„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar Sina Kowalewski ► Kowalewski, S. (2014). „In our hearts, we do not have trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar. ASEAS – Austrian Journal of South-East Asian Studies, 7(1), 41-60. Der vorliegende Artikel betrachtet die Perspektiven der Führungskreise bewaffneter Oppositionsgruppen auf den politischen Übergangsprozess in Myanmar. Die Allianz aus 16 bewaffneten Gruppen, der United Nationalities Federal Council (UNFC), zwei- felt am Friedenswillen der Regierung und interpretiert deren Reformen als Strategie zur Absicherung bestehender Machtverhältnisse. Dementsprechend bringen bewaffnete Gruppen wie die Karen National Union (KNU) und die Kachin Independence Organi- zation (KIO) dem Friedensprozess nur wenig Vertrauen entgegen. Das vorherrschende Misstrauen und die Top-down-Strategie der Regierung in der Umsetzung von Reformen fordern daher den Friedensprozess heraus. Der Artikel basiert auf Interviews mit bewaff- neten Gruppen und ihnen nahestehenden Organisationen in Thailand und Myanmar in den Jahren 2012 und 2013. Schlagworte: bewaffnete Gruppen; Burma/Myanmar; Kachin Independence Organiza- tion; Karen National Union; United Nationalities Federal Council  This article analyzes the perspectives of armed opposition groups’ leaderships on the political transition process in Myanmar. The alliance of 16 armed groups, the United Nationalities Federal Council (UNFC), questions the government’s desire to peace and interprets its political reforms as a strategy to maintain the existing balance of power. Therefore, armed groups such as the Karen National Union (KNU) and the Kachin In- dependence Organization (KIO) have little trust in the peace process. The mistrust bet- ween the conflicting parties and the government’s top-down strategy in implementing reforms hence constitute the main challenges to the peace process. This article is based on interviews with members of armed groups and related organizations in Thailand and Myanmar in 2012 and 2013. Keywords: Armed Groups; Burma/Myanmar; Kachin Independence Organization; Karen National Union; United Nationalities Federal Council Aktuelle Südostasienforschung  Current Research on Southeast Asia w w w .s ea s. at d o i 10 .1 47 64 /1 0. A SE A S- 20 14 .1 -4 42 Sina Kowalewski  ASEAS 7(1) INTRODUCTION Die politischen Reformen in Myanmar und die zahlreichen Runden der Friedens- verhandlungen zwischen unterschiedlichen bewaffneten Oppositionsgruppen und der Regierung werden inner- und außerhalb des Landes als große Chance für die Realisierung von Frieden und Demokratie wahrgenommen. Die in der Allianz der 16 bewaffneten Gruppen, dem United Nationalities Federal Council (UNFC), vertrete- nen Führungskreise der Opposition bleiben jedoch skeptisch, inwiefern die aktuellen Entwicklungen auf einen Politikwandel der Regierung hindeuten. Sie interpretie- ren den von der Regierung eingeleiteten Reform- und Friedensprozess als Strategie, um die „ethnischen Nationalitäten“1 zu schwächen und die bestehende Machtver- teilung aufrechtzuerhalten. In der Literatur zu Transformations- und Friedenspro- zessen wird ökonomischen Bedingungen häufig eine große Bedeutung zugemessen (vgl. Collier & Hoeffler, 2000; Przeworski, Alvarez, Cheibub, & Limongi, 2000). So gelten die ökonomischen Motive bewaffneter Gruppen als Hindernisse für Frie- densprozesse. In dem vorliegenden Artikel möchte ich die Perspektive bewaffneter Gruppen in Myanmar auf den Transitionsprozess herausarbeiten und zeigen, dass die Friedensfähigkeit von bewaffneten Gruppen durch ihre Interpretation der aktu- ellen Situation beeinflusst wird. Ich beziehe mich auf den UNFC und zwei seiner Mit- gliederorganisationen, die Karen National Union (KNU) und die Kachin Independence Organization/Army (KIO/A). Ihre Perspektive auf den Transitionsprozess entwickeln die Führungskreise dieser bewaffneten Gruppen nicht aufgrund feststellbarer Verän- derungen, sondern basierend auf aktuellen und vergangenen Erfahrungen. Vergan- gene Erfahrungen wie die Zerstörung des Hauptquartiers der KNU in Manerplaw 1995 und aktuelle Erfahrungen wie der Bruch des Waffenstillstandsabkommen mit der KIO/A durch das myanmarische Militär 2011 führen bei bewaffneten Gruppen zu mangelndem Vertrauen in den Friedensprozess. Die Führungskreise bewaffneter Gruppen begegnen dem Friedensprozess daher mit Zurückhaltung. Ziel des Artikels ist es, einen Blick auf die vorherrschende Sicht der Führungskreise von KNU und KIO auf den Friedensprozess zu geben. Dadurch wird eine im wissenschaftlichen Diskurs bisher vernachlässigte Perspektive erschlossen. Der vorliegende Artikel basiert auf mehr als 40 Interviews, welche ich während zwei vierwöchiger Feldforschungsaufenthalte im Mai/Juni 2012 und im Oktober/ November 2013 in Thailand (Bangkok, Nordthailand und Grenzregion zu Myanmar) und Myanmar (Yangon, Karen-Staat und Kachin-Staat) führte. Die Interviews wa- ren dabei nur wenig formalisiert und die Interviewfragen wurden in Abhängigkeit zu den jeweiligen InterviewpartnerInnen entwickelt. Die meisten Interviews wurden in englischer Sprache geführt. Wenn dies nicht möglich war, standen den Interview- ten nahestehende Personen als ÜbersetzerInnen zur Verfügung. So stellte ich sicher, dass in diesem sensiblen politischen Kontext die Anwesenheit der ÜbersetzerInnen die Aussagen nicht verfälschte. Die größte Herausforderung der Feldforschung be- stand im Zugang zu relevanten Personen. Auch wenn sich die politische Situation 1 Besonders die Führungskreise der ethnischen Gruppen bezeichnen sich selbst nicht als Minderheiten, sondern als ethnische Nationalitäten, auch da die ethnische Verteilung nur durch einen neuen, verlässli- chen Zensus zu klären sei. Dies zeigt sich beispielsweise auch in der Namensgebung des UNFC. Der UNFC rekurriert auf Nationalitäten (nationalities) anstelle von Minderheiten. 43„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar in den letzten Jahren entspannte, bedurfte es umfangreicher Vorarbeiten, um das Vertrauen von GegnerInnen der ehemaligen Militärregierung zu gewinnen. Bei der Vorbereitung der Feldforschung legte ich daher besonderen Wert auf die Identifi- zierung von und den Zugang zu relevanten InterviewpartnerInnen.2 Zu den Inter- viewpartnerInnen zählten politisch-militärische Vertreter der KNU, der KIO und RepräsentantInnen des United Nationalities Federal Council (UNFC), VertreterInnen lokaler Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen, FriedensaktivistInnen sowie ein Verhandlungsführer der Regierungsseite, heute Vertreter des Myanmar Peace Center (MPC). Zum Schutz der InterviewpartnerInnen wird auf die Angabe von Namen und Detailinformationen wie beispielsweise zum Ort der Interviews, die zu deren Identi- fizierung führen können, verzichtet. Bei zivilen InterviewpartnerInnen habe ich die Organisation oder ethnische Zugehörigkeit angegeben. Bei militärischen Interview- partnerInnen habe ich darauf jedoch verzichtet, da dies wiederum Rückschlüsse auf die Person erlaubt hätte. TRANSITIONS- UND FRIEDENSPROZESS IN MYANMAR Seit über 60 Jahren kämpfen in wechselnder Intensität bewaffnete Gruppen der ethnischen Nationalitäten gegen die Zentralregierung von Burma/Myanmar.3 Zwar konnten in den vergangenen Jahren, beispielsweise Mitte der 1990er Jahre, immer wieder Waffenstillstandsvereinbarungen geschlossen werden, eine politische Re- gelung und damit die dauerhafte Beendigung der Konflikte blieben aber aus. Nicht selten basierten die Waffenstillstandsabkommen dabei auf ökonomischen Regelun- gen. Waren bewaffnete Gruppen bereit, ihren Widerstand gegenüber der damaligen Militärregierung aufzugeben, erhielten sie informell die Erlaubnis wirtschaftlichen Vorhaben in den gewünschten Bereichen nachzugehen und beispielsweise Jade- minen zu betreiben. Besonders einflussreiche Mitglieder von (ehemaligen) Wider- standsgruppen wurden durch wirtschaftliche Beteiligungen in das Regierungssystem eingebunden (Meehan, 2011, S. 386–391). Die Strategie der Regierung zur Beendi- gung der bewaffneten Konflikte basierte somit stets darauf, (wenigen) einflussrei- chen Führungspersönlichkeiten wirtschaftliche Beteiligungen einzuräumen und da- durch negative Anreize für die Wiederaufnahme von Kämpfen zu schaffen (Farrelly, 2012, S. 53). Nach dem Amtsantritt der Regierung unter Präsident Thein Sein startete der damalige Eisenbahnminister Aung Min 2011 eine neue Friedensinitiative. Innerhalb von zwei Jahren gelang es dem Verhandlungsteam der Regierung,4 mit mehr als ei- 2 Besonders Wolfgang Trost und Maung Zarni unterstützten mich dabei sehr und stellten Kontakte zu relevanten InterviewpartnerInnen her. Darüber hinaus intensivierte ich Kontakte, die aus einem sechswö- chigen Feldforschungsaufenthalt im Oktober und November 2010 in Thailand entstanden waren. 3 1989 beschloss die damalige Militärregierung Burma (deutsch Birma) in Myanmar umzubenennen. Häufig wird argumentiert, dass Burma und Myanmar prinzipiell die gleiche Bedeutung haben, da beide Namen Bezeichnungen für die offiziell größte ethnische Gruppe der Birmanen sind. Andere AutorInnen argumentieren, dass der Begriff Myanmar mit Buddhismus gleichzusetzen ist, so dass andere Religionen ausgeschlossen werden (Keenan, 2012, S. 34). In diesem Artikel verwende ich Burma für den Zeitraum bis 1989 und Myanmar für den Zeitraum danach. 4 Zu Beginn der Friedensverhandlungen war das Mandat des Verhandlungsteams unklar. Mit der Grün- dung des Myanmar Peace Center (MPC) 2012 sind die Personen des ersten Verhandlungsteams nun auch 44 Sina Kowalewski  ASEAS 7(1) nem Dutzend bewaffneter Gruppen Waffenstillstandsvereinbarungen zu unterzeich- nen, darunter auch mit der einflussreichen Gruppe der KNU. Nach einem 17-jähri- gen Waffenstillstand zwischen der KIA und dem myanmarischen Militär flammten im Juni 2011 bewaffnete Auseinandersetzungen auf, die trotz zweier Abkommen zwischen der KIO und der Regierung im Mai und Oktober 2013 nicht beendet wer- den konnten. Die Führungskreise der bewaffneten Gruppen zeigen sich der neuen Friedensinitiative gegenüber skeptisch. Sie vermuten, dass ähnlich wie bei vorheri- gen Waffenstillstandsvereinbarungen durch wirtschaftliche Beteiligungen einzelner Führungspersönlichkeiten Anreize für die Beendigung des bewaffneten Widerstands geschaffen werden sollen. In den geführten Interviews betrachten die Interviewpart- nerInnen häufig die Absicherung bestehender Machtverhältnisse als Ziel der Regie- rung. Die Motivation der Regierung wird in einem Interview beispielsweise so be- schrieben: „Power is like drugs: If you are addicted to it, it is hard to stop“ (damaliger hochrangiger KNU-Funktionär, persönliches Interview, Mai 2012). Durch symboli- sche Neuerungen sollte zudem die Unterstützung des globalen Nordens gesichert werden. Die Reformen werden daher auch als „only cosmetic changes“ (General be- waffneter Gruppe, persönliches Interview, Mai 2012) beschrieben. Der Reformprozess fort von einer Militärherrschaft begann bereits 2003, als der damalige State Peace and Development Council (SPDC)5 mit der Roadmap to a Discipli- ne-Flourishing Democracy seine Strategie verkündete, das Land in die Demokratie zu führen (Zin & Joseph, 2012, S. 106). Wie in diesem Fahrplan angekündigt, setzte die Regierung 2008 eine neue Verfassung in Kraft und konzipierte sich damit formell als parlamentarische Demokratie mit Militäreinfluss. Die bewaffneten Konflikte sollten durch die Transformation der ethnischen Widerstandsarmeen in eine dem myan- marischen Militär unterstellte Grenzschutztruppe, die Border Guard Force (BGF), be- endet werden. Als Gegenleistung für die Transformationsbereitschaft erhielten die ethnischen Gruppen die Möglichkeit, sich politisch zu beteiligen und beispielsweise eigene Parteien für die Wahlen aufzustellen. Dies interpretierten mehrere bewaff- nete Gruppen jedoch als eine Kapitulation und so waren es mit der New Democratic Army-Kachin (NDAK), der Kayan New Land Party (KNLP), der Pa-O National Organi- zation (PNO) und Teilen der Democratic Karen Buddhist Army (DKBA) nur 4 der etwa 206 bewaffneten Gruppen, die sich dem Kommando des myanmarischen Militärs (tatmadaw) unterstellten. Ein weiterer Schritt des Fahrplans waren die Wahlen im November 2010. Zwar entsprachen diese nicht den demokratischen Standards des globalen Nordens und wurden beispielsweise von der Europäischen Union als „weder frei noch fair“ (Coun- cil of the European Union, 2010) beurteilt, dennoch kennzeichneten diese in vielen offiziell mit der Aushandlung von Frieden und Waffenstillstand beauftragt. 5 SPDC war der offizielle Name der damaligen Militärregierung. Bis 1997 trug diese den Namen State Law and Order Restoration Council (SLORC). Mit der Umbenennung 1997 ging jedoch keine Politikände- rung einher. 6 Burma News International listet 19 aktive bewaffnete Gruppen auf (Burma News International [BNI], 2013), darunter einige kleinere Gruppen mit weniger als 500 KämpferInnen. Etwa 12 aktive bewaffnete Gruppen haben 500 oder (deutlich) mehr KämpferInnen, wie die United Wa State Army (UWSA) mit mehr als 25.000 Mitgliedern. Paul Keenan (2012) identifiziert 37 bewaffnete Gruppen, darunter befinden sich auch Gruppen mit einer Stärke von 20 KämpferInnen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die bewaffneten Gruppen insgesamt über eine Stärke von 61.770 KämpferInnen verfügen (Keenan, 2012, S. 255). 45„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar Augen den Auftakt des Reformprozesses (Effner, 2010). Als mit den Nachwahlen 2012 die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi mit der National League for Democracy (NLD) ins Parlament einzog und hunderte politische Gefangene entlassen wurden, waren zentrale Forderungen von EU, USA und anderen Ländern des globalen Nor- dens erfüllt, die daraufhin ihre jahrzehntelange Sanktionspolitik beendeten. Für ne- gative Aufmerksamkeit sorgte ab Mitte 2011 die Gewalt gegen Muslime, besonders gegen die staatenlosen Rohyinga im Rakhine-Staat, die von Menschenrechtsorga- nisationen wie Human Rights Watch als ethnische Säuberungen klassifiziert wurde (Human Rights Watch [HRW], 2013). TRANSFORMATIONSPROZESSE UND BEWAFFNETE GRUPPEN IN DER THEORIE Bei der Betrachtung zentraler Ergebnisse der Transformationsforschung7 und der Forschung zu bewaffneten Gruppen wird deutlich, dass besonders der Transformati- onsforschung, aber auch weiten Teilen der Forschung zu bewaffneten Gruppen, ein rationales Akteursverständnis zu Grunde liegt, das dem eigenen Verständnis bewaff- neter Gruppen kaum gerecht wird. Mit diesem Artikel stelle ich daher die Perspektive bewaffneter Gruppen in Myanmar in den Fokus, um ihre Interpretationen und die sich aus dieser Perspektive ergebenden Voraussetzungen für einen stabilen Frieden aufzuzeigen. Politische Transformationsprozesse avancierten besonders mit dem Zerfall der Sowjetunion zu einem bedeutenden Forschungsthema (Merkel & Thiery, 2010, S. 186). Dabei stand zunächst die Frage nach den Ursachen und Verlaufsformen der Transformationsprozesse im Vordergrund, wohingegen mittlerweile ein verstärk- tes Augenmerk auf die Konsolidierung bestehender Demokratien gerichtet wird. Aus unterschiedlichen theoretischen Zugängen wird dabei argumentiert, dass für die Konsolidierung der Demokratie die politischen und gesellschaftlichen Verhält- nisse in den Transformationsländern entscheidend sind. So werden Transformati- onsprozesse über das sozioökonomische Entwicklungsniveau abgesichert und damit konsolidiert; ein Rückfall in autokratische Regimeformen ist dort unwahrscheinlich, wo zugleich keine extreme ökonomische Ungleichheit und ein gestiegenes Bildungs- niveau herrschen (Przeworski et al., 2000). Myanmar kann im Gegensatz zu einer Vielzahl von Transformationsprozessen als ein besonderer Fall betrachtet werden, da es sich hierbei um einen „top-down, regime-driven“ (Nilsen & Tonnesson, 2013) Prozess handelt. Dies äußert sich auch im Fahrplan der Regierung. Diese Strategie führt dazu, dass aus einer kritischen Perspektive die Reformen stets dem Verdacht ausgesetzt sind, die Absicherung bestehender Machtverhältnisse hätten einen größe- ren Stellenwert als die Einbeziehung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Zum anderen kann es AkteurInnen nach Jahrzehnten von Militärherrschaft und Repressi- on Probleme bereiten, bei der Veränderung ihrer Perspektive mit dem ambitionierten 7 Transformation und die Forschung zu Transformationsprozessen geht über Transitionsansätze hinaus. Während sich der Begriff der Transition besonders auf den Übergang von einem nicht-demokratischen zu einem demokratischen Regime bezieht und damit politische Wandlungsprozesse thematisiert, betrach- tet die Transformationsforschung auch Wandlungsprozesse der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung (Egger, 2007, S. 154). Da sich die Diskussion des Falls Myanmars besonders auf die politischen Veränderungen konzentriert, verwende ich hier den Begriff der Transition. 46 Sina Kowalewski  ASEAS 7(1) Plan und Tempo der Regierung Schritt zu halten. Die Regierung strebt für 2014 einen neuen Zensus an und 2015 werden Parlamentswahlen stattfinden. Friedensverhand- lungen zwischen den bewaffneten Gruppen und der Regierung hätten bereits Ende 2013 abgeschlossen sein sollen und neue InvestorInnen drängen in das Land. All dies sind relevante Themen und Ereignisse für die ehemaligen GegnerInnen der Militär- regierung, ohne dass ihnen jedoch Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Diese Gleichzeitigkeit von Ereignissen kann somit durchaus dazu führen, dass Ak- teurInnen den Anschluss verlieren. Des Weiteren sind ökonomische Ungleichheit und ein schlechtes Bildungsniveau drängende Probleme in Myanmar. In Bezug auf die Ergebnisse von Przeworski et al. (2000) ist der Transitionsprozess momentan da- her nur schlecht abgesichert. In diesem Top-down-Demokratisierungsprozess wird somit ein demokratisches Paradox (Chestermann, 2005) sichtbar, nämlich die Ein- führung demokratischer Strukturen mit autokratischen Mitteln. Denn trotz (sicht- barer) Veränderungen lässt die Regierungsstrategie auch den Raum, die Reformen als autokratisches Herrschaftsinstrument zu interpretieren. Eine Vorbedingung für Transformationsprozesse in Kriegsgesellschaften stellen in der Regel Friedensabkommen zwischen den Konfliktparteien dar. Die Forschung zur internationalen Konfliktregelung hat einige Voraussetzungen für den Erfolg von Friedensprozessen und politischen Transformationen herausgearbeitet. Zu den wichtigsten zählt dabei, dass eine Situation besteht, die Friedensverhandlungen für beide Seiten notwendig macht („entry point“). Beispielsweise weil eine sich gegen- seitig bedingende Pattsituation („mutually hurting stalemate“) besteht, „where the hopes of victory of each side are blocked by the other and that blockage hurts“ (Zart- man, 2004, S. 147). Ramsbotham, Woodhouse und Miall (2011, S. 179) unterscheiden zwischen der Reife eines Konfliktes, Friedensverhandlungen zu beginnen und diese erfolgreich zu beenden, da Konfliktparteien nicht nur willens sein müssen, Friedens- verhandlungen zu beginnen, sondern auch, die verhandelten Bedingungen umzuset- zen, auch wenn die schmerzenden Umstände noch bestehen. Für die Beendigung von Gewaltkonflikten ist es daher notwendig, dass die Konfliktparteien Verhandlungen als Chance zur Verbesserung der Situation wahrnehmen. Im UNFC organisierte be- waffnete Gruppen in Myanmar wie die KIA und die bewaffneten Gruppen der KNU, die Karen National Liberation Army (KNLA) und die Karen National Defense Organi- zation (KNDO), interpretieren die Verhandlungen jedoch kaum als Chance zur Ver- besserung der Situation, sondern als Strategie zur Legitimierung und Absicherung der bestehenden Machtverhältnisse. Sie betrachten die Verhandlungen als Teil ei- ner Strategie, die darauf abzielt, die ethnischen Nationalitäten zu schwächen und sie (weiter) zu marginalisieren. Bewaffnete Gruppen werden häufig im Kontext fragiler Staatlichkeit diskutiert und sind damit unter anderem auch für die Arbeit internationaler Organisationen re- levant. Dies führt dazu, dass die vorliegenden Arbeiten oft policy-orientiert sind. Da- bei kann jedoch die Komplexität von Motiven unterschätzt werden, besonders wenn bewaffnete Gruppen überwiegend als rationale Interessensmaximierer betrachtet werden, die aus Profitgier handeln. Collier und Hoeffler (2000) kommen in ihrer Stu- die zu dem Ergebnis, dass Habgier (greed) und nicht politischer Missstand (grievance) das überwiegende handlungsleitende Motiv bewaffneter Gruppen in Bürgerkriegen ist. Aus dieser Perspektive ist eine Kriegsgesellschaft auch durch das spezifische öko- 47„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar nomische Gefüge der Bürgerkriegsökonomie gekennzeichnet, in dem bewaffnete Gruppen als WirtschaftsakteurInnen mit ökonomischen Interessen auftreten. Durch den (illegalen) Handel, unter anderem mit Rohstoffen und Drogen wie Opium und Coca, bereichern sich bewaffnete Gruppen selbst und sichern ihre ökonomische Vormachtstellung ab, indem der Gewaltkonflikt in Gang gehalten wird (Ballentine & Sherman, 2003, S. 2). Auch am Fall von Myanmar wird deutlich, dass Wirtschaft und bewaffnete Gruppen in einer Beziehung zueinander stehen. Woods (2011) führt den Begriff des Waffenstillstandskapitalismus (ceasefire capitalism) ein, der die wirt- schaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Geschäftsleuten, dem Militär und der ethnischen Elite in Gebieten unter Waffenstillstand regelt. Er zeigt so, dass es beispielsweise myanmarische Geschäftsleute und transnationale InvestorInnen waren, die im Kachin-Staat eine erste Transition von war-making hin zum state- making finanzierten und den Waffenstillstandsabkommen der 1990er Jahre den Weg bereiteten. Aber auch Geschäftsleute der Kachin und die KIO/A profitierten von dem Waffenstillstandskapitalismus: Geschäftsleute agierten als VermittlerInnen zwischen chinesischen InvestorInnen und den jeweiligen Widerstandsgruppen und die KIO/A garantierte Schutz bei der Durchführung von Wirtschaftsprojekten (Woods, 2011, S. 752–761). Ein ökonomischer Blick auf bewaffnete Gruppen trägt zum Verständnis der Bezie- hungen zwischen diesen Gruppen und externen AkteurInnen sowie deren Motive bei, dennoch wird eine solche Perspektive nur begrenzt den internen Prozessen von be- waffneten Gruppen und ihren politischen Motiven gerecht. Mit den internen Prozes- sen bewaffneter Gruppen beschäftigen sich beispielsweise die Arbeiten von Schlichte (2009) und Engels (2012). Schlichte argumentiert, dass die politische Vorherrschaft von bewaffneten Gruppen auf ihrer Fähigkeit basiert, Legitimität herzustellen. Ihren bewaffneten Kampf können sie dabei über politische Projekte legitimieren. Abstrakte Vorstellungen wie Befreiung und Revolution haben dabei große Mobilisierungsef- fekte, auch weil der Nachweis über die Realisierbarkeit faktisch nicht oder erst bei realer, politischer Macht zu erbringen ist (Schlichte, 2009, S. 104). Engels analysiert ausgehend von soziologischen Handlungstheorien die Motive bewaffneter Gruppen. Biographische Erfahrungen von Gewalt, Exklusion und Missachtung stellen Motive für den Eintritt in den bewaffneten Kampf dar, da der Einsatz von Waffen aufgrund von gruppenbezogenen Missachtungserfahrungen als legitim und einzige Möglich- keit zur Erreichung von politischen und individuellen Zielen erscheint (Engels, 2012, S. 171–177). Die Arbeiten von Schlichte und Engels zeigen somit, dass eine vornehmliche Be- trachtung bewaffneter Gruppen als ökonomische Akteure zumindest unterkomplex ist und internen Prozessen, die zu deren Transformation und Entstehung führen, nur unzureichend gerecht wird. Der Argumentation der AutorInnen folgend führt dies dazu, dass eine dauerhafte Niederlegung der Waffen nicht durch Versprechen von ökonomischem Gewinnen erreicht werden kann. Die Ergebnisse der unterschiedli- chen Forschungsstränge zusammenführend bedeutet dies, dass für einen dauerhaf- ten Frieden eine Situation geschaffen werden muss, die bewaffnete Gruppen zu ei- ner freiwilligen Transformation veranlasst. Dafür müssen Führungspersönlichkeiten auch während der Übergangsphase ihre Legitimität gegenüber ihren AnhängerInnen aufrechterhalten können, Erfahrungen von Missachtung und Exklusion müssen als 48 Sina Kowalewski  ASEAS 7(1) durch die Transformation überwindbar und politische Programme als durch eine Verhandlungslösung realisierbar rezipiert werden. Generell neu sind Arbeiten zur Transition bewaffneter Gruppen. Dudouet (2013) identifiziert vier Analyseebenen möglicher Faktoren für die Transition von bewaffnetem zu unbewaffnetem Widerstand: die Intragruppen-Ebene, die Bezie- hung zwischen der bewaffneten Gruppe und der Gesellschaft, die Beziehung zwi- schen Gruppe und Staaten sowie die mit der internationalen Gemeinschaft. Auf der Intragruppen-Ebene sind Veränderungen von Eigenschaften und der Identität der Führungspersönlichkeiten, Veränderungen im Wertesystem und in der Ideologie der Führungselite, Kriegsmüdigkeit und die Verschiebung der Machtverhältnisse inner- halb der Entscheidungsstrukturen Motive für die Transformation von bewaffneten Gruppen (Dudouet, 2013, S. 406). Auch diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass mit der Entscheidung zur Niederlegung der Waffen eine Veränderung der Perspektive bewaffneter Gruppen einhergeht. Ich möchte nun zeigen, wie die Führungskreise be- waffneter Gruppen und ihnen nahestehende Organisationen die Friedensinitiative interpretieren. Zentral für diese Perspektive ist, dass sie das Handeln der Regierung als Strategie zur Marginalisierung der ethnischen Nationalitäten und Sicherung der ökonomischen Vormachtstellung, also als Strategie zur Aufrechterhaltung der Macht von Regierung und Militär, deuten. DIE ETHNISCHEN NATIONALITÄTEN UND DER BEWAFFNETE KAMPF Nach dem Zensus8 von 1983 wird in Myanmar zwischen acht ethnischen Grup- pen unterschieden, wonach die Birmanen mit 69 Prozent die Bevölkerungsmehrheit stellen, gefolgt von den Shan mit 8,5 Prozent, den Karen mit 6,2 Prozent, den Rak- hines (Arakanesen) mit 4,5 Prozent, den Mon mit 2,4 Prozent, den Chin mit 2,2 Pro- zent, den Kachin mit 1,4 Prozent und den Karenni mit 0,4 Prozent (Steinberg, 2010, S. xxiv). Weitere bedeutende ethnische Gruppen, wie unter anderem die Wa, Naga, Kokang oder Palaung, wurden in diesem letzten Zensus nicht gesondert erhoben. Zwischen den ethnischen Gruppen sorgen die Zahlen für einen Disput; so sind mili- tärische Führungskreise der Karen beispielsweise der Ansicht, dass der Bevölkerungs- anteil der Karen gezielt nach unten korrigiert wurde, indem buddhistische Karen9 den Birmanen und nicht den Karen zugerechnet wurden. Für jede der oben genann- ten ethnischen Nationalitäten formierten sich bewaffnete Gruppen, die sich meist als Selbstverteidigungsarmeen gegenüber dem myanmarischen Militär betrachten, wie beispielsweise die KNLA oder die KIA. Nur wenige dieser Gruppen agieren als Zusammenschlüsse, allerdings gibt es durchaus militärische und politische Allian- zen. Militärisch haben sich zurzeit beispielsweise die Ta’ang National Liberation Army (TNLA) und die Arakan Army (AA) mit der KIA alliiert. Aktuell vereinigt der UNFC als Dachorganisation 16 bewaffnete Gruppen. Die All Burma Students Democratic Front (ABSDF) ist eine der wenigen bewaffneten Gruppen, die sich nicht als Selbstverteidi- 8 Von 30. März bis 10. April 2014 fand die Erhebung des ersten Zensus nach mehr als 30 Jahren statt. Es wird jedoch eine Politisierung der Ergebnisse befürchtet (Transnational Institute, 2014). 9 Die Karen gehören verschiedenen Religionen an. Exakte Zahlen liegen hierzu nicht vor, es kann jedoch geschätzt werden, dass jeweils rund ein Drittel der Karen christlich, buddhistisch und animistisch orien- tiert sind (Steinberg, 2010, S. 107). 49„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar gungsarmee einer ethnischen Gruppe versteht. Die ABSDF wurde nach der gewalt- samen Niederschlagung der Proteste von 198810 von StudentInnen gegründet und kämpft seitdem in wechselnden Allianzen für die Beendigung der Militärherrschaft. Innerhalb der bewaffneten Gruppen hat die United Wa State Army (UWSA) eine Art Sonderstatus. Sie ist mit etwa 25.000 Angehörigen die militärisch stärkste Gruppe in Myanmar, geht keine Allianzen mit anderen Gruppen ein und kontrolliert de facto, wenn auch nicht offiziell anerkannt, einen autonomen Staat. Die UWSA gilt als wich- tiger Akteur im Drogenhandel, besonders mit Opium, Heroin und Amphetaminen (BNI, 2013, S. 180; Keenan, 2012, S. 88). Während viele andere politisch-militärische Gruppen wie die KNU und die KIO Aktivitäten zur Begrenzung des Drogenhandels unternommen haben, zählt der Drogenhandel für die UWSA zu den wichtigsten Einnahmequellen. Andere bewaffnete Gruppen finanzieren sich (auch) durch den Handel mit Holz und Jade, Einnahmen aus Kasinos sowie durch die Erhebung von Steuern (Keenan, 2012). Bereits ab 1920 unter britischer Herrschaft engagierten sich ethnische Nationa- litäten wie die Karen bei den damaligen Machthabern für die Gründung eines sich selbst verwaltenden Karen-Staates. Mit dem Abkommen von Panglong 1947 handel- ten General Aung San und VertreterInnen von Kachin, Chin und Shan die Grundla- gen für das politische System eines unabhängigen Burmas aus. Im Abkommen heißt es eher unspezifisch, „full autonomy in internal administration for the frontier areas is accepted in principle“ (Panglong Agreement, 1947), jedoch stellt dieses Abkommen auch heute einen wichtigen Bezugspunkt und damit die Legitimation für den be- waffneten Kampf dar. Durch das Attentat an Aung San und sechs seiner Kabinetts- mitglieder im Juli 1947 scheiterten auch die Vereinbarungen des Panglong-Abkom- mens. Kurz nach der Unabhängigkeit des damaligen Burmas begann der bewaffnete Konflikt zwischen der Regierung und ethnischen Widerstandsarmeen. In der Pers- pektive der KNU dient dieser der Selbstverteidigung. So heißt es in einem Statement der KNU zur Geschichte der Karen: When Karen security posts and villages were attacked by Government troops and large numbers of Karen killed and women brutalized in the area around the capital Rangoon in late 1948 and early 1949, the KNU believed it had no choice but to take up arms against the Government in defense of itself. (KNU, o.J., S. 3) Auch der bewaffnete Konflikt zwischen Regierung und KIA geht auf eine Vertei- digungsstrategie zur Bewahrung der Identität der Kachin zurück. Der bewaffnete Kampf der KIA begann 1961, hauptsächlich als Widerstand gegen die Entscheidung des Premierministers U Nu den Buddhismus zur Staatsreligion zu erheben. Die Ka- chin sind überwiegend ChristInnen, nach Schätzungen etwa 90 bis 95 Prozent (Stein- berg, 2010, S. 107). Innerhalb der Kachin erhielt und erhält die KIA/O großen Zu- spruch und Unterstützung: „The Kachin people look to the KIO to act. In their eyes, the KIO was founded to defend the Kachins’ heritage, their culture, religion, language and every other aspect of life“ (Euro Burma Office, 2010, S. 2). Der UNFC ist die neu- 10 Friedliche Proteste von Studierenden für Demokratie wurden am 8. August 1988 vom Militär gewalt- sam niedergeschlagen. Dabei starben etwa 3.000 Menschen. 50 Sina Kowalewski  ASEAS 7(1) este Allianz bewaffneter ethnischer Widerstandsbewegungen und wurde im Febru- ar 2011 auf einer fünftägigen Konferenz von 15 ethnischen Gruppen gegründet. Die Gründung des UNFC verfolgt das Ziel „to strengthen the teamwork cooperation in their struggle for a true democratic federal Union of Burma against the ruling milita- ry junta“ (Linn, 2011). Der UNFC ging aus dem Committee for the Emergence of Federal Union (CEFU) hervor und möchte alle bewaffneten Widerstandsbewegungen in den Friedensverhandlungen mit der Regierung vertreten (BNI, 2013, S. 174). Zunächst weigerte sich das Verhandlungsteam der Regierung allerdings Friedensgespräche mit dem UNFC zu führen, traf sich in der Folgezeit dann jedoch doch einige wenige Male mit dem UNFC. Ein Verhandlungsführer der Regierungsseite begründete die Weigerung damit, dass die UNFC-VertreterInnen „only promote their own personal interests“ (persönliches Interview, Mai 2012). Ein erstes informelles Treffen zwischen Aung Min und einem UNFC-Vertreter fand allerdings schon im Dezember 2011 statt. Ein hochrangiger UNFC-Vertreter erklärt die fehlende Gesprächsbereitschaft der Re- gierung mit dem UNFC wiederum so: „The Government peace team did not want to talk with the UNFC, because they do not want to make the UNFC strong. They only came to us because of the KIA membership“ (persönliches Interview, Oktober 2013). Auch wenn die Regierung den UNFC als Vertretung der bewaffneten Gruppe nicht anerkennt, hat der UNFC für die bewaffneten Gruppen im Widerstand eine wichtige Koordinierungsfunktion. Seit 2011 wurden zahlreiche Waffenstillstandsvereinbarungen erneuert und neu geschlossen, dennoch bleiben Gruppen wie die KNU, KIO und der UNFC skeptisch. Diese Skepsis erklärt sich auch aus den bewaffneten Auseinandersetzungen im Ka- chin-Staat, die im Juni 2011 begannen. Tatmadaw (das myanmarische Militär) brach im Juni 2011 den Waffenstillstand mit KIO/A, um – wie es in der Perspektive des KIO-Führungskreises und von RegierungskritikerInnen heißt – chinesischen Unter- nehmen Schutz beim Staudammbau zu gewähren (hochrangiger KIO-Funktionär, persönliches Interview, Mai 2012). So habe tatmadaw Militärstützpunkte auf KIA- kontrolliertem Gebiet errichtet und die KIA angegriffen. Diese Erklärung für den Ausbruch des bewaffneten Konfliktes ist innerhalb der Kachin-Gemeinschaft weit verbreitet und wird auch von gemeindebasierten Organisationen geteilt. So heißt es beispielsweise in einem von verschiedenen lokalen Organisationen im Zuge von Luftangriffen des myanmarischen Militärs gegen die KIA veröffentlichten Statement: „Since June 2011, Burmese troops started war against Kachin Independence Army“ (Kachin Community Based Organizations, 2012). In der Wahrnehmung der bewaff- neten Gruppen und der ihnen nahestehenden Organisationen wird nicht abgestrit- ten, dass der Präsident zu einer Beendigung der Kampfhandlungen aufrief, allerdings habe er nicht die notwendige Autorität aufbieten können oder wollen, das Militär zum Rückzug zu veranlassen: „The president, he was whispering and not shouting“ (Kachin-Entwicklungshelferin, persönliches Interview, Mai 2012). Auch mehr als zwei Jahre nach dem Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen konnten diese nicht beendet werden. Die KIO/A fordert anstelle eines erneuten Waffenstillstandsabkom- mens eine politische Regelung, die dauerhaft Sicherheit vor Übergriffen gewähr- leistet. Besonders die Zivilbevölkerung leidet unter den Kämpfen. Mehr als 100.000 Menschen sind vor der Gewalt geflohen und leben als intern Vertriebene (Internally Displaced Persons, IDPs) in Myanmar. Besonders schlecht sind die Bedingungen der 51„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar 66.000 IDPs in den Camps im KIA-kontrollierten Gebiet, denn die Regierung ließ zwischen Mitte 2011 und Mitte 2013 nur zweimal internationale Hilfstransporte zu (Kachin Women’s Association Thailand, 2013, S. 2). Die meisten bewaffneten Gruppen legitimieren ihr Vorgehen als Kampf gegen Diskriminierung und für Menschenrechte. Sie sehen sich besonders durch hohe Raten von Armut und Analphabetismus, fehlende Infrastruktur wie Strom und Ver- kehrswege, Menschenrechtsverletzungen aufgrund von Zwangsarbeit, willkürliche Steuern, das Verbot in ethnischen Sprachen zu unterrichten und Zwangsumsiedlung durch die Regierung diskriminiert. Auch das Vorgehen des tatmadaw, wie sich dies beispielsweise in der „four-cut“-Strategie äußert, stellt in ihren Augen eine Verletzung der Menschenrechte dar (Sakhong, 2012, S. 28). Da bewaffnete Gruppen in enger Ver- bindung zu DorfbewohnerInnen und Dörfern stehen, von hier aus operieren und rekrutieren, zielt diese Strategie auf eine Unterbrechung der Verbindung zwischen Dörfern und bewaffneten Gruppen ab. Dörfer werden so von 1) Nahrungsmitteln, 2) Informationen, 3) Verkehrsmitteln und 4) Kommunikation abgeschnitten. Um den Austausch von Informationen zwischen Dörfern und bewaffneten Gruppen zu erschweren, dürfen in den ethnischen Gebieten beispielsweise keine Zeitungen in den ethnischen Sprachen publiziert werden, was dazu führt, dass diese Sprachen zu- nehmend eliminiert werden (Sakhong, 2012, S. 28). In einem Interview werden die Folgen der Militärstrategie für die Dorfgemeinschaften so beschrieben: To cut the recruitment of new soldiers [for the ethnic resistance forces] for ex- ample, they [the tatmadaw] relocate villages. The villagers are therefore suffe- ring terribly during the civil war; women, elders and children, especially, are suffering. Because of this cutting system, the ethnic states are so poor. (Chin- Friedensaktivist, persönliches Interview, November 2013) DER FRIEDENSPROZESS IN MYANMAR: ENTWICKLUNGEN UND PERSPEKTIVEN Seit Beginn der Friedensoffensive 2011 konnte das Verhandlungsteam der Regie- rung mit 14 bewaffneten Gruppen bilaterale Waffenstillstandsvereinbarungen schlie- ßen bzw. bestehende erneuern. Bereits seit Ende 2013 bemühte sich die Regierung um die Überführung der bilateralen Vereinbarungen in ein landesweites Waffenstill- standsabkommen (nationwide ceasefire). Besonders die KIO hatte jedoch angekündigt, dieses nicht zu unterzeichnen, da ihren Forderungen nach einem politischen Dialog und der Beendigung der Übergriffe durch das myanmarische Militär nicht nachge- kommen worden war. Auch andere Gruppen stehen dem landesweiten Abkommen kritisch gegenüber und interpretieren dieses als nach außen gerichtete Strategie. Der UNFC begründet seine ablehnende Haltung beispielsweise so: The nationwide ceasefire is a hot item. The government is saying that the ceasefire should come first and then we will work on the political solution. But signing a paper is very easy, so we [the UNFC members] have our doubts that with the ceasefire a political solution … will come. (UNFC, persönliches Inter- view, Oktober 2013) 52 Sina Kowalewski  ASEAS 7(1) Auch andere AkteurInnen sind skeptisch, ob einer Waffenstillstandsvereinbarung auch ein politischer Dialog folgt: „The Burmese government is not sincere. They al- ways say something and then do something else“ (General bewaffneter Gruppe, per- sönliches Interview, Oktober 2013). Für die Bewertung der Handlungen der myanmarischen Regierung verfolgen die bewaffneten Gruppen aufmerksam die aktuellen Ereignisse im Kachin-Staat; so führten 2013 geschlossene Abkommen zwischen Regierung und KIO/A nicht zu einer Beendigung der Kämpfe. Dies stärkt das Misstrauen gegenüber der Regierung. Nur wenige Wochen nach dem letzten Abkommen im Oktober 2013, welches den Weg für weitere Verhandlungen bereiten sollte, kam es zu erneuten bewaffneten Auseinan- dersetzungen. KIO/A und ihnen nahestehende Organisationen sehen den Auslöser für die bewaffneten Übergriffe in dem Machtstreben von Militär und Regierung, die ihre Position durch die Kontrolle von Ressourcen und Land zu stärken beabsichtigen. Bewaffnete Gruppen der UNFC-Mitglieder beschreiben ihr Handeln ausschließlich als Reaktion auf das Regierungshandeln: „We just respond to their [the government’s] actions. They want to talk, we talk with them. They fight us, we fight back“ (Oberst bewaffneter Gruppe, persönliches Interview, Oktober 2013). Eine große Sorge der Führungskreise bewaffneter Gruppen, wie der im UNFC ver- tretenen, besteht in ihrer eigenen Schwächung durch die Taktik der Regierung. Sie befürchten durch die bilateralen Verhandlungen mit RegierungsvertreterInnen, die einzelnen Personen oder Gruppen vor allem wirtschaftliche Zugeständnisse machen um sie zu überzeugen, geschwächt zu werden. Das erhöht die Gefahr, dass es den Wi- derstandsbewegungen nicht gelingt, mit einer Stimme zu sprechen und gemeinsam ihre politischen Ziele zu verfolgen. Um eine gemeinsame Position zu entwickeln und Vorbedingungen für die Unterzeichnung des landesweiten Waffenstillstandsabkom- mens zu formulieren, verständigten sich im Oktober 2013 16 bewaffnete Gruppen auf einer Konferenz in Laiza, dem Hauptquartier der KIA, auf einen gemeinsamen Stand- punkt und gründeten das Nationwide Ceasefire Coordination Team (NCCT). Im Janu- ar 2014 erarbeiteten diese bewaffneten Gruppen und ihre politischen Vertretungen auf einer Konferenz im KNLA-kontrollierten Gebiet den Entwurf eines landesweiten Waffenstillstandsabkommens, das wenige Tage später dem Verhandlungsteam der Regierung vorgelegt wurde. Als zentrale Bedingungen für die Unterzeichnung eines landesweiten Abkommens fordern die bewaffneten Gruppen, dass dieses Abkommen bereits den Rahmen und das Verfahren für einen politischen Dialog sowie die The- men Streitkräfte und Schutz der Zivilbevölkerung zu beinhalten habe (Ethnic Armed Organizations Conference, 2013, S. 2). Nur durch konkrete Vereinbarungen scheint es für die bewaffneten Gruppen möglich, ihre politischen Programme als durch Ver- handlungen durchsetzbar wahrzunehmen. Obwohl in den vergangenen Monaten zahlreiche Waffenstillstandsvereinbarun- gen neu unterzeichnet oder bestätigt wurden, führte dies bei den SkeptikerInnen des Friedensprozesses nicht zu einer Veränderung ihrer Perspektive auf Regierung und Militär. Denn es fehlt an konkreten Schritten und der Einhaltung von Vereinbarun- gen. In den Interviews (2012 und 2013) wurde die Friedensinitiative überwiegend als nach außen gerichtete Strategie interpretiert, um den globalen Norden zu besänf- tigen und InvestorInnen wie TouristInnen für Myanmar zu interessieren. Im nun folgenden Teil werde ich zeigen, dass die aktuellen Friedensverhandlungen in den 53„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar Führungskreisen bewaffneter Gruppen kaum als Chance zur Verbesserung ihrer poli- tischen Situation wahrgenommen werden. In einer negativen Einschätzung wird die derzeitige Friedensinitiative in KNU-,11 KIO- und UNFC-Führungskreisen basierend auf vorangegangen Erfahrungen als Regierungsstrategie zur Marginalisierung der ethnischen Nationalitäten und zur Absicherung der ökonomischen Vormachtstel- lung von Regierung und Militär interpretiert. MISSTRAUEN ALS HERAUSFORDERUNGEN FÜR DEN FRIEDEN Im Verlauf des Artikels habe ich bereits darauf hingewiesen, dass sich die be- waffneten Gruppen, wie diese im UNFC vertreten sind, zwar an dem Friedenspro- zess beteiligen, diesem jedoch skeptisch gegenüberstehen. Ich argumentiere, dass die Zurückhaltung dieser Gruppen im Friedensprozess weniger darauf basiert, eine Kriegsökonomie aufrechterhalten zu wollen, als vielmehr darauf, dass aufgrund der jahrzehntelangen Konfliktgeschichte ein Misstrauen gegenüber der Regierung be- steht. Solange die Verhandlungen zwischen Regierung und bewaffneten Gruppen zu keinen greifbaren Ergebnissen führen und die Regierung an ihrer Top-down-Strate- gie festhält, ist eine Niederlegung der Waffen somit auch den AnhängerInnen und KämpferInnen nicht vermittelbar. Die Waffen trotzdem niederzulegen, würde die Autorität der Führungskreise bei ihrer Anhängerschaft gefährden. Eine der größten Herausforderungen für den Friedensprozess stellt somit das anhaltende Misstrauen dar, dass politische Veränderungen im Sinne der bewaffneten Gruppen nicht durch Verhandlungen zu erreichen sind. Ihr Misstrauen gegenüber der Regierung beschreibt die Führungsebene der KIO beispielsweise so: „In our hearts, we do not have trust. In the past they [the govern- ment] always agreed on paper, but their actions on the ground were different. There- fore, we do not believe them“ (hochrangiger KIO-Funktionär, persönliches Interview, Oktober 2013). Wichtiger als Worte sind für sie die Handlungen von Regierung und Armee. Besonders die aktuellen bewaffneten Auseinandersetzungen, aber auch (lang) zurückliegende Ereignisse bestimmen die Interpretation der gegenwärtigen Situa- tion. Diese Interpretation macht es den bewaffneten Gruppen kaum möglich, der Reform- und Friedensstrategie der Regierung Vertrauen zu schenken. Sie beteiligen sich zwar an den Friedensgesprächen und beschäftigen sich intensiv mit einem zu- künftigen föderalen Staatssystem. So arbeitet beispielsweise der UNFC an einer neu- en Verfassung. Diese ist jedoch nur eine von zwei Strategien: „We are hoping for the best, but we are prepared for the worst“ (General bewaffneter Gruppe, persönliches Interview, Oktober 2013). Die bewaffneten Gruppen der KNU und KIO interpretierten aktuelle und vergan- gene Ereignisse in den geführten Interviews häufig als eine Geschichte der Marginali- sierung mit dem Versuch der Beseitigung regierungsfeindlicher Gruppen. Ein bedeu- tendes Ereignis für die KNU stellt der Sturz ihres Hauptquartiers Manerplaw 1995 durch die myanmarische Armee dar. Mehr als zwei Jahre, von 1992 bis 1994, hatte das Militär erfolglos versucht, Manerplaw zu erobern. Da die Eroberung in einer direk- 11 Innerhalb der KNU-Führung existieren unterschiedliche Ansichten über den erfolgversprechendsten Weg zur Erreichung der politischen Forderungen. So sind Softliner durchaus bereit, sich stärker auf die Friedensinitiative der Regierung einzulassen. 54 Sina Kowalewski  ASEAS 7(1) ten Auseinandersetzung misslang, wählte die damalige Militärregierung einen Hin- terhalt und konnte mit Unterstützung der Democratic Karen Buddhist Army (DKBA) schließlich Manerplaw einnehmen. 1994 gründete der buddhistische Karen Mönch U Thuzana die Democratic Karen Buddhist Organisation (DKBO), nachdem er bereits ab Anfang der 1990er Jahre Zulauf von KNU- und KNLA-Angehörigen erhalten hatte. Die Gründung der DKBA/O kann dabei als Reaktion auf die christliche Dominanz innerhalb der KNU und deren autoritäre Führung gedeutet werden. Jedoch förder- te die Militärregierung von Beginn an U Thuzana und die Gründung der DKBA als Verbündete der Regierung im Kampf gegen die KNU (South, 2009, S. 57) und schlug der DKBA einen Deal vor: Wenn es ihnen gelänge, Manerplaw zu erobern, erhielte die DKBA Autonomierechte im Karen-Staat. Angeführt von DKBA-Kämpfern, die als ehemalige KNLA-Angehörige die versteckten Wege und Schwachpunkte kannten, und getarnt in KNLA-Uniformen marschierten VertreterInnen der Militärregierung im Januar 1995 in das KNU-Hauptquartier ein (Karen Human Rights Group, 1995). Die Eroberung von Manerplaw war in der Erzählung der KNU nicht der erste Ver- such ihrer Zerschlagung. Bereits 1961 unter General Ne Win war dieser Versuch un- ternommen worden: „For religious reasons they [the Myanmar government] want to wipe the Karens out. But they could not wipe us out in the past because there are more of us than they believe and they overestimated their strength“ (ehemaliger hochrangiger KNU-Funktionär, persönliches Interview, Oktober 2013). Die Geschichte der gewaltsamen Beendigung von Widerstand hat jedoch nicht nur für die KNU eine Bedeutung, sondern auch für die Kachin. Die KIO und ihnen nahestehende Organisationen interpretieren die Angriffe auf KIA-Stützpunkte und das Wiederaufflammen der Kämpfe seit Mitte 2011 als eine systematische Strategie zur Schwächung der Kachin: „The enemy’s offensive against the Kachin since 2011 is a strategy of the tatmadaw to wipe out the Kachin“ (UNFC, persönliches Interview, Oktober 2013). In den geführten Interviews geben die KIO und ihnen nahestehende Organisationen an, dass die Kachin trotz der Übergriffe des tatmadaw an dem Waf- fenstillstand hätten festhalten wollen und die KIA erst Maßnahmen zur Selbstvertei- digung ergriffen habe, nachdem zahlreiche KIA-KämpferInnen getötet worden waren und deutlich wurde, dass sich das Militär die Zurückdrängung der KIA zum Ziel ge- setzt hatte. In Folge der Kampfhandlungen fühlten sich die Kachin in ihrer Existenz bedroht und der Konflikt weitete sich aus, indem sich das Narrativ der KIA/O zuneh- mend gesellschaftlich verankerte. Nach dem Ausbruch der Kampfhandlungen war es beispielsweise nicht länger das Ziel der Kachin Baptist Convention (KBC),12 einen Waffenstillstand zu fördern, sondern die Freiheit der Kachin, sie beteten daher „for freedom, not ceasefire“ („Burma’s largest“, 2012). Seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe erhielt die KIA verstärkt Zulauf und politische Forderungen radikalisierten sich; so existiert in KIO-Führungskreisen heute auch die Einschätzung, dass nur ein unabhängiger Kachin-Staat (und nicht mehr als Teil eines föderalen Staates) dauer- haft Freiheit und Sicherheit garantieren kann. In den Interviews werden häufig Parallelen zwischen der KIA und der Myanmar National Democratic Alliance Army (MNDAA) gezogen. So habe das Militär versucht 12 Die KBC ist eine christliche Organisation mit über 400.000 Mitgliedern. Sie unterstützt die Zivilbe- völkerung in den Konfliktregionen und äußert sich öffentlich zu dem bewaffneten Konflikt im Kachin- Staat. 55„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar die KIA wie schon die MNDAA, eine bewaffnete Gruppe der Kokang, zur Kapitulation zu zwingen. Im Gegensatz zu der MNDAA sei bei der KIA dieser Versuch jedoch ge- scheitert. Das myanmarische Militär griff 2009 die MNDAA an, die trotz der Unter- stützung anderer Gruppen nur wenige Tage später gezwungen war, sich zu ergeben. Die myanmarische Regierung sei daher davon ausgegangen, dass eine Zerschlagung der KIA ebenso möglich sei: „They [the Myanmar government] crushed the Kokang within three days, so [they believed] they can crush the Kachin within ten days“ (UNFC-Vertreter, persönliches Interview, Oktober 2013). Aktuell zeigt sich die Angst vor der Zerschlagung von bewaffneten Gruppen darin, dass in Führungskreisen eine militärische Großoffensive wie gegen die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) im Norden Sri Lankas für durchaus möglich gehalten wird. Es kursieren Informationen, wonach die Regierung von Myanmar den weitestgehenden Waffenstillstand nutz- te, um besonders durch den Austausch mit Israel und Sri Lanka ihre Kenntnisse im Kampf gegen Widerstandsgruppen zu erweitern. Bei ihrem Vorgehen werden Regierung und Militär überwiegend ökonomische Motive unterstellt. So zielten Regierung und Militär darauf ab, wichtige Investitions- standorte unter ihre Kontrolle zu bringen, entweder durch Landnahme oder durch Waffengewalt. Eine Kachin-Friedensaktivistin fasst das Konfliktgeschehen so zusam- men: An investment site means a clash. Where there is an investment site in Kachin State, they [the tatmadaw] will just find an excuse to fight. All fighting is about clearing the area for investment projects. But investment only means extracting the natural resources. Without international help the whole country will be sold out soon, and after 2015 nothing will be left. (Kachin-Friedensaktivistin, persönliches Interview, November 2013) Ein Großteil der aktuellen bewaffneten Auseinandersetzungen im Kachin-Staat findet entlang der 771 Kilometer langen Shwe Gaspipeline statt, die Öl und Gas aus dem Golf von Bengalen quer durch Myanmar nach China befördert. Zum Schutz der Pipeline wurden innerhalb von wenigen Monaten 6.000 zusätzliche Soldaten des myanmarischen Militärs in die Region gebracht (Shwe Gas Movement, 2012). Die Be- schlagnahmung von Land in den Gebieten der ethnischen Nationalitäten wird derzeit als großes Problem thematisiert. Zwischen Regierung und Wirtschaftselite besteht häufig (noch) eine enge Verbindung, sodass der Regierung nahestehende Unterneh- men mit deren Duldung Land konfiszieren, wie beispielsweise die Yuzana Company Limited. Deren Gründer, der Geschäftsmann U Htay Myint, verfügt über enge Bezie- hungen zum Militär bis hin zum ehemaligen Staatschef von Myanmar, Than Shwe. Im Kachin-Staat konfiszierte das Unternehmen in der Vergangenheit etwa 120.000 Hektar Land. Das Handeln von Regierung und Militär wird dabei als Versuch inter- pretiert, durch die Kontrolle von wirtschaftlich relevanten Gebieten ihre Machtposi- tion dauerhaft zu sichern. Für die Menschen in den Waffenstillstandsregionen brach- te der Friedensprozess allerdings positive Entwicklungen. So ist es in weiten Teilen des Karen-Staats beispielsweise für die Menschen dort möglich, sich frei und ohne Angst zu bewegen (South, 2014). Aber auch hier entsteht durch Landbeschlagnah- mung für Wirtschaftsprojekte ein neues großes Problem für die dörflichen Gemein- schaften (Karen Human Rights Group, 2013). In einer pessimistischen Perspektive, 56 Sina Kowalewski  ASEAS 7(1) die besonders innerhalb der Führungskreise von KIO, KNU und UNFC sowie unter AktivistInnen kursiert, werden die aktuellen Friedensbemühungen in erster Linie als nach außen gerichtete Strategie interpretiert: „The Myanmar Peace Center and the government want to have an agreement to show the world that Myanmar is a safe en- vironment for business and tourists“ (Chin-Friedensaktivist, persönliches Interview, November 2013). Zentral bei ihrer Interpretation der aktuellen Ereignisse sind ihre vorangegangen Erfahrungen mit Regierung und Militär. FAZIT Der mögliche Erfolg des Friedensprozesses in Myanmar wird wesentlich durch das fehlende Vertrauen, das die Führungskreise bewaffneter Gruppen diesem ent- gegenbringen, in Frage gestellt. Den proklamierten Reformprozess der Regierung betrachten sie als Fortsetzung einer althergebrachten Strategie, die besonders auf die Marginalisierung der ethnischen Nationalitäten und die Sicherung der ökono- mischen Vormachtstellung für Regierungs- und Militärangehörige abzielt. Die Frie- densabkommen sollen in dieser Perspektive dazu dienen, die Widerstandsbewegun- gen in ein enges Korsett zu pressen: „The nationwide ceasefire is a strategy of the Burmese government to put us in a cage. So that we cannot move anywhere, we are locked in a small chicken cage“ (General bewaffneter Gruppe, persönliches Interview, Oktober 2013). Die Waffenstillstandsabkommen sollen die Widerstandsbewegungen zur Niederlegung der Waffen drängen, indem sie ihnen (minimale) politische und wirtschaftliche Teilhabe versprechen, jedoch ohne die Chance tiefgreifende politi- sche Veränderungen umzusetzen. Ich zeigte in dem vorliegenden Artikel, dass sich die bewaffneten Gruppen zwar an dem Friedensprozess beteiligen, letztendlich damit aber nur auf das Handeln der Regierung reagieren und ihre Gesprächsbereitschaft signalisieren. Ich argumentierte, dass die Führungskreise bewaffneter Gruppen nicht deshalb eine kritische Perspek- tive einnehmen, weil sie ökonomische Verluste befürchten, sondern weil es ihnen an Vertrauen fehlt. Nach Jahrzehnten der Militärherrschaft ist es eine besondere Her- ausforderung, dem Gesinnungswandel der Regierung zu vertrauen und bei dem am- bitionierten Tempo des Reformprozesses den Anschluss nicht zu verlieren. Lassen sich die Führungen der bewaffneten Gruppen auf das von der Regierung vorgegebene Tempo ein, laufen sie Gefahr ihre Legitimität gegenüber ihren Anhän- gerInnen nicht länger aufrechterhalten zu können. Führungspersönlichkeiten, die sich zu schnell auf den Reformprozess einlassen, geraten bei ihrer Anhängerschaft in Verdacht, durch ökonomische Vorteile korrumpiert worden zu sein. Dementspre- chend erfährt der Friedensprozess bei SkeptikerInnen nicht durch die ökonomische Beteiligung mehr Glaubwürdigkeit, sondern nur durch eine politische. Erst durch eine politische Beteiligung können die bewaffneten Gruppen die Friedensverhand- lungen als Chance zur Verbesserung ihrer Situation wahrnehmen. Weitere wirt- schaftliche Zugeständnisse für einzelne Individuen und Gruppen würden nur die kritische Perspektive, in der die Regierung auf die Spaltung der ethnischen Nationali- täten abzielt, bestärken. Bereits bei vorherigen Waffenstillstandsvereinbarungen, wie beispielsweise zwischen KIO/A und Regierung, wurden wirtschaftliche Zugeständ- nisse über eine politische Regelung gestellt. Das Wiederaufflammen der Kämpfe im 57„In Our Hearts, We Do Not Have Trust“: Frieden und bewaffnete Gruppen in Myanmar Kachin-Staat zeigt jedoch, dass ohne eine politische Regelung die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen bestehen bleibt. Um einen nachhaltigen Frieden in Myanmar zu erreichen, ist es hilfreich, der Perspektive der SkeptikerInnen Gehör zu schenken und den Top-down-Friedensprozess in einen solchen zu verwandeln, der einer Viel- zahl von gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen Gestaltungsmöglichkeiten ein- räumt. Nur so kann innerhalb der bewaffneten Gruppen die Perspektive eine Chance bekommen, dass durch eine Verhandlungslösung ihre Marginalisierung überwindbar und ihre politischen Forderungen realisierbar sind. Dazu muss die Regierung bereit sein, von ihrem Plan für die Zukunft Myanmars, der Strategie einer florierenden, disziplinierten Demokratie, abzuweichen und demokratische Verfahren bereits im Reformprozess umsetzen. Sonst besteht die Gefahr der Einführung (semi-)demo- kratischer Strukturen mit autokratischen Mitteln. Eine Beendigung des bewaffne- ten Konfliktes wäre so dauerhaft nicht zu erreichen. Erste Schritte auf diesem Weg könnten sein, die politische Regelung des Konfliktes zur Priorität zu erklären und Wirtschaftsprojekte in Gebieten mit unklarem Status bis zu einem Friedensvertrag auszusetzen. Besonders zum Schutz der Zivilbevölkerung, aber auch um Vertrauen aufzubauen, müssen Waffenstillstandsvereinbarungen eingehalten sowie deren Ver- letzungen sanktioniert werden. Das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien muss wachsen. Dies erfordert die Bereitschaft von allen Parteien.  LITERATURVERZEICHNIS Ballentine, K., & Sherman, J. (2003). Introduction. In K. Ballentine, & J. 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Ihr aktuelles Forschungsinteresse gilt dem Transitionsprozess in Myanmar und hier besonders den bewaffneten Gruppen. Sie hat mehrmals Feldforschungen in Thailand und Myanmar durchgeführt. ► Kontakt: sina.kowalewski@staff.uni-marburg.de DANKSAGUNG Mein Dank gilt besonders Christoph Kowalewski, Wolfgang Trost, Thorsten Bonacker und Brigitte Schüssler für ihre Unterstützung bei meiner Feldforschung. Des Weiteren bedanke ich mich für wertvolle Hinweise bei zwei anonymen GutachterInnen.