachen sprechen, akzeptiert und respektiert werden. Wenn jetzt aber die Bereitschaft in der Bevölkerung nicht vorhanden ist? AStleItHNeR: Dann versucht man es später wieder einmal. Anna-Sophie Tomancok - Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner ASEAS 5(1) 180 181 Es wird dann also nicht gesagt „Wir machen es jetzt trotzdem“? AStleItHNeR: Nein, das würde nichts bringen. Sie kommen also nicht mit vorgefertigten Plänen dort hin und fragen dann die lokalen Be- hörden und die von der Entwicklung Betroffenen, ob sie das mit Ihnen in dieser Form ma- chen wollen? Können Sie vielleicht ein Beispiel für so einen Designprozess geben? AStleItHNeR: Also in unseren Wasserprogrammen, da gibt es technikerInnen des nationalen RK und jene von der lokalen Wasserbehörde. In laos ist es zum Beispiel so, dass immer die Behörde mit Hilfe des RK implementiert. Und alleine dadurch, dass dort die Regierung hin- kommt, mit Unterstützung des Roten Kreuzes, ist die Akzeptanz gegeben. es muss im Vorfeld immer der Bedarf eruiert werden. So wie Sie es jetzt ausgedrückt haben, klingt es aber eher nach einer top-down-Herange- hensweise. Das RK kommt in ein Gebiet, und sagt „Wir wollen das jetzt für euch machen – ist das in Ordnung für euch?“ Ist das letztlich dann noch ein gemeinschaftlich entwickeltes Projekt? AStleItHNeR: Schon, weil die Bevölkerung meistens nach Wasser schreit und sie Bedarf da- nach haben. Also die Bedürfnisse der Bevölkerung werden zuerst eingeschätzt und dann überlegt das RK, wohin es jetzt mit seinem technischen Know-how geht? AStleItHNeR: Das kann man nicht so generalisieren, weil es Hand in Hand geht. Manchmal ist es zuerst die Bevölkerung, manchmal das RK, das den Handlungsbedarf äußert. Auch die Regierungen wissen, wo es noch Bedarf gibt und wo Wasser- bzw. Sanitärzugänge bereits gedeckt sind. Dann muss bewertet werden, ob das passt oder nicht. Ist das verständlich? Ja, ich habe nur ein wenig Schwierigkeiten festzustellen, wie jetzt die Partizipation der Bevölkerung konkret passiert. AStleItHNeR: Die Bevölkerung ist bei der einschätzung der Situation dabei, zum Beispiel beim Wasser: Sie baut zum Beispiel das Wassersystem, trägt Materialen bei, baut die latrinen selbst etc. ASEAS 5(1) 180 181 Der Kern des Projekts ist aber aus Europa transferiert, richtig? Ist es europäisches Gedan- kengut, das von der Gemeinde selbst implementiert wird? AStleItHNeR: Ich weiß nicht, ob unsere Unterstützung als europäisches Gedankengut bezeich- net werden kann – Wassertechnik gibt es ja nicht nur in europa. Die Gemeinden arbeiten jeden- falls mit Unterstützung der technikerInnen. Denn könnten Sie ihr Wassersystem allein bauen? Genauso wenig können es die laoten. Das muss schon Hand in Hand gehen. Ich muss sagen – es ist eine komplexe Arbeit und es ist schwer zu erfassen. Man muss da hineinwachsen. Nun zu einem anderen Thema – gibt es in Südostasien spezielle Initiativen, die versuchen, die Armut zu reduzieren? AStleItHNeR: Poverty reduction stellt immer das große Oberziel unserer Projekte dar. Da es allerdings ein so großes Feld ist, können unsere Programme immer nur dazu beitragen. Spe- zielle Interventionen gibt es generell viele. Wie interagieren Programme zur Reduktion der Armut mit Programmen zur Verbesserung von Gesundheitsstandards? AStleItHNeR: Wir arbeiten immer, wenn man das plakativ beschreibt, in Form eines log- frames2. An oberster Stelle steht immer das Überziel, overall objective, die Armutsreduzierung, eingetragen. Zu der leistet man einen Beitrag. Im einzelnen versuchen wir dann Resultate zu definieren, die auch erreichbar sind, wie zum Beispiel die Reduktion von Durchfallerkrankun- gen in einer Gemeinde. Dies geschieht durch Hygienemaßnahmen, Bereitstellung von sau- berem Wasser, aktiver Gesundheits- und Bewusstseinsbildung etc. Sauberes Wasser, Hände waschen, sauberes essen und so weiter, tragen wieder zu mehr Gesundheit bei. Das größte Problem ist jedoch die Mutter-Kind-Gesundheit sowie die hohe Kindersterblichkeit. Wenn Mutter-Kind-Erkrankungen ein großes Thema beim RK und in der EZA generell sind, welche Maßnahmen werden von Ihnen in diesem Bereich getroffen? AStleItHNeR: Wir haben zum Beispiel ein gerade auslaufendes Projekt in laos, wo wir mit der Gesundheitsbehörde auf Bezirksebene zusammengearbeitet haben und mit der Behörde in die Dörfer gegangen sind, um die leute in den Bereichen pre- and postnatal care, zum Bei- spiel Stillen, ernährung etc., aber auch in Fällen von komplizierten Geburten, zu schulen. Im Vorfeld muss es dabei eine logistische Abklärung geben, da die Krankenhäuser weit von den Dörfern entfernt sind. 2 Anmerkung der ASeAS-Redaktion: Der Logical Framework Approach (lFA) ist ein Werkzeug des Projektzyklusmanagements in der entwicklungszusammenarbeit. Anna-Sophie Tomancok - Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner ASEAS 5(1) 182 183 SANtNeR: ergänzend dazu: eigentlich ist es nicht oder nur ganz wenig Aufgabe des Roten Kreuzes, in das bestehende Spitalswesen einzugreifen. Aber es gibt im Rahmen solcher Pro- jekte sehr selten auch Unterstützungen für einen Gesundheitsposten, weil es integrative Projekte sind. Für ein Projekt ist es nicht Ziel, einen solchen Gesundheitsposten zu errichten oder das Spitalswesen zu verändern, sondern die lebensbedingungen in den bestehenden Rahmen zu verbessern. AStleItHNeR: Unser Fokus liegt auf primary health in den Communities und nicht so sehr darauf, das bestehende Gesundheitssystem zu ersetzen, sondern dieses zu ergänzen. Aber ich könnte mir vorstellen, wenn jetzt ein solcher Gesundheitsposten aufgestellt wird, dass der ja mehr frequentiert wird als das Krankenhaus vor Ort. Ist das nicht schlecht für das öffentliche Gesundheitssystem? SANtNeR: Natürlich, darum ist ja auch der Versuch, in den bestehenden Strukturen zu ar- beiten und nicht außerhalb der, zugegebenermaßen, rudimentären Struktur etwas in Form einer Parallelstruktur aufzubauen. Man hat natürlich das Defizit, dass man dann keine schö- ne Gesundheitsstation herzeigen kann. Aber man weiß genau, dass diese nicht nachhaltig ist. Das ist ein Dilemma, in dem wir immer wieder stecken, da wir oft von privaten SpenderInnen gebeten werden, eine Gesundheitsstation aufzubauen. Das Spitalswesen ist weniger unser Ding, wir sind eher auf die community-based Aktivitäten spezialisiert. Public health, Schulun- gen und Prävention an den grassroots sind unsere Hauptaugenmerke. AStleItHNeR: In Zeiten von schlimmen Katastrophen oder Notfällen werden aber bei Bedarf Gesundheitsposten aufgestellt, die mobil sind und nur während der speziellen Krisensitua- tion existieren. Das ÖRK hat den Ansatz, die vorhandenen Kräfte zu stärken, damit sie sich selbst organisieren können. Wie sieht es mit HIV-Infektionen bzw. AIDS in Südostasien aus? AStleItHNeR: Also generell muss man sagen, dass im Vergleich zu anderen Weltregionen, im Speziellen zu Afrika, HIV in Südostasien ein relativ geringes Problem ist. In den Grenz- regionen thailands, Myanmars und laos, also im Goldenen Dreieck, ist es allerdings schon ein Problem – unserer Ansicht nach vor allem wegen der Armut und dem Versuch, irgendwie Geld aufzutreiben, oftmals eben durch Prostitution. Hier muss man aufpassen, dass die Rate nicht steigt und dass man die Infizierten entsprechend unterstützt. Das ÖRK arbeitet nicht zu HIV und AIDS, allerdings gibt es Programme, die von anderen RK-Gesellschaften unterstützt werden. Die Idee dabei ist eben, die Infektionsrate möglichst gering zu halten. ASEAS 5(1) 182 183 Und wie sehen solche Programme aus? AStleItHNeR: Hauptsächlich machen die anderen RK-Gesellschaften auf die themen auf- merksam und wollen so zu einem verstärkten Bewusstsein über die damit verbundenen Pro- bleme beitragen. es werden also vor allem Aufklärungsprogramme implementiert. Wenn ein Programm über das RK-Netzwerk läuft, dann läuft es über Freiwillige, die in den Dörfern stationiert sind. Diese leben vor Ort und sie werden geschult, gewisse themen anzusprechen und Aufklärung zu betreiben. Diese leute gehen dann von Haushalt zu Haushalt und spre- chen in den Familien bestimmte themen an. einerseits ist es Aufklärung und andererseits werden sie animiert Kondome zu benutzen, was allerdings schwierig mit der Kultur ist. Inwiefern erschwert „die Kultur“ eine derartige Arbeit? AStleItHNeR: Das mit der Verteilung von Kondomen ist so eine Sache: Was tut man und wie schützt man sich? Durch Kondome. Insofern muss man diese verbreiten und anpreisen. Wenn die Bevölkerung das weiß, sie aber nicht verwendet, dann ist das immer schwierig. Man kann sie aber nicht zwingen, sondern es ihnen nur schmackhaft machen. Ich habe gehört, dass auch Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen sowie Krebs häu- fige Todesursachen in Südostasien sind - Tendenz steigend. Welche Maßnahmen werden in diesen Bereichen getroffen? AStleItHNeR: Richtig, diese Krankheitsgruppen sind auch in Südostasien im Vormarsch. Aber es gibt in den Dörfern so viele dringendere themen, die schneller zum tod führen als diese genannten erkrankungen. Wir sind vor allem in den Bereichen der Hygiene tätig, die wieder auf die Reduktion von Durchfallerkrankungen abzielen. Mutter-Kind-Gesundheit ist auch eines der größeren themen im Bereich der Reduktion der hohen Mütter- und Kinder- sterblichkeit, im Besonderen von Kindern bis fünf Jahren. ernährung ist ein großes thema, weil sie oft sehr einseitig ist und oft nicht genügend Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Wir sind operativ in diese Richtung tätig, weil die Bevölkerungsgruppen, mit denen wir arbei- ten, unmittelbar von diesen erkrankungen betroffen sind. Da Katastrophenhilfe einer der Kernbereiche des Roten Kreuzes ist, können Sie bitte ein konkretes Beispiel für Katastrophenhilfe in Südostasien nennen und dieses kurz beschrei- ben? SANtNeR: Das thema der Katastrophenhilfe hat mehrere ebenen. es gibt einerseits Katast- rophen, die nur das land, in dem sich die Katastrophe ereignet, betreffen. Das heißt, wenn es sich um eine regionale oder lokale Katastrophe handelt, dann ist das eine Sache für die Anna-Sophie Tomancok - Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner ASEAS 5(1) 184 185 lokalen Behörden. Beispielsweise, ereignet sich eine Katastrophe in Indonesien, dann ist das die Sache des Indonesischen Roten Kreuzes oder eben der lokalen Rotkreuz- oder Roter-Halb- mond-Gesellschaft. Andererseits gibt es aber auch landesgrenzen überschreitende überre- gionale Katastrophen. Dann wird das IFRC-Zonenbüro angesprochen, welches sich in Kuala lumpur, Malaysia, befindet und für 38 Staaten im Raum Asien und Pazifik zuständig ist. Von dort aus wird überregional kommuniziert und koordiniert. Wenn es notwendig ist, wird dort Hilfe von außen, sprich von potenten nationalen Gesellschaften, angefordert. es wird zunächst geprüft, ob die eigenen Kapazitäten des Staates ausreichen, um mit der Ka- tastrophe allein umgehen zu können oder ob die Hilfe der internationalen Gemeinschaft benötigt wird. Das gilt sowohl auf Staatenebene als auch bei den lokalen RK-Gesellschaften. Nehmen wir als Beispiel den tsunami 2004 in Banda Aceh, Indonesien. Das war eine sehr große Katastrophe und die ganze humanitäre Welt ist dort hingekommen. Das Zonenbüro in Kuala lumpur koordinierte den einsatz im Gebiet in Verbindung mit den nationalen Behörden und mit den Hilfsorganisationen. Daraus ist dann ein längerfristiges Projekt entstanden, das zwei bis vier Jahre dauerte und sich in mehrere Phasen aufgliederte. Die erste Phase betrifft die unmittelbare Nothilfe, in der die Betroffenen geborgen werden – das kann mehrere Stun- den, aber auch tage dauern. Die zweite Phase ist eine Art Konsolidierungsphase, in der man die Überlebenden mit Nahrungsmitteln und trinkwasser versorgt. Darunter fällt auch der Aufbau von lagern. Die dritte Phase, die Phase des Wiederaufbaus, beginnt sechs bis sieben Wochen nach der eigentlichen Katastrophe. Diese Phase kann Jahre dauern. Bleiben wir bei Indonesien: Dort gibt es auch immer wieder Vulkanausbrüche. Dann tritt die lokale Stelle des Roten Kreuzes ein. Die Katastrophenpläne enthalten spezielle Aufgaben wie zum Beispiel trinkwasseraufbereitung, errichtung von Notunterkünften oder lieferung von Nahrungsmittelpaketen – sowohl für die RK-Gesellschaft als auch für die nationale Be- hörde. Dies wird in Abstimmung mit den lokalen Behörden rund um den Vulkan gemacht. es hängt immer mit der Dimension der Katastrophe und der Kompetenz der einzelnen länder zusammen. Gut aufgestellt sind länder wie thailand, die Philippinen und Indonesien. laos hingegen ist eher schlecht aufgestellt und verfügt nicht über die nötigen Kapazitäten und Notfallpläne. laos würde demnach Hilfe von außen brauchen, da es das Problem nicht al- leine bewältigen kann. Dazu kommt die regionale Hilfe, die im Zonenbüro in Kuala lumpur koordiniert wird. Gibt es auch Situationen, in denen das ÖRK eingreift? SANtNeR: Natürlich, erstens greifen wir durch Spendensammlungen ein, die den jeweiligen nationalen RK-Gesellschaften zur Verfügung gestellt werden, ohne dass wir selbst in der Kri- senregion tätig werden. Zweitens, durch eine Direkthilfe des ÖRK in schwachen Staaten, in denen es wenige Strukturen gibt und keine lokalen Hilfskräfte. Bei großen Katastrophen, wie zum Beispiel in Banda Aceh, werden weltweit RK-Mitglieder angefordert, logistiker aus Dänemark, Deutschland, Kanada, USA etc. und das ÖRK steuerte eine trinkwasseraufberei- tungsanlage bei. Die Sicherstellung und Aufbereitung von trinkwasser zieht sich wie ein ro- ASEAS 5(1) 184 185 ter Faden durch die entwicklungszusammenarbeit des ÖRK. es werden über einen Raster verschiedenste Dinge aus den verschiedensten Regionen der Welt angefordert, zum Beispiel eine spezifische Wassermenge, die das ÖRK herstellen muss. Intern beginnt dann die ein- berufung geschulter leute, die ein Visum und ein Briefing bekommen, drei tage später mit einer Ausrüstung von zwanzig bis dreißig tonnen im Flugzeug sitzen und in das Krisengebiet fliegen. Sie kommen dann zur logistikstelle und werden mit der Order ausgeschickt, eine gewisse Menge Wasser am tag zu produzieren. Dann sind konkret MitarbeiterInnen des ÖRK im Netzwerk unterwegs. Mit welchen Hindernissen sieht sich das RK im Moment in Südostasien konfrontiert? SANtNeR: Ich würde in diesem Bezug nicht von Hindernissen sprechen, sondern von einer Si- tuation, mit der wir als europäische Organisation konfrontiert sind. Nachdem ich mich jetzt ein Jahr mit der Region Asien im Allgemeinen beschäftigt und mir auch ein Bild auf den Rei- sen gemacht habe, kann ich sagen, dass es eine enorme Wirtschaftsdynamik in diesen län- dern gibt. Das ist jetzt kein Hindernis, sondern eine erkenntnis, dass es sich in dieser Region um dynamische Volkswirtschaften handelt. Sie entwickeln solche eigenkapazitäten, dass die klassischen Bilder der entwicklungszusammenarbeit, des Wissens- und Geldtransfers vom Westen bzw. vom Norden in den Süden, nicht mehr funktionieren. es ist so ein hohes Selbstbewusstsein in der Region entstanden, dass die klassischen Me- chanismen der entwicklungszusammenarbeit nicht mehr tragend sind. es ist im Wesent- lichen ein Auslaufmodell, auch jene Art der entwicklungszusammenarbeit, die wir in der Region betreiben. Die länder sind selbst im Stande, mit ihren Katastrophen fertig zu werden und ihre entwicklung voranzutreiben. Sie brauchen uns mehr oder weniger nicht mehr. AStleItHNeR: Ich würde es eher als neue Chance sehen. Die Zusammenarbeit wird sich dem- entsprechend ändern und an die neuen Gegebenheiten adaptiert. Ist dann die Entwicklungszusammenarbeit, die das Rote Kreuz anbietet, überhaupt noch notwendig? AStleItHNeR: Wir sind in den ärmsten ländern dieser Region tätig und da ist die entwick- lungszusammenarbeit in dieser Form derzeit noch notwendig. Wie lange dies noch möglich ist, bleibt fraglich. Vielen Dank für das Interview. Anna-Sophie Tomancok - Im Gespräch mit Max Santner und Gerlinde Astleithner