Ford, Michele (Hrsg.). (2013). Social Activism in Southeast Asia. ASEAS 6(1) 223222 d o i 10 .4 23 2 /1 0. A SE A S -6 .1 -1 5 Rezensionen / Book Reviews Ford, Michele (Hrsg.). (2013). Social Activism in Southeast Asia. Oxon, NY: Routledge. ISBN: 978-0-415-52355-4 (hbk). 214 Seiten. Citation Schuh, L. (2013). Rezension: Ford, M. (Hrsg.). (2013). Social activism in Southeast Asia. ASEAS - Österrei- chische Zeitschrift für Südostasienwissenschaften, 6(1), 223-227. Mit 8,5 Prozent der Weltbevölkerung hat Südostasien eine der weltweit höchsten Be- völkerungsdichten und ist gleichzeitig eine der ethnographisch heterogensten Regio- nen der Erde. Zehn der elf Nationalstaaten ist eine koloniale Vergangenheit gemein- sam, heutige südostasiatische Regierungssysteme reichen von absoluter Monarchie über verschiedene Ausprägungen autoritärer, repressiver und sozialistischer Regime bis hin zu diversen Abstufungen liberal-demokratischer Systeme. Für die dynami- schen gesellschaftlichen und politischen Veränderungsprozesse des Erdteils spielt sozialer Aktivismus eine entscheidende Rolle. Social Activism in Southeast Asia ist zu Beginn des Jahres 2013 der jüngste Band in der zeitgenössischen Südostasien Reihe des Routledge Verlags und bietet aktuelle Studien zu den mannigfaltigen Ausprägungen und Kontexten zivilgesellschaftlichen Aktivismus in Südostasien. Die zwölf Kapitel des Buches enthalten Beiträge hochran- giger WissenschaftlerInnen aus sieben Nationen – drei davon aus Südostasien –, die theoretische Modelle zur Entstehung sozialer Bewegungen mit detailliertem Wissen über die Region vereinen. Die Herausgeberin Michele Ford ist Direktorin des Südostasienzentrums der Uni- versität Sydney und eröffnet den Sammelband mit einer Einführung in wissenschaft- liche Hintergründe zur Entstehung neuer Theoriezweige, als die Protestbewegungen der 1960er Jahre nicht mehr durch gemeinsam erfahrene Missstände einer Bevöl- kerungsgruppe erklärt werden konnten. In diesem Zusammenhang analysiert der westeuropäisch geprägte Ansatz der Neuen Sozialen Bewegungen die Bedeutung iden- titätsstiftender und universeller Themen für kollektiven Aktivismus, während die aus den USA stammende Ressource Mobilization Theory von rationalem Handeln der Ak- teurInnen ausgeht und die Political Process Theory den Grad der Liberalität politischer Regime untersucht. Der Social Constructivist Approach thematisiert die Reproduktion ASEAS 6(1) 225224 von Sinn und Positionierung einer Bewegung durch Framing – ein Ansatz, der sich ebenso wie das Konzept transnationaler Aktionsnetzwerke, mit denen globale Allian- zen untersucht werden, als geeignet für die Untersuchung von südostasiatischem Aktivismus erweist. Ford bemängelt universelle Geltungsansprüche wissenschaftli- cher Modelle, deren Ursprünge im globalen Norden liegen, und empfiehlt die Analyse sozialer Bewegungen aus multiplen theoretischen Perspektiven. Garry Rodan präsentiert im zweiten Kapitel ein Modell zur Differenzierung zwi- schen individuellem und kollektivem Aktivismus und der jeweiligen Beziehung zum Staat. Die Legitimation eines Regimes sieht Rodan gestärkt durch die Eingliederung autonomer Kräfte in das politische System, und macht nicht zuletzt kapitalistische Entwicklungen und internationale Unterstützung autoritärer Regime während des Kalten Krieges für eingeschränkte Handlungsspielräume südostasiatischer Zivilge- sellschaften verantwortlich. Edward Aspinall widmet seinen Beitrag der Unabhängigkeitsbewegung in Aceh, für deren Mobilisierung kulturelles Erbe ebenso bedeutsam war wie der Machtver- fall Suhartos. Als die Rebellen ihre Waffen für das Recht auf politische Partizipation eintauschten, gerieten ehemalige Anführer in Bedrängnis, ihr Handeln schlüssig zu argumentieren, da der ideologische Kern der Widerstandsbewegung auf „incompati- bility of Acehnese and Indonesian identities“ (S. 48) beruhte. Im vierten Kapitel bietet Vincent Boudreau einen Abriss der philippinischen De- mokratisierung, die mit der Absetzung Marcos offiziell eingeläutet wurde und sich in Form Jahrzehnte langer politischer Machtkämpfe und wechselhafter Allianzen ent- faltete. Boudreau spricht von einer Institutionalisierung des Aktivismus, die sich in „periods of popular mobilisation, regime transition and political disappointment“ (S. 68) niederschlug. Im fünften Kapitel widerspricht Nicola Edwards mit einer Analyse dreier Fallbei- spiele zu Indonesiens Bewegung für ökologische Landwirtschaft der unter anderem von Robert Michels vertretenen These des unvermeidlichen Radikalitätsverlustes durch den Prozess der institutionellen Eingliederung aktivistischer Kräfte. Die prekäre Situation burmesischer ArbeitsmigrantInnen in Thailand beschreibt Dennis Arnold anhand des Grenzortes Mae Sot, in dem Flüchtlinge aus Myanmar Aus- beutung und Missbrauch durch ArbeitgeberInnen und Staatsgewalten beider Länder für einen unsicheren Arbeitsplatz eintauschen. Transnationale Solidarität und NGOs ASEAS 6(1) 225224 beider Länder stärkten den rechtlichen Rückhalt der MigrantInnen, die sich durch Streiks und andere aktivistische Aktionen zunehmend Gehör verschafften. Auch die von Andrew Brown und Sakdina Chatrkul Na Ayudhya im siebten Kapitel beleuchtete nationale ArbeiterInnenbewegung in Thailand hat eine schwierige Mis- sion. Obwohl in den 1970er Jahren erstmals gewisse Rechte verankert wurden, führ- ten kapitalistische Entwicklungen, die Asienkrise und politische Instabilität zu einer Schwächung der Gewerkschaften und zunehmender Beteiligung von ArbeiterInnen an alternativen Formen zivilgesellschaftlichen Aktivismus, was eine tendenzielle Zer- splitterung der ArbeiterInnenklasse zur Folge hatte. Dominique Caouette und Teresa S. Encarnacion Tadem schildern anhand von drei national orientierten Organisationen und zwei transnationalen Netzwerkinstitutio- nen die Anti-Globalisierungsbewegung auf den Philippinen. Obwohl es ihnen gelingt durch internationale Kooperation von verschiedenen Seiten Druck auf die Regierung auszuüben, stehen sich die Organisationen auf nationaler Ebene teilweise in oppositi- onellen Lagern gegenüber und sind somit „inherently local regardless of the scale at which they engage“ (S. 120). Im neunten Kapitel erörtert Thushara Dibley das Spannungsfeld zwischen Aktivis- mus und internationaler Entwicklungshilfe, in dem sich die Friedensbewegung in Ost- timor seit 1999 befindet. Mit dem Einzug internationaler Hilfsorganisationen änderte sich die Prioritätensetzung timorischer AktivistInnen zugunsten von Geberkriterien, wodurch sich der Raum zur Entwicklung einer autonomen nationalen Friedensbewe- gung verringerte und es zu einer Entpolitisierung des Themas kam. Kontroverse transnationale Einwirkungen auf die Bewegung für die Rechte von SexarbeiterInnen in Kambodscha analysiert Larissa Sandy in ihrem Beitrag. Spaltun- gen in der globalen Frauenbewegung, aber auch die Thematisierung von HIV/Aids und Menschenhandel, hatten direkte Auswirkungen auf den kambodschanischen Ak- tivismus, der trotz gewisser Erfolge einen herben Rückschlag erhielt, als die USA mit dem angedrohten Entzug von Entwicklungshilfegeldern Druck auf die ohnehin kon- servative Regierung ausübten, woraufhin diese ein Gesetz zur Kriminalisierung von Prostitution erließ. Julian C. H. Lee setzt sich im elften Kapitel mit Seksualiti Merdeka auseinander, ei- ner Bewegung für die Anerkennung nicht heteronormativer sexueller Orientierungen und Identitäten in Malaysia. Obwohl das Land historisch eine relativ liberale Position Leila Schuh - Rezension: Social Activism in Southeast Asia ASEAS 6(1) 227226 einnahm, entwickelte sich durch koloniale und islamische Einflüsse ein höchst kon- servatives gesellschaftliches und politisches Umfeld. Mithilfe internationaler Allian- zen und unter dem Deckmantel der Kunst gelang es der inoffiziellen Organisation dennoch, drei Jahre lang weitgehend unbehelligt zu bleiben. Im letzten Kapitel nimmt Lenore Lyons einen Vorfall innerhalb der namhaftes- ten liberal-feministischen Organisation in Singapur unter die Lupe, der 2009 zu den höchsten „levels of mass participation outside of the political sphere for over fifty years“ (S. 199) führte, als eine Gruppe konservativer Christinnen in das Präsidium der Association of Women for Action and Research (AWARE) gewählt wurde. Social Activism in Southeast Asia bietet einen qualitativen Überblick zu sozialem Ak- tivismus in der Region und arbeitet die kontroverse Rolle historischer und aktueller internationaler Einflüsse heraus. Transnationale Netzwerke können den Artikulati- onsraum national basierter Aktionsgruppen erweitern und hinsichtlich argumenta- tiver Professionalität, effektiven Framings und finanzieller Engpässe Unterstützung bieten. Letzteres birgt jedoch das Risiko des Authentizitätsverlustes, da Empfänger- organisationen, um als solche in Frage zu kommen, meist den Kriterien der Geber- institutionen entsprechen müssen, womit die AutorInnen an Kritiken innerhalb des Entwicklungsdiskurses anknüpfen. Bereits Maria Eriksson Baaz (2005) argumentierte in diesem Zusammenhang, dass offizielle Partnerschaft auf Augenhöhe in der Praxis nicht umgesetzt wird, und Uma Kothari (2005) entlarvte die Professionalisierung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) als Triebkraft der neoliberalen Agenda. Für zukünftige Forschung mag die Unterscheidung zwischen unabhängigen und EZA-basierten Organisationen von Nutzen sein. Die Kombination wissenschaftlicher Theorien unter Berücksichtigung regional- geografischer Spezifika erlaubt es, komplexe Wirkungsmechanismen innerhalb süd- ostasiatischer Aktivismen zu erfassen. Auch staatstheoretische Ansätze werden ein- gearbeitet und so erscheint der Nationalstaat zum Teil als Kontaktfläche rivalisieren- der AkteurInnen, als vermeintlicher Verbündeter oder als Gegenspieler. Im globalen Norden verortete Produktion von Wissen über den globalen Süden wird zwar durch die Dominanz westlicher AutorInnen nicht eindeutig durchbrochen, das Buch kann aber dennoch als Alternative zu eurozentristischen Darstellungen ge- wertet werden, da die AutorInnen teilweise aus Südostasien stammen und Einflüsse aus dem globalen Norden insgesamt kritisch hinterfragen. Stereotype Welt- und Men- ASEAS 6(1) 227226 schenbilder werden durch die profunde Analyse dynamischer Mobilisierungsstrategi- en und individueller Positionierung südostasiatischer AktivistInnen dekonstruiert. Social Activism in Southeast Asia bietet nicht nur einen einzigartigen Beitrag für so- zialwissenschaftliche Forschung und Theoriebildung, sondern auch eine spannende Lektüre für Südostasien Interessierte. Leila Schuh Universität Wien, Österreich Literaturverzeichnis Baaz, M. E. (2005). The paternalism of partnership. A postcolonial reading of identity in develeopment aid. London, UK: ZED Books. Kothari, U. (2005). Authority and expertise. The professionalisation of international development and the ordering of dissent. Antipode, 37(3), 425-446. Leila Schuh - Rezension: Social Activism in Southeast Asia