Südostasienforschung in Österreich: Die Sammlung Insulares Südostasien des Museums für Völkerkunde Wien ASEAS 5(1) 186 187 d o i 10 .4 23 2 /1 0. A SE A S -5 .1 -1 3 Netzwerk Südostasien / Network South-East Asia Südostasienforschung in Österreich: Die Sammlung Insulares Südostasien des Museums für Völkerkunde Wien Sri Tjahjani Kuhnt-Saptodewo1 Citation Kuhnt-Saptodewo, S. T. (2012). Südostasienforschung in Österreich: Die Sammlung Insulares Südostasien des Museums für Völkerkunde Wien. ASEAS - Österreichische Zeitschrift für Südostasienwissenschaften, 5(1), 186-189. Das Museum für Völkerkunde Wien gehört zu den bedeutendsten Völkerkunde- museen der Welt. Hervorgegangen aus der Anthropologisch-Ethnographischen Ab- teilung des Naturhistorischen Museums befindet sich das 1928 gegründete Museum seither im Corps de Logis in der Neuen Burg, einem Teil der Hofburg am Wiener Hel- denplatz. Die ältesten Bestände des Museums gelangten bereits im 16. Jahrhundert nach Österreich. Heute umfasst die Sammlung um die 200.000 Objekte und repräsen- tiert den Kulturbesitz außereuropäischer Bevölkerungsgruppen aus Afrika, Amerika, Asien, Australien und Ozeanien. Der Sammlungsbestand der Abteilung Insulares Süd- ostasien beläuft sich auf etwa 21.000 Objekte. Als ich 2005 meine Tätigkeit als Kuratorin begann, startete ich das Projekt Sha- ring Cultural Memory. Die Grundintention dieses Projektes war, im gegenseitigen Aus- tausch mit Indonesien und den Philippinen das gemeinsame Erbe der ethnographi- schen Objekte (cultural heritage) zu erschließen und einer größtmöglichen Anzahl von InteressentInnen verfügbar zu machen. Die Aufarbeitung und Kontextualisierung der Objekte wurde und wird mit den Kulturangehörigen und lokalen Museen im Ur- sprungsland der Objekte durchgeführt, um so die „Biographie“ der Objekte erschlie- ßen zu können. Die Objekte sollten auch mit Interpretationen aus den insider perspec- tives (der source communities) beleuchtet und somit in der Gegenwart kontextualisiert werden. Diesbezüglich ist beispielsweise 2005 eine Kooperation mit dem Museum 1 Sri Tjahjani Kuhnt-Saptodewo wurde in Jakarta, Indonesien, geboren und studierte Völkerkunde und Afrikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Im Jahr 2003 habilitierte sie sich an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema „Getanzte Geschichte: Tanz, Religion und Geschichte auf Java“. Seit 2005 ist sie Leiterin der Sammlung Insulares Südostasien am Museum für Völkerkunde in Wien. Kontakt: sri.kuhnt@ethno-museum.ac.at ASEAS 5(1) 186 187 Siwalima in Ambon, Indonesien, entstanden und 2012 wurde dazu eine gemeinsame Publikation der Kollektionen beider Museen veröffentlicht. Das Projekt hat gezeigt, dass eine ganze Reihe von Kulturartefakten in Wien erhalten geblieben ist, die auf den Molukken vollkommen verschwanden und daher auch in den Sammlungen des Museums in Ambon nicht vorhanden sind. Andererseits befinden sich im Museum Siwalima Objekttypen, für die es im Museum für Völkerkunde in Wien keine Ent- sprechung gibt. Die historischen Molukken-Sammlungen in Wien und die – zumeist jüngeren – Sammlungen des Museums Siwalima in Ambon ergänzen sich deshalb hervorragend und zeichnen gemeinsam ein ganzheitliches und vollständigeres Bild der kulturellen Ausdrucksformen und deren Veränderungen auf den Molukken. Ein anderes Projekt betrachtete das Werk des Sammlers Frantizek Czurda (1844- 1886), der in Südsulawesi, Indonesien, arbeitete. Die Sammlung war Gegenstand des einjährigen ForMuse-Projekts Sharing Cultural Memory, das von Juli 2009 bis Juli 2010 durchgeführt wurde. Czurda wurde in Pisek, Südböhmen, geboren und war von 1867 bis 1882 auf Java, Sumatra und Sulawesi (Celebes) als Militärarzt stationiert. Er ver- brachte drei Jahre auf Sulawesi und unternahm mehrere Inspektionsreisen in das In- nere des Landes, wo bis dahin keine EuropäerInnen vorgedrungen waren. Seine Arbeit beschrieb er folgendermaßen: Ich war auf Süd-Celebes bemüht, eine vollständige Sammlung systematisch anzulegen, Gegenstände zu bekommen, die das häusliche wie das gesellschaftliche Leben in zusammenhängender Folge vor die Augen des Beschauers bringen, uns über die Phantasie, die geistige Entwicklung, sowie über die mechanischen Fertigkeiten belehren, mit einem Worte den ganzen Menschen, mit Allem, was er hervorzubringen ver- mag, vor uns stellen. . . . Durch die Vollständigkeit hat diese Sammlung von Süd-Celebes wissenschaftli- chen Werth, und meines Wissens ist in keinem Museum Europas, vielleicht das zu Leyden ausgenommen, dieser Inseltheil so reich vertreten als in der vorliegenden (Czurda, 1883, S. 111). 1883 übernahm das Wiener Museum diese Kollektion (820 Objekte), während ein klei- ner Teil der Sammlung (etwa 200 Objekte) ins Náprstek-Museum nach Prag ging. Bis heute ist Czurdas Sammlung die weltweit vollständigste Kollektion zu Sulawe- si und sein Originalkatalog gilt als der erste ethnographische Katalog Indonesiens überhaupt. Die Aufbereitung der umfangreichen Sammlung wurde in Kooperation mit dem Naprstek-Museum in Prag und Halilintar Latief, einem Vertreter der source community aus Sulawesi, durchgeführt. Wir konnten den Originalkatalog von Czurda ins Englische und Indonesische übersetzen und die gesamte Kollektion von Wien und Sri Tjahjani Kuhnt-Saptodewo - Die Sammlung Insulares Südostasien des Museums für Völkerkunde Wien ASEAS 5(1) 188 189 Prag digitalisieren. Das Projekt Sharing Cultural Memory kann somit als eine „digita- le Rückführung“ in das Herkunftsland der Objekte (source communities) betrachtet werden, weil den Kulturangehörigen auch die Möglichkeit eröffnet wird, weitere For- schung über die Objekte ihrer Kultur zu betreiben, die sich in Europa befinden. Eine sensationelle Entdeckung der Werke des deutschen Malers Walter Spies und des balinesischen Malers I Gusti Nyoman Lempad führte vom 2. Februar bis 30. April 2010 zu einer spontanen Sonderausstellung „Bali. Kunst im Wandel“, die in Koopera- tion mit der Botschaft der Republik Indonesien durchgeführt wurde. Die Werke wur- den 1935 von der Österreicherin Helen Potjewyd nach Wien gebracht und 1946 dem Museum für Völkerkunde geschenkt. Dank ihrer guten Beziehungen zu dem russisch- deutschen Künstler Walter Spies (1895–1942) konnte Helene Potjewyd (1872–1947) eine repräsentative Auswahl von Skulpturen und Zeichnungen der „neuen balinesischen Schule“ nach Österreich bringen. Unter ihnen befinden sich auch einige bisher un- bekannte Meisterwerke I Gusti Nyoman Lempads (1862–1978), einem der renommier- testen Künstler Balis, die hier erstmalig präsentiert wurden. Die kürzlich wiederent- deckten Lamak-Skizzen von Walter Spies machen den gemeinsamen Dialog zwischen balinesischen und europäischen Künstlern der 1920er- und 1930er-Jahre auf dem Weg in die Moderne deutlich. Die Ausstellung wurde auch in Zusammenarbeit mit Soe- mantri, dem Kurator des Puri Lukisan Museum in Ubud, gestaltet, der die Ausstellung 2013 auch nach Bali holen wird. Ein anderes Projekt, das mir wichtig ist, ist die Arbeit mit den Diaspora-Communi- ties in Wien. Das Museum für Völkerkunde Wien arbeitet in diesem Zusammenhang im EU-Projekt Read Me 2 mit anderen Museen Europas (Musée du Quai Branly in Paris, Royal Museum für Central Africa in Tervüren und Museo Nazionale Reistorivo Etno- grafico „Luigi Pigorini“ in Rom) zusammen, um ein Verhältnis zwischen ethnographi- schen Museen und Communities aufzubauen bzw. dieses zu verbessern. Das Thema Migration nimmt in den letzten Jahren in der internationalen Museumslandschaft einen immer wichtigeren Stellenwert ein und wird zunehmend in Ausstellungen und Projekten thematisiert. In diesem Sinne ergibt sich für uns eine Verknüpfung zu den Museumsbeständen: gerade das Museum für Völkerkunde verwahrt „migrierte“ Ob- jekte, deren Bezug zu subjektiven Erlebnissen in den meisten Fällen verloren gegan- gen ist. Deshalb soll der Stellenwert unserer Bestände mit in Österreich lebenden Menschen aus den Herkunftsländern der Objekte diskutiert und so einigen davon ASEAS 5(1) 188 189 eine neue Geschichte oder Deutung verliehen werden. Als Institution befasst sich un- ser Museum mit der kulturellen Vielfalt der Welt und bietet sich daher als geeigneter Ort für eine Auseinandersetzung mit der Diversität in unserer Gesellschaft an. Dies- bezüglich könnte das Museum auch als eine „Kontaktzone“ der Kulturen fungieren. Als ersten Schritt dieses Projektes laden wir interessierte Mitglieder der Diaspora- Communities in Wien ein, Fotos von sich mit einem Objekt zu schicken, die eine Be- ziehung zur eigenen Herkunft herstellen. Am Thementag, dem 28. Juli 2012, werden wir den ganzen Tag Veranstaltungen zum Thema „Museum und Migration“ abhalten, zu denen wir alle Mitglieder der Communities in das Museum einladen. Mit den angeführten Projekten stellen wir uns den Anforderungen der Zeit, uns nicht nur mit Objekten, sondern auch mit den Kulturangehörigen selbst zu befassen. Das Museum für Völkerkunde in Wien zeigt damit, dass die Sammlung Österreich ein kulturelles Erbe präsentiert, das es gemeinsam zu erschließen gilt. Ausgewählte Publikationen Czurda, F. (1883). Catalog mit Erklärungen der Etnografischen Privatsammlung des Dr. F.A.J. Czurda in Post- elberg (Böhmen). Wien, Österreich: Wilhelm Braumüller. Kuhnt-Saptodewo, S. T., Pospisilova, D., & Hesser, P. (Hg.). (2010). Sulawesi and beyond: The Franticek Czurda Collection. Wien, Österreich: Museum für Völkerkunde Wien. Kuhnt-Saptodewo, S. T., Bohle, B., Brandl-Straka, U., & Moiseanu, O. (Hg.). (2009). The Philippinies: Early Collections. Wien, Österreich: Museum für Völkerkunde Wien. Kuhnt-Saptodewo, S. T., Brandl-Straka, U., Maurer, R., & Tuarissa, T. (Hg.). (2012). Maluku: Sharing Cultu- ral Memory. Wien, Österreich: Museum für Völkerkunde Wien. Kuhnt-Saptodewo, S. T., Mittersakschmöller, R., Kartasasmita, G., & Reinthaler, L. (Hg.). (2010). Balinese Art in Transition. Wien, Österreich: Museum für Völkerkunde Wien. Sri Tjahjani Kuhnt-Saptodewo - Die Sammlung Insulares Südostasien des Museums für Völkerkunde Wien