Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökologischer Konflikte in Kalimantan Timo Duile ► Duile, T. (2014). Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökologischer Konflikte in Kalimantan. ASEAS – Austrian Journal of South-East Asian Studies, 7(1), 93-110. In hegemonialen Diskursen, die sich gerade in ökonomischer Hinsicht als wirkmächtig erwiesen haben, erscheinen ökologische Konflikte meist als Konflikte um das adäquate Management von Ressourcen. Der epistemische Subtext dieser Herangehensweise an den Gegenstand „Umwelt“ basiert auf einem spezifischen Konzept von Natur, welches Natur als Materie, als das Andere der Kultur und des menschlichen Geistes begreift. Mit Bezug auf Philippe Descola soll in diesem Artikel gezeigt werden, dass sich die im Kontext indigener politischer Strategien revitalisierenden und neu ausgehandelten Na- turkonzepte der Dayak auf der Insel Borneo von diesem hegemonialen Naturkonzept unterscheiden – auch wenn sich diese immer wieder auf Grundlagen der hegemonia- len Episteme beziehen müssen, um in die globalen Diskurse eintreten zu können. Der Beitrag veranschaulicht diese epistemische Dimension ökologischer Konflikte, indem exemplarisch Publikationen von John Bamba, Direktor einer indigenen Organisation im indonesischen West-Kalimantan, analysiert werden. Es soll außerdem gezeigt werden, wie indigenes Wissen in seiner epistemischen Gesamtheit in hegemonialen Diskursen über lokales Wissen in Kalimantan ausgeblendet wird. Schlagworte: Dayak; epistemische Konflikte; Kalimantan; lokales Wissen; Naturkonzepte  In hegemonic discourses, which have been particularly influential in economic terms, environmental conflicts are mostly framed as conflicts about the adequate use and ma- nagement of natural resources. However, the epistemic subtext of this approach is based on a specific concept of nature that takes nature as matter, as the opposition to culture or the human mind. With reference to Philippe Descola, this paper aims to show that Dayaknese concepts of nature on the island of Borneo, which are revitalized and negotia- ted within the context of indigenous political strategies, differ fundamentally from these hegemonic concepts – even though they have to refer to some hegemonic epistemic pre- mises in order to enter global discourses. The article illustrates this epistemic dimension by analyzing statements of John Bamba, director of an indigenous organization in West Kalimantan, Indonesia. Furthermore, it demonstrates how indigenous knowledge in its epistemic totality is neglected by Western discourses on local knowledge in Kalimantan. Keywords: Concepts of Nature; Dayak; Epistemic Conflicts; Kalimantan; Local Knowledge Aktuelle Südostasienforschung  Current Research on Southeast Asia w w w .s ea s. at d o i 10 .1 47 64 /1 0. A SE A S- 20 14 .1 -7 94 Timo Duile  ASEAS 7(1) EINLEITUNG Was sind, im hegemonialen Diskurs des globalen Nordens, ökologische Konflikte? In Publikationen der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) werden ökologische Kon- flikte in der Regel als Konflikte um das richtige Management von Ressourcen gedeu- tet, das die Kriterien einer wie auch immer definierten Nachhaltigkeit erfüllen sowie eine Einbindung in lokale, regionale und globale Märkte gewährleisten soll. Nach- haltige Entwicklung soll „wirtschaftlich leistungsfähig“ (Nuscheler, 2006, S. 382) sein, also etwas produzieren, das in internationale Märkte eingespeist werden kann (Momberg, 1993, S. 3). Im indonesischen Kalimantan beziehen sich Untersuchungen ökologischer Konflikte meist auf die Verunreinigungen durch Bergbau und Goldab- bau, die nicht selten in Konflikt mit Naturschutzstrategien stehen (Eaton, 2005, S. 75–85), sowie auf die großflächige Umwandlung der Landschaft von tropischen Wäl- dern und kleinbäuerlicher Landwirtschaft in zunächst vor allem Kautschuk- und ab den 1980er Jahren in Palmölplantagen (Colchester et al., 2006). Für Kalimantan stellt die Expansion von Palmölplantagen aufgrund des enormen Flächenverbrauchs den folgenschwersten ökologischen Eingriff dar, der sich dort je ereignet hat. Aufgrund der hohen, auch politisch gewollten Nachfrage nach Palmöl (Dera, 2009, S. 18–24, 30), das als fast konkurrenzlos günstiges Pflanzenöl sowohl für die Lebensmittel- und Kosmetikproduktion als auch als Agrartreibstoff verwendet werden kann und in Dis- kursen um den Klimawandel immer wieder als marktfreundliche Lösung auftaucht (Houtard, 2010, S. 60–74), verfolgt die indonesische Regierung sehr ambitionierte Pläne, um den Anbau von Ölpalmen auch in den nächsten Jahren massiv auszuwei- ten (Caroko, Komarudin, Obidzinski, & Gunarso, 2011). Diese sozial-ökologische Transformation verursacht eine ganze Reihe von Kon- fliktdimensionen. Nach Pye (2013, S. 2–3) lassen sich in der Kontroverse um den Palmölanbau drei Kategorien von Kritik herausarbeiten. Erstens richtet sich die Kri- tik gegen die Monokulturen, die die Biodiversität bedrohen. Zweitens wird bemän- gelt, dass es sich bei der Ausweitung der Palmölplantagen um eine Scheinlösung im Kampf gegen den Klimawandel handelt, da bei der Umwandlung von Torfmoorwäl- dern hohe Mengen an CO2 freigesetzt werden. Drittens wird die Palmölindustrie für soziale Missstände kritisiert (Jiwan, 2013, S. 65). Sie greife zu (menschen)rechtswidri- gen Mitteln bei der Akquise von Land, mache Kleinbauern und -bäuerinnen alleinig von einem Produkt abhängig, führe zu Nahrungsmittelknappheit und stelle lediglich prekäre Beschäftigungsverhältnisse für die ArbeiterInnen auf den Plantagen her. Im Folgenden schlage ich vor, diese Konflikte unter einem weiteren problema- tischen Aspekt zu betrachten: Der jeweiligen Nutzung von „Natur“ liegt ein spezi- fischer Naturbegriff zu Grunde, dessen epistemologisch-ontologische Dimensionen in hegemonialen Diskursen reproduziert werden. Hegemonial werden im Folgenden diejenigen Diskurse genannt, die sich – im ökonomischen wie im ökologischen Sinne – als besonders wirkmächtig erwiesen haben. Hegemonial sind dann vor allem jene Begrifflichkeiten und Repräsentationen von Welt, die auf den Wissenssystemen und Ontologien der diskursiv und ökonomisch einflussreicheren AkteurInnen gründen. Daher ist die hegemoniale Episteme im Wesentlichen auch eine kapitalistische: Sie dient als legitimierender Unterbau für die Konzeption der Natur als das „Andere“, das vielfältigen Ausbeutungsstrategien zum Zwecke der Kapitalakkumulation unter- 95Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökolog. Konflikte in Kalimantan worfen werden kann. In diesem hegemonialen Diskurs wird „Natur“ als das Andere des menschlichen Geistes betrachtet. Dabei handelt es sich um ein hierarchisches Oppositionspaar, in dem der menschliche Geist und die von ihm hervorgebrachte Kultur als höherwertig erscheint und Natur, verstanden als geistlose Materie, dem Geist unterworfen wird (McEvan, 2009, S. 123; Plumwood, 2003, S. 52–58). Der Eth- nologe Philipp Descola (2011) bezeichnet diese Trennung als Naturalismus. Demge- genüber entwerfen indigene AktivistInnen alternative Naturkonzepte, welche sie als traditionell markieren und in denen „Natur“ nicht mehr als das schlechthin Andere des menschlichen Geistes oder der menschlichen Gesellschaft erscheint. Ein solch al- ternatives Naturverständnis mit Rückgriff auf „traditionelle“ Naturwahrnehmungs- muster wird von indonesischen IndigenenvertreterInnen und UmweltaktivistInnen in den letzten Jahren verstärkt als Grundlage einer politischen Strategie propagiert. In diesem Artikel sollen Hinweise entwickelt werden, wie die Weltwahrnehmung der Dayak in Descolas Schema analysiert werden kann. Anhand der Analyse von Pub- likationen John Bambas, Direktor der indigenen und palmölkritischen Nichtregie- rungsorganisation (NRO) Institut Dayakologi in West-Kalimantan, sowie von zwei exemplarischen Beiträgen aus der EZA wird gezeigt, wie die epistemischen Unter- schiede, die den indigenen Naturkonzeptionen zugrunde liegen (in der Terminologie Descolas handelt es sich um eine alternative Ontologie), sich in diskursiver Form aus- drücken und dabei die bestehenden hegemonialen Naturkonzepte einerseits heraus- fordern und andererseits reproduzieren. Exemplarisch werden auch Interviews und Gespräche mit IndigenenvertreterInnen und UmweltaktivistInnen, die während ei- nes Forschungsaufenthalts in West-Kalimantan zwischen November 2013 und März 2014 geführt wurden, in die Analyse integriert. Mit der Analyse der epistemischen Differenz zwischen westlich-hegemonialen und indigenen Naturkonzepten soll der Artikel einen Beitrag dazu leisten, die ein- gangs umrissenen Dimensionen der Kontroverse um ökologische Konflikte in Borneo – besonders im Kontext des Palmölbooms – um eine epistemische „Tiefendimension“ zu erweitern: Es soll also nicht darum gehen, mit der vorgeschlagenen Dimension andere Kritikpunkte an der ökologischen Transformation Kalimantans auszublen- den, sondern diese um die Betrachtung von Differenzen in der Naturwahrnehmung und der Naturkonzepte zwischen ökonomisch, politisch und diskursiv mit unglei- cher Macht ausgestatteten AkteurInnen zu ergänzen. Selbstverständlich können die Aussagen John Bambas sowie die exemplarischen Interviews mit Dayak in West-Kali- mantan nicht als repräsentativ für alle Dayak angesehen werden, weil sich die Natur- vorstellungen und -wahrnehmungen dieser heterogenen Gruppe besonders mit dem Grad ihrer Einbindung in Modernisierungskontexte verändern. Gerade diese Ein- bindung kann jedoch die Rückbesinnung auf „traditionelle“ Wahrnehmungsmuster hervorrufen, da insbesondere indigene Gruppen oft durch die sozial-ökologischen Folgen von Modernisierungsprozessen benachteiligt werden (Alcon, 2000, S. 3–12). Wenn von „westlichen“ Konzepten oder verschiedenen Epistemen die Rede ist, dann kommt diesen ebenso wenig wie den „Dayak-Konzepten“ ein ontologischer Wahr- heitswert zu: Sie sollen vielmehr als begriffliches Instrumentarium benutzt werden, da diese beispielsweise von NRO-VertreterInnen, wie in weiterer Folge beispielhalft gezeigt wird, gegenübergestellt und dabei essenzialisiert werden (vgl. Bamba, 2008, 2010). Hier dagegen sollen sie dem Zweck dienen, Unterschiede in der Naturwahr- 96 Timo Duile  ASEAS 7(1) nehmung begrifflich zu fassen und sie mit Rückgriff auf die Überlegungen Descolas idealtypisch gegenüberzustellen, um diskursive Konfliktlinien herauszuarbeiten. Im Folgenden wird zunächst ein kurzer Überblick über die Transformation der Umwelt in Kalimantan und den dieser Transformation zugrunde liegenden hege- monialen Naturbegriff gegeben. Dieser soll dann in das Schema von Descola einge- ordnet und die Unterschiede zu den indigenen Naturkonzepten deutlich gemacht werden. Schließlich wird das Einschreiben dieser alternativen Naturkonzepte in die hegemoniale Ordnung dargestellt, indem die Rezeption indigener Naturkonzepte in Kalimantan im Zuge der Diskurse um lokales Wissen analysiert wird. DIE TRANSFORMATION DER UMWELT IN KALIMANTAN IM KONTEXT EINES HEGE- MONIALEN NATURBEGRIFFS Während der Hochphase des europäischen Imperialismus im 19. Jahrhundert wurde Borneo durch die Kolonialmächte Großbritannien und die Niederlande im- mer stärker in das Weltsystem integriert. Dabei wurden sowohl Produkte, die in Plantagen angebaut wurden, als auch Walderzeugnisse wie Rattan oder Guttapercha in regionale und globale Märkte eingebunden (Cleary & Eaton, 1992, S. 95). In der Ko- lonialzeit gelangten somit auch europäische Naturkonzeptionen in all ihren Facetten in den malaiischen Archipel. Dabei haben sich besonders kapitalistische Konzeptio- nen als wirkmächtig erwiesen, die Natur als das Andere des (weißen) menschlichen Geistes konzipierten, die als Rohstoff für die kapitalistische Inwertsetzung mit dem Zweck der Kapitalakkumulation zur Verfügung stand (zu kolonialen Herrschaftskon- zeptionen über Natur, siehe Plumwood, 2003, S. 52–58). Da diese Naturkonzeptionen den Dekolonialisierungsprozess überdauerten und weiterhin wirkmächtig sind, kann hier in Bezug auf eine kritische Analyse von einer postkolonialen Perspektive auf den Begriff der Natur gesprochen werden. Die Integration Borneos als peripheren Ort in das Weltsystem ging einher mit ei- ner tiefgreifenden Transformation der Umwelt. Der Wald wurde in größerem Maße als Rohstofflieferant genutzt und erste Plantagen angelegt. Den massivsten Einbin- dungsschub in das Weltsystem erfuhr Kalimantan, der indonesische Teil der Insel, während der Suharto-Diktatur (1966–1998), als das Regime ab den 1970er Jahren Anreize für inländische und internationale Investitionen zur Ausbeutung der natür- lichen Ressourcen schuf. Staatliche Investitionen in Infrastruktur und finanzielle An- reize trugen dazu ebenso bei wie Zwangsmaßnahmen (z.B. Umsiedlungen), mit de- nen lokale Widerstände gebrochen wurden. Neben Waldprodukten und Kautschuk spielten Palmölplantagen für die Landwirtschaft Borneos ab den 1980er Jahren eine immer größere Rolle. Profiteure dieser Wirtschaftszweige waren und sind neben Konglomeraten aus dem globalen Norden auch die einheimischen Palmöl-Oligarchi- en (Pichler & Pye, 2012, S. 145–147). Seit den 1980er Jahren wurden auf der Insel Bor- neo nach Angaben des World Wildlife Fund (World Wildlife Fund Deutschland, 2013) pro Jahr im Schnitt 860.000 Hektar Wald vernichtet, so dass heute nur noch etwa 50 Prozent Borneos (in Kalimantan weniger) mit Wald bedeckt sind und „das Ende des Tieflandregenwalds der Insel Borneo unmittelbar in Sicht“ (Klute, 2010, S. 222) ist. Unter der Regierung Yudhoyono (2004–2014) wurden die Anreize für ausländisches Kapital, in Palmölplantagen zu investieren, noch verstärkt (Dera, 2009, S. 30–32), 97Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökolog. Konflikte in Kalimantan und die Beimischungsquoten für Agrokraftstoffe in der EU machen Palmöl noch at- traktiver.1 Allein in der Provinz West-Kalimantan wurden bis 2010 Genehmigungen für eine Fläche von über 1 Million Hektar für den Anbau von Palmölplantagen aus- gegeben, von denen bereits 66 Prozent bepflanzt sind (Caroko et al., 2011, S. 2–3). Die ehrgeizigen Pläne der indonesischen Regierung sehen einen weiteren massiven Aus- bau vor; bis 2020 sollen in West-Kalimantan über 5 Millionen Hektar mit Ölpalmen bepflanzt werden (Colchester et al., 2007, S. 27–28). Die Ölpalme verändert wie keine andere Pflanze die Landschaft Borneos. Ökolo- gische Konflikte in Kalimantan beschränken sich jedoch keineswegs auf die Palmö- lindustrie. Bereits lange vor dem Palmölboom wurde kleinbäuerlich und extensiv genutztes Land in Kautschukplantagen umgewandelt, und auch der Goldabbau und die massive Verschmutzung der Flüsse – insbesondere mit Quecksilber – oder der Kohleabbau stellen heute massive ökologische Probleme dar. Gemessen am Flächen- verbrauch ist der Palmölanbau dennoch ein zentrales ökologisches Konfliktfeld in Kalimantan. Die Einbindung in das ökonomische Weltsystem erfolgte auch mittels einer Ein- bindung in ein epistemisches Weltsystem, also in eine hegemoniale Wissensordnung, die auf einem spezifischen Naturbegriff beruht. Laut Wallerstein (2010, S. 69–81) ist eine bestimmte universalisierende Form von Wissen die Grundbedingung für das ka- pitalistische Weltsystem. Die universalisierende Naturwissenschaft stellt in diesem Zusammenhang ökonomisch verwertbares Wissen bereit und bildet die epistemische Grundlage für das moderne kapitalistische Weltsystem. Damit verbunden ist ein spe- zifisch naturwissenschaftlicher Naturbegriff, den ich in der Folge mit dem Begriff des Naturalismus, wie ihn Descola versteht, in Verbindung bringen möchte. Dieser Na- turbegriff impliziert dabei nicht nur die Forderung, die Natur als Ressourcenreservoir möglichst effektiv auszubeuten, sondern drückt sich auch in einflussreichen Nach- haltigkeitsdiskursen aus, die, ausgehend von der globalen Ebene, die indonesische Politik erreicht haben (Arnscheidt, 2009, S. 125–156). Dementsprechend beruht das Konzept der nachhaltigen Entwicklung auf einem Technozentrismus (Eblinghaus & Stickler, 1992, S. 101–104), der Natur als das zu beherrschende Äußere begreift. Dem- gegenüber existieren jedoch auch alternative epistemische Ordnungen, die mit je- ner hegemonialen Ordnung diskursiv konkurrieren. Entlang von ökologischen Kon- flikten lassen sich dementsprechend epistemische Konflikte beobachten. Darunter werden Konflikte verstanden, die sich aufgrund verschiedener, das Wissen und die Wahrnehmung organisierender Strukturen ergeben. In diesem Fall liegt der hege- monialen Episteme die Prämisse zu Grunde, dass Natur und menschlicher Geist zwei qualitativ verschiedene Kategorien sind. Philippe Descola benutzt in seiner Untersu- chung den Terminus der Ontologien, um diese Wahrnehmungs- und Wissenskon- zepte abzugrenzen. Es geht dabei jedoch nicht um die Frage, wie das Sein ist, sondern wie das Sein durch epistemische Grundannahmen in der Wahrnehmung erscheint. 1 Palmöl wird jedoch auch in sehr vielen Kosmetika und Nahrungsmitteln verwendet, da es derzeit das billigste Pflanzenfett ist. Erst ab November 2014 muss nach einer EU-Richtlinie Palmöl als Bestandteil dieser Erzeugnisse ausdrücklich angeführt werden (Rettet den Regenwald, 2011). 98 Timo Duile  ASEAS 7(1) ANDERE EPISTEMISCHE ORDNUNGEN – DESCOLAS „ONTOLOGIEN“ JENSEITS VON NATUR UND KULTUR Ein selbstreflexiver Blick auf das eigene Denken wirft die Frage auf, ob es mensch- liche Gemeinschaften gibt, deren Denken und Wahrnehmen nicht von der uns ver- trauten Gegenüberstellung von Kultur und Natur geprägt ist. Philippe Descola (2011), Ethnologe und Schüler von Claude Levi-Strauss, hat dazu eine umfangreiche Studie vorgelegt, die sich auf ethnographisches Material aus verschiedensten Regionen der Erde stützt. Descola zeigt auf, dass es grundlegende, das Denken ordnende Struktu- ren gibt – er nennt sie Ontologien – die unsere Wahrnehmungen und unser Wissen vom Seienden prägen und erst ermöglichen. Dabei ist der westliche Naturbegriff, der Natur als Materie vom menschlichen Geist scheidet, eine Besonderheit, auch wenn er uns im wahrsten Sinne des Wortes „natürlich“ erscheint. Descola unterscheidet dabei zwischen vier Ontologien.2 Alle diese Ontologien be- ruhen auf binären Oppositionen zwischen Interioritäten und Physikalitäten. Binäre Oppositionen3 sind für ihn demnach entscheidend, müssen jedoch nicht zwangsläu- fig zu einem westlichen Naturbegriff führen. Unter Interiorität subsumiert Descola alle Vorstellungen von einem Inneren, das sich durch Bewusstsein und Intentiona- lität auszeichnet – man könnte auch sagen, Interiorität ist das, was Entitäten in der Wahrnehmung als Subjekte erscheinen lässt. Unter dem vagen Terminus »Interiorität« ist eine Reihe von Eigenschaften zu verstehen, die von allen Menschen erkannt werden und die sich zum Teil mit dem decken, die wir gewöhnlich Geist, Seele oder Bewusstsein nennen – Inten- tionalität, Subjektivität, Reflexivität, Affekte, die Fähigkeit zu bezeichnen oder zu träumen. … Kurzum, es handelt sich um jenen universellen Glauben, daß es dem Sein innewohnende oder ihm entspringende Merkmale gibt, die unter normalen Umständen allein durch ihre Wirkung zu erkennen sind und von de- nen angenommen wird, daß sie für seine Identität, seine Dauer und einige sei- ner typischen Verhaltensweisen verantwortlich sind. (Descola, 2011, S. 181–182) Dagegen bezeichnet der Terminus Physikalität das direkt greif- und wahrnehm- bare einer Entität. Dieses Konzept lässt sich auf den Begriff der Materialität anwen- den, ist allerdings nicht darauf beschränkt. Es bezieht sich auch auf die Substanz und die äußere Form einer Entität. Descola führt aus: Die Physikalität ist also nicht die bloße Materialität der organischen oder abio- tischen Körper, sondern die Gesamtheit der sichtbaren und greifbaren Aus- drucksformen, die die einer beliebigen Entität eigentümlichen Dispositionen 2 Ich werde hier nur auf den Naturalismus als diejenige hegemoniale Ontologie eingehen, auf die sich das kapitalistische Weltsystem stützt, sowie auf den Animismus als diejenige Ontologie, die wir bei den Dayak auf Borneo finden. Für die beiden anderen Ontologien, die Descola Totemismus und Analogismus nennt, siehe Descola, 2011, S. 219–258 sowie S. 301–344. 3 Descola widerspricht Derrida, wenn er schreibt, „daß, anders als eine beliebte Meinung es will, die binären Gesetze keine Erfindung des Abendlandes oder eine Fiktion der strukturalen Anthropologie sind, sondern bei vielen Gelegenheiten von allen Völkern reichlich verwendet werden und daß also weniger ihre Form in Frage gestellt werden muß als die eventuelle Universalität der Inhalte, die sie zerlegt“ (Descola, 2011, S. 189). 99Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökolog. Konflikte in Kalimantan annehmen, wenn angenommen wird, daß sie aus den dieser Entität wesentli- chen morphologischen und physiologischen Merkmale resultieren. (Descola, 2011, S. 182) Aus der Kombination dieser Konzepte ergeben sich vier mögliche Ontologien, die die Wahrnehmung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Dinge in der Welt strukturieren. Für Descola ist der Modus der Identifikation entscheidend (Descola, 2011, S. 176–194): Identifizieren sich Individuen mit anderen Entitäten, weil sie ihnen die gleiche Interiorität oder die gleiche Physikalität zuerkennen? In unserer Wahr- nehmung, die Descola Naturalismus nennt, erkennen wir nur andere Menschen als uns ähnliche Entitäten an, weil wir nur ihnen eine Interiorität zuerkennen, von der wir annehmen, dass wir sie auch selbst besitzen. Innerhalb westlicher Gesellschaften finden sich natürlich auch Gegendiskurse, die „nicht mehr so eifrig eine Diskonti- nuität zwischen Menschen und Nichtmenschen behaupten“ (Descola, 2011, S. 269). Allerdings haben diese Diskurse kaum Ausdruck in hegemonialen Praktiken gefun- den, und für die Praxis der kapitalistischen Warenproduktion ist die Trennung von Menschen und Nichtmenschen, also von Geist und Natur als Rohstoff, nach wie vor ein wichtiges Legitimationsmoment. Die Interiorität lässt sich in Konzepten von See- le, Bewusstsein oder Intentionalität begreifen; das heute aber am meisten verbreitete Konzept ist wohl dasjenige des rationalen Geistes. Dagegen begreifen wir die Dinge der Natur, also das Andere des rationalen Geistes, als bloße Materie, da wir ihnen nur eine Physikalität zugestehen. Der Mensch erscheint im Naturalismus einerseits als Naturwesen, da sein Körper Physikalität besitzt. Allen voran ist er aber Interiorität, rationaler Geist, Bewusstsein und selbstreflexive Intentionalität. Descola nennt die Ontologie, die genau anders herum verfährt, Animismus. Nach dieser unterscheiden sich Entitäten der Welt nicht aufgrund der Interioritäten, sondern aufgrund der Physikalität: Es ist die Form, nach der im Animismus unter- schieden wird: Haut, Federn, Schuppen, Rinde und die Gestalt sind es, nach denen unterschieden wird, während der Naturalismus all diese Dinge als gleich betrachtet, nämlich als Materie, die aus Atomen zusammengesetzt ist. Dingen, Pflanzen und be- sonders Tieren sowie Geistern werden im Animismus Interioritäten zugesprochen, wie sie auch Menschen besitzen. Dieses Denken führt dazu, dass den Entitäten, die uns als bloße Natur erscheinen, ein Bewusstsein oder eine Seele (daher der Begriff Animismus) zugesprochen wird, die sich prinzipiell nicht vom Bewusstsein oder von der Seele der Menschen unterscheidet. Beispielsweise erlaubt dies den Menschen zu den Tieren, aber auch den Tieren untereinander, Kommunikationsbeziehungen aufzubauen (Descola, 2011, S. 197). Des Weiteren haben Tiere und gelegentlich auch Pflanzen qua ihrer Interioritäten Einblick in die kulturbegründenden Normen wie Heiratsregeln oder Regeln, die generell das Verhalten zwischen den Subjekten und ihrer Gruppen reglementieren. Die Unterscheidung zwischen dem Ort der Kultur und dem Ort der Natur, also zwischen Haushalt/Dorf und dem Wald oder der Wild- nis wird damit größtenteils aufgehoben (vgl. Descola, 2011, S. 63–98). In diesem Sin- ne sind auch die Ausführungen von Dayak-AktivistInnen zu verstehen, die darauf hinweisen, dass für sie die Natur ein „gemeinsames Haus“ für alle Lebewesen ist. Hier sei als Beispiel auf die Selbstdarstellung der Noyan-Dayak verwiesen: „Die Da- yak betrachten die Natur als gemeinsames Haus für alle Geschöpfe, einschließlich 100 Timo Duile  ASEAS 7(1) derer, die nicht sichtbar sind“ (The New Generation of Noyan, 2013, Übersetzung des Autors). Das Haus verweist hier auf den Ort der Kultur, an dem diese Lebewesen ebenso wie die Menschen teilhaben. Vor diesem Hintergrund erscheinen ökologische Konflikte dann auch als gesellschaftliche Konflikte – nicht, weil sie nur Menschen beträfen, sondern weil nicht-menschliche Entitäten als Teile der Gesellschaft ange- sehen werden. In der Selbstdarstellung der Dayak dient der Verweis auf diese andere Ontologie letztlich auch der politischen Strategie der Bestimmung des Dayak-Seins und dem Aufbau eines gegenhegemonialen Naturverständnisses. ENTWURF TRADITIONELLER NATURKONZEPTE DER DAYAK IN BORNEO Die Bezeichnung „Dayak“ ist ein Relikt aus der niederländischen Kolonialzeit und bezeichnet zunächst alle EinwohnerInnen Borneos, die sich nicht zum Islam beken- nen, andere Muttersprachen als das Malaiische sprechen und meist „im Inneren“ der Insel leben. Die Dayak sind daher kulturell und linguistisch betrachtet eine überaus heterogene Gruppe, allein in West-Kalimantan hat das Institut Dayakologi (2011) 151 verschiedene Dayak-Sprachen gezählt. Trotz dieser Vielfalt soll im Folgenden gezeigt werden, dass es in verschiedenen Dayak-Gemeinschaften Konzepte gibt, die in das Descola’sche Schema des Animismus eingeordnet werden können. Diese Konzepte dienen NRO-AktivistInnen, beispielsweise aus Indigenen- aber auch aus Umwelt- NROs, in der Folge dazu, ein „traditionelles“/gegenhegemoniales Naturkonzept der BewohnerInnen Borneos zu entwerfen, das einem „westlichen“/hegemonialen ent- gegengestellt wird und zur Konstruktion einer gemeinsamen Identität als Dayak bei- trägt. Neben dieser idealtypischen Unterscheidung gibt es eine Reihe von Abstufungen, weil die verschiedenen Dayak-Gemeinschaften zu einem unterschiedlichen Grad in Modernisierungsprozesse eingebunden sind. Das macht sich zum Beispiel auch in der Strategie von Umwelt-NROs, die mit Indigenen zusammenarbeiten, bemerkbar. In einem Interview mit einem Vertreter des WWF in Pontianak hob dieser hervor, dass man zwischen den noch ursprünglich (masih origen) lebenden Dayak, denen es um Naturschutz gehe und jenen, die über politische und wirtschaftliche Verflech- tungen in moderne Produktionspraktiken und Naturwahrnehmungskonzepte einge- bunden seien, unterscheiden müsse. Somit werden die „traditionell“ lebenden Dayak Teil einer politisch-diskursiven Strategie: Sie sind die „echten“ Naturschützer, da sie über einen besonderen Zugang zur Natur verfügen. Der WWF kann das für seine Argumentationen nutzen, da die Ziele der Indigenen trotz eines „anderen“ Naturver- ständnisses mit den praktischen Zielen des WWF konform sind (Hermayani Putra, WWF West-Kalimantan, persönliches Interview, 7. Jänner 2014, Pontianak). Inwiefern finden wir auf Borneo aber Konzeptionen von Natur, die einen Un- terschied zu jenen Naturdiskursen aufweisen, die als Grundlage der kapitalistischen Umwandlung und Aneignung der Natur stehen? Seit der Kolonialzeit gibt es Auf- zeichnungen von Forschenden, die Einblick in die Art und Weise geben, wie die Indi- genen Borneos ihre Umwelt nutzen und wahrnehmen. Diese Untersuchungen kön- nen Aufschluss darüber geben, welche Ontologien im Sinne Descolas das Handeln und Denken der Menschen in Borneo in Bezug auf ihre Umwelt bestimmen und ob hier alternative Ordnungen die Wahrnehmung von Umwelt strukturieren. 101Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökolog. Konflikte in Kalimantan Der Forschungsreisende Alfred Willem Nieuwenhuis (2009), der Borneo Ende des 19. Jahrhunderts bereiste, thematisierte in seinen umfangreichen Berichten immer wieder die Beziehung der Dayak zu den Tieren. Das Reh taucht dabei oft als Omentier auf; so musste beispielsweise eine Reise verschoben werden, weil Dayak beobachtet hatten, dass ein Reh über ein gerade erst angelegtes Feld gegangen war. Nieuwenhuis (2009, S. 44) deutet die Wahrnehmung des Rehs durch die Dayak zunächst als ein „böses Omen“. Das Tier erscheint als bloßes Zeichen, als Überbringer einer Botschaft, die nicht vom Tier selbst stammt und derer sich das Tier auch nicht bewusst ist. Ganz anders liest sich dagegen eine spätere Passage, in der das Reh wieder auftaucht: Auch der Schrei des kidjang (Reh) rechts oder links vom Beobachter, zeigt an, ob ein Stück Urwald gefällt werden darf oder nicht. Hat das Reh die Wahl ge- billigt, so muss das ganze Dorf 8 Nächte melo njaho. Man darf dann das Haus wohl verlassen, aber keinen Reis als Proviant mitnehmen und keine Nacht au- ßerhalb des Hauses verbringen (sān). (Nieuwenhuis, 2009, S. 188, eigene Her- vorhebung) Hier erscheint das Reh als Subjekt, das darüber entscheiden darf, ob ein Wald- stück gerodet werden darf oder nicht, es ist Teil der Gemeinschaft und steht mit die- ser im Ritual oder durch Beobachtung in einer Kommunikationsbeziehung. Das Reh verfügt also über eine Interiorität und kann bewusste Entscheidungen treffen, die für die Menschen bindend sind. Wie man die Interpretation der Dayak bezüglich des Verhaltens des Tieres auch deuten mag, offensichtlich gibt es hier eine Interiorität, die mit den Dayak kommuniziert. Es ist entweder das Reh selbst, das einen Geist bzw. eine Interiorität besitzt, oder ein Geist, der die Physikalität des Rehs als Kommuni- kationsmittel nutzt. Ähnliche Fälle schildert John Bamba, Direktor der NRO Institut Dayakologi, für die heutige Zeit. Im Interview hob er hervor, dass die Geister die Form von Tieren annehmen, um den Menschen zu erscheinen und dadurch mit ihnen zu kommuni- zieren. Die Tiere sind somit Verkörperungen von bloßen Interioritäten (merupakan penjelmaan dari roh). Die Interiorität des Tieres ist der Geist, der seine Form ändern kann, um Kommunikationsbeziehungen aufzubauen (John Bamba, persönliches Interview, 8. Jänner 2014, Pontianak). Diese Kommunikation ist besonders dann wichtig, wenn Land, auf das die Geister und Tiere auch ein Anrecht (hak) haben, umgewandelt wird, beispielsweise für ein Feld mit Trockenreis (ladang). Wird Land dagegen großflächig – etwa von InvestorInnen – in Palmölplantagen umgewandelt, werden solche Rituale nicht angewandt und die nicht sichtbaren BewohnerInnen ih- rer Wohnstätte beraubt. Von ähnlichen Ritualen bei der Anlage von Feldern berich- teten in Interviews auch die Bekati-Dayak, die neben Vögeln auch auf das Erscheinen von Schlangen und Gürteltieren achten. Sie kritisierten außerdem, dass bei der An- lage einer Palmölplantage südlich von Seluas (Kabupaten Bengkyang, West-Kaliman- tan) keine Rücksicht auf die Geister und Zeichen der Natur genommen wurde. Ein tödlicher Unfall, der sich auf der Plantage ereignete, ist nach Ansicht einiger Bauern die Folge dieser Missachtung der Rechte der dort wohnenden Geister (persönliches Gespräch, 10. Dezember 2013, Seluas). Neben der Tatsache, dass Tiere und Menschen sowie Tiere untereinander Kommunikationsbeziehungen aufbauen können, sind – wie der aus Zentral-Kalimantan stammende Forscher Yus Ngabut (2003) zeigt – auch 102 Timo Duile  ASEAS 7(1) Metamorphosen der Form möglich, das heißt, bestimmte Menschen wie SchamanIn- nen können die Gestalt von Tieren annehmen und umgekehrt. Ein weiteres Beispiel aus Borneo zeigt jedoch, dass mitunter auch normale Menschen ihre Form in eine Tierform verändern können, wenn in diesem Fall auch unbeabsichtigt: The Dayaks recognize the likeness of both these apes to men, but from this likeness they draw a conclusion contrary to that of Darwin. The contrast in view shows how two authorities considering the same fact can deduce from them exactly opposite theories. The evolutionists say that man is an ascendent of ape; the Land Dayaks say that the ape is a descendent of man. The orang- utan, they say, spring from a man who, become ashamed at some misdeed in the village, ran away into the jungle. He stayed there so long that he took the form of an orang-utan, and his children were like him. The wife, on this theory, is the missing link. (Geddes, 1961, S. 12, eigene Hervorhebung) Der Ethnologe William Robert Geddes erhielt diese Erklärung von den Land- Dayak, bei denen er in den 1950er Jahren forschte. Nach deren Wahrnehmung sind die Orang-Utans bloß durch ihre Form und durch ihr habituelles Verhalten von den Menschen verschieden. Was den Orang-Utan ausmacht, ist seine Form und nicht, wie in der westlichen Wahrnehmung, die Tatsache, dass er der Natur angehört. Einen ähnlichen Fall, aus dem man auf eine gemeinsame Interiorität der Menschen und der Affen schließen kann, berichtete ein WWF-Mitarbeiter im Interview: Bei den Kan- tun-Dayak und Iban-Dayak gäbe es die Vorstellung, dass die Orang-Utans ihre Vor- fahren sind (orang utan itu adalah nenek moyang mereka). Sie können diese natürlich nur in ihrer Interiorität sein. Dieser Glauben sei für die Strategie des WWF wichtig, da er den Dayak plausibel mache, warum die Tiere einen besonderen Schutz genie- ßen müssen (Hermayani Putra, WWF West-Kalimantan, persönliches Interview, 7. Jänner 2014). INDIGENE EPISTEME UND DAS EINSCHREIBEN IN HEGEMONIALE SYMBOLISCHE ORDNUNGEN Das besonders seit der Suharto-Diktatur marginalisierte indigene Wissen erfährt im Zuge von Revitalisierungsprozessen der lokalen Kultur diskursive Aufwertungen. Dabei wird die lokale Kultur immer wieder neu entworfen und zwischen den Akteu- rInnen verhandelt. Um aber die Unterschiede des Lokalen in Bezug auf das Hegemo- nial-Globale zu markieren, bedienen sich (indigene) AkteurInnen auch alternativer Naturkonzeptionen. Im Zuge dieser Revitalisierungsprozesse wird nicht bloß die ma- terielle Kultur Gegenstand der Identitätskonstruktionen. Die folgenden Beispiele aus Publikationen von John Bamba sollen verdeutlichen, dass sich gerade auch entlang ökologischer Konfliktlinien lokale Kulturen revitalisieren, indem sie ein eigenes Na- turverständnis als Gegensatz zum westlich-hegemonialen Naturbegriff hervorheben, das in diesem Fall auf einer animistischen Ontologie beruht. Dabei beziehen sie sich zwar auf hegemoniale Naturvorstellungen, also auch auf den Naturalismus, indem sie zum Beispiel über den produktiven Rückgriff auf Nachhaltigkeitsterminologien Zu- gang zum hegemonialen Diskurs erhalten, der Natur in Opposition zur Gesellschaft stellt. Andererseits kann beobachtet werden, dass die oben angedeutete Ontologie 103Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökolog. Konflikte in Kalimantan des Animismus ebenfalls für die politische Repräsentation der Dayak genutzt wird, mit der ein identitätsstiftender Gegenentwurf angeboten wird. Die Möglichkeiten dazu sind im formal demokratisierten Indonesien größer, da sich der Staat während der Suharto-Diktatur als Entwicklungsagentur verstand, die ein spezifisches Natur- verständnis als Grundlage ihres Entwicklungsprogramms entwarf (zum Naturbegriff in der Pancasila, siehe beispielsweise Wandelt, 1989, S. 167–169) und alternative Kon- zepte als rückständig und unwissenschaftlich bekämpfte (Arnscheidt, 2009, S. 134). In seinen Publikationen zeichnet Bamba oft eine Dichotomie zwischen der tra- ditionellen Dayak-Kultur und der Moderne, wobei erstere positiv besetzt wird und sich durch einen naturnahen und umweltfreundlichen Lebensstil auszeichnet. Den modernen Lebensstil, vermittelt über Medien, macht er als die Ursache für zahlreiche moralische Missstände in den Dayak-Gemeinschaften aus und unterscheidet diesen von einem Leben “in harmony with nature“ (Bamba, 2000, S. 45). Diese zunächst simple Gegenüberstellung, wie sie für viele IndigenenvertreterInnen typisch ist, un- termauert Bamba später mit dem Entwurf einer spezifisch indigenen Naturwahrneh- mung, die zum Ausgangspunkt für politische Strategien werden kann. In seinem Aufsatz „Seven Fortunes Versus Seven Calamities: Cultural Poverty From an Indigenous Peoples’ Perspective“ aus 2008 zeichnet Bamba zunächst diese Dichotomie nach, indem er sich auf den Nachhaltigkeitsdiskurs bezieht: The Dayaks put sustainability as one of the most important considerations in their natural resource management system. This sustainability is inseparable from the biodiversity that has become characteristic of their resource manage- ment. … The biodiversity sustains the resources they need in the long run and allows them to preserve their culture and traditions. (Bamba, 2008, S. 244) Hier und an anderen Stellen greift Bamba auf das Management-Paradigma zu- rück. Die Aussage ist zunächst einmal nur, dass die Jalai-Dayak, mit denen Bamba sich in dem Aufsatz beschäftigt, ein besseres, da nachhaltiges, Management der Na- tur betreiben. Bamba greift hier sowohl auf techno- als auch auf ökozentristische Argumente zurück. Technozentristisch sind seine Argumente, weil es zunächst ein- mal nur um ein nachhaltiges Management natürlicher Ressourcen geht, das die Jalai beherrschen. Er argumentiert in seinem Aufsatz jedoch auch ökozentristisch, wenn er die Natürlichkeit (organic) dem von Menschen entworfenen (inorganic) gegenüber- stellt und Ersteres zum Dayak-Prinzip erklärt (Bamba, 2008, S. 246–247). Indem er „Natur“ im Zentrum verortet, greift er Mechanismen der naturalistischen Ontologie auf, die Natur von Kultur scheidet. Er verortet die Dayak-Kultur jedoch auf der Seite der Natur, die hier zunächst als eine mächtige, Regeln für den Menschen stiftende Entität erscheint. In weiterer Folge argumentiert Bamba zwar in der symbolischen Ordnung der Kultur-Natur-Dichotomie, transzendiert diese allerdings gleichzeitig, da die Argu- mente erkennbar von einer Tradition beeinflusst sind, die diese Dichotomie nicht kennt: „The Dayaks believe in nature’s revenge if humans go against the adat, which provides guidance and a path to life. Adat shows how to live in unity with nature” (Bamba, 2008, S. 246). Mit dieser in einer romantischen Tradition verhafteten Sicht auf das adat der Dayak kann Bamba an ebendiese westlichen Diskurse anschließen. Einige Seiten später schreibt er: “Adat provides moral and ethical guidance to keep 104 Timo Duile  ASEAS 7(1) human beings living in unity with nature“ (Bamba, 2008, S. 248). Bamba spricht nun nicht mehr davon, „in Harmonie“ mit Natur zu leben, sondern „in Einheit“. Dies wird erst verständlich, wenn wir den Begriff des adat näher betrachten. Adat ist hier zu verstehen als ein (Gewohnheits-)Rechtssystem, das menschliche Individuen und nicht-menschliche Natur in dieselbe symbolische Ordnung des Rechts ordnet, somit die Trennung zwischen Natur und Gesellschaft negiert. Die Natur bzw. die Entitäten, die der Natur zugeordnet werden, sind in dieser Vorstellung in das gleiche Rechts- system des adat integriert, das somit Gültigkeit für Menschen, Tiere, Pflanzen und Geister gleichermaßen beansprucht. Da sie alle eine identische Interiorität besitzen, haben sie Einblick in diese Rechtsordnung. Die Verpflichtungen der nach der Form unterschiedlichen Entitäten sind reziprok. Bei Nichtbeachtung oder Übertretung der Adat-Regeln kann es zu Rache kommen. Dabei handelt es sich nicht um eine Ra- che der Natur im Sinne einer strafenden, mächtigen und überindividuellen Entität, sondern um eine Strafe von anderen Gemeinschaftsmitgliedern: Tiere, Pflanzen und Geister können Rache üben, wenn Menschen sich nicht an die Verpflichtungen des adat ihnen gegenüber halten. In einer Überarbeitung des Artikels im Jahr 2010 argumentiert Bamba interessan- terweise stärker innerhalb eines hegemonialen Naturverständnisses des Naturalis- mus, das im Sinne Descolas Natur den Menschen gegenüberstellt. In einem Kapitel, in dem er seine Gegenüberstellung von „naturality (organic) versus engineered (inor- ganic)“ (Bamba, 2010, S. 421) ausführt, schreibt er: “Naturality” here should be understood as a philosophy to interact with nature based on its laws and carrying capacities. The ethic and moral behind it is that human beings should not exploit nature more than its capacity, and no matter how sophisticated, advanced and mighty the technologies and knowledge they have achieved, human beings cannot live without nature. The key words are “to manage and to maintain/preserve” nature at the same time, and these two ac- tions are inseparable as prerequisites to avoid overexploitation and trespassing the limits of nature’s laws and capacities. (Bamba, 2010, S. 421) Bamba verweist nun nicht mehr auf das adat, das Natur und Gesellschaft an die gleiche moralisch-ethische Ordnung bindet. Die hier zum Ausdruck kommende Moral ist vielmehr die eines angepassten Technozentrismus, der erkennt, dass die Kapazitäten der Umwelt für die kommenden Generationen bewahrt und nachhaltig gemanagt werden müssen (vgl. dazu Eblinghaus & Stickler, 1992, S. 104). Dieses Einschreiben in hegemoniale Diskurse ist eine große Herausforderung für indigene AkteurInnen. Schon mit der Terminologie, die sich in Begriffen wie „Natur“ oder „Nachhaltigkeit“ ausdrückt, wird die symbolische Ordnung des Naturalismus reproduziert, die auf der Einmaligkeit des menschlichen Geistes fußt und in der die Natur als Materie dem menschlichen Geist als Interiorität gegenübergestellt wird. In- nerhalb dieser epistemischen Konflikte stellt sich die Frage, ob der Aufsatz von Bam- ba von 2008 den epistemisch marginalisierten AkteurInnen die Gelegenheit gibt, sich in die hegemoniale symbolische Ordnung einzuschreiben und sie damit auch zu verändern, oder diese durch die Sprache reproduziert, wenn die Beiträge, um Zugang zum hegemonialen Diskurs zu erhalten, zunächst die hegemoniale sprachliche Ord- nung verwenden. Im Interview verknüpfte Bamba die Frage, was Natur eigentlich ist 105Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökolog. Konflikte in Kalimantan bzw. sein sollte, eng mit wirtschaftlichen Problematiken und verwies auf den kapi- talistischen Charakter der Naturausbeutung (John Bamba, persönliches Interview, 5. Dezember 2013, Pontianak). Um auch ökonomische Freiräume zu schaffen, gründete das Institut Dayakologi eine Organisation, die Kleinkredite vergibt. Bamba führte aus, dass diese Kleinkredite jedoch nicht wie jene zu betrachten seien, die von Banken mit dem Ziel der Profitgenerierung vergeben werden. Der Kredit sei nur das Mittel, um den Menschen zu helfen, das Land wieder nach ökologischen – und „traditionel- len“ – Kriterien zu bewirtschaften und so zum Beispiel ein weiteres Vordringen von Palmölmonokulturen zu verhindern. Die Menschen, die diese Kredite in Anspruch nehmen, müssten sich verpflichten, das erworbene Land nach ökologischen Kriteri- en zu bewirtschaften, wozu auch ein Verzicht auf den Anbau von Ölpalmen gehöre. Eine Ausnahme gäbe es nur für TransmigrantInnen, die bereits durch den Staat zum Anbau von Ölpalmen verpflichtet worden seien. Diesen Menschen, die er letztlich als Opfer der Ölpalmen sieht (korban sawit), wolle man keine Kredite vorenthalten, jedoch würden sie in Schulungen über die fatalen Folgen des Ölpalmenanbaus für die Ökologie unterrichtet, um diesen so weit wie möglich zu beenden. Generell verweist die Strategie Bambas auf eine Abkehr von kapitalistischen Verwertungsparadigmen: Im Mittelpunkt der Landnutzung sollte nicht die Produktion für globale Märkte ste- hen, sondern Subsistenzwirtschaft, um die lokale Nahrungsmittelproduktion sicher zu stellen und nachhaltige Landwirtschaft betreiben zu können. Nicht zuletzt kön- nen so auch alternative Naturwahrnehmungen erhalten bleiben, da im traditionell genutzten Land auch Raum für alle BewohnerInnen des „gemeinsamen Hauses“ der Natur vorhanden sei. Erst durch den Freiraum, der durch die Kleinkredite gewährt werden soll, kann ein epistemischer Freiraum geschaffen werden. Das Land ist (wie- der) im Besitz der Indigenen, die es nach Maßgabe ihrer Naturkonzeption nutzen können. Die Frage nach Landbesitz ist dementsprechend in den letzten Jahren einer der Schwerpunkte des Institut Dayakologi geworden (Julia, ehemalige ID-Aktivistin, persönliches Interview, 20. März 2014, Pontianak). LOKALES WISSEN: ÜBERSETZUNG DES LOKALEN IN DIE GLOBALEN NACHHALTIGKEITSDISKURSE DES NATURALISMUS Die Rolle von hegemonialen Naturkonzepten drückt sich nicht zuletzt in Maß- nahmen und im Denken der EZA aus, obwohl lokales Wissens immer stärker in diese Diskurse integriert wird. Dabei wird besonders den lokalen Kleinbauern und -bäue- rinnen unterstellt, dass sie besser an die lokalen ökologischen Gegebenheiten ange- passte Techniken entwickelt haben. Dem zugrunde liegt zunächst ein technozentri- scher Naturbegriff: Natur muss nachhaltig und effektiv gemanagt werden. Natur ist das Andere des managenden menschlichen Geistes, ist Ressourcenreservoir und Sam- melbegriff für die in der Umwelt vorliegenden Objekte, die als bloße Materie, eben als Ressourcen, betrachtet werden. Während das hegemoniale entwicklungspolitische Paradigma bis in die 1980er davon ausging, dass nur durch massive Kapitalinvesti- tionen und maximale Ressourcenausbeutung im Rahmen einer deregulierten Wirt- schaft der wirtschaftliche take-off der Länder der globalen Peripherie bewerkstelligt werden könne (Zapf, 1997, S. 33), hat sich dieser Fokus mit dem Leitbild der nachhal- tigen Entwicklung (Rauch, 2009, S. 75–76) zwar verschoben, die zugrunde liegende 106 Timo Duile  ASEAS 7(1) Ontologie ist jedoch dieselbe geblieben. Anhand zweier Beispiele aus Borneo soll im Folgenden illustriert werden, wie Ansätze, die mit lokalem Wissen arbeiten, alterna- tive Ontologien konsequent ignorieren und somit als Transmissionsriemen für das Projekt der Ausdehnung hegemonialer Wissensformen fungieren. Dabei markiert der Begriff des lokalen Wissens bestimmte Wissensformen als lokal (im Gegensatz zu global), um sie dann doch durch einen szientistisch-hegemonialen Diskurs zu reprä- sentieren. Lokales Wissen wird in diesem Sinne als techne verstanden, also auf seinen instrumentellen Aspekt begrenzt (vgl. Linkenbach, 2004, S. 234). Um Argumente für nachhaltiges Management vorzubringen, lassen EntwicklungsexpertInnen im globa- len Norden Kleinbauern und -bäuerinnen und Indigene im globalen Süden sprechen, ohne dass eine tatsächlich eigene Artikulation dieser Menschen möglich ist, weil das lokale Wissen sogleich in die hegemoniale Episteme übersetzt wird. In der Re- gel gibt so der globale Norden die Sprache und die Ontologie vor. Christian Gönner (2000) schreibt dementsprechend in einer Studie zum Ressourcenmanagement in einem Dorf der Benuaq-Dayak: “there is a chance to translate indigenous knowledge into expert knowledge“ (S. 78, eigene Hervorhebung). Es ist diese Übersetzung, die das Moment der indigenen Episteme ausblenden kann. Im hegemonialen Diskurs wird Wissen nur aus dem Blickwinkel von ExpertInnen aus dem globalen Norden betrachtet, zu denen er sich selbst zählt. Er möchte zunächst feststellen, ob die bisher praktizierte Bewirtschaftungsweise nachhaltig war. Mit Blick auf die Benuaq bejaht Gönner dies und führt als Kriterium an, dass dieses System die Biodiversität erhalten habe (Gönner, 2000, S. 61–65). Daher habe das lokale Wissen den Beweis erbracht, dass mit ihm eine nachhaltige Nutzung des Ökosystems bewerkstelligt werden kann. Die zugrunde liegenden Prämissen sind für Gönner offensichtlich eine Marktanbin- dung, die nachhaltig zu organisieren ist: Das Dayak-Dorf muss als peripherer Ort im Weltsystem in dieses eingebunden werden, so dass aus ihm ein Mehrwert geschöpft werden kann, ohne dass die BewohnerInnen oder das Ökosystem dadurch überbe- ansprucht werden. Das lokale Wissen soll für eine weite Palette von Agrarprodukten sorgen, die nachhaltig bewirtschaftet werden, damit zum Beispiel Schwankungen am Markt, für den die Produkte bereitgestellt werden, ausgeglichen werden können (vgl. Gönner, 2000, S. iv). Es geht ihm darum, dass sich die Indigenen selbst versorgen und ihre Produkte an Märkte abführen können (Gönner, 2000, S. 70). Dieser ökonomi- sche Subtext verlangt letztlich eine Betrachtung der Natur, in der diese auch als öko- nomischer Faktor erscheint. Daher ist die Übersetzung des lokalen Wissens in eine Ontologie des Naturalismus notwendig. Diese Übersetzung ist Vereinnahmung des Lokalen und gleichzeitig exkludiert sie wesentliche Elemente dieses Wissens. Sehr ähnliche Argumentationsmuster finden sich bei Momberg (1993). Mombergs Untersuchung über lokales Wissen und indigenes Ressourcenmanagement in West- Kalimantan entstand zu einer Zeit, in der sich die Diskurse um Nachhaltigkeit zu etablieren begannen und dabei Paradigmen, die Entwicklung durch wirtschaftliches Wachstum anstrebten, keineswegs ablösten (vgl. z.B. Wagner, 1993, S. 2–4). Ein „mul- tidimensionaler Nachhaltigkeitsbegriff“ (Rauch, 2009, S. 76) wurde zum Leitbild, der u.a. einen umweltschonenden Entwicklungsprozess mit Wirtschaftswachstum zu verbinden suchte. Seitdem muss, beispielsweise auch für die deutsche Entwicklungs- zusammenarbeit, Wirtschaftswachstum nachhaltig sein (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 2014). Jedoch konnte in dieser 107Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökolog. Konflikte in Kalimantan Zeit nicht mehr übersehen werden, dass eine aggressiv auf Effizienz setzende Res- sourcenausbeutung zu ökologischen Schäden führte. Momberg (1993) stellt in die- sem Zusammenhang fest: In West Kalimantan, as everywhere in the humid tropics, the misuse of forest resources is leading to rapid deforestation, affecting many indigenous forest communities, who have developed local forest- and agroforest management systems, for subsistence and market production. … These systems … might pro- vide potential for sustainable development and conservation. … The obvious source of new ideas and information lies in the knowledge systems of indige- nous people for example the Dayaks of West Kalimantan. (S. 3) Momberg stellt klar, dass es ihm nur um lokales Wissen geht, sofern es sich da- bei um forstwirtschaftliche Managementsysteme handelt, die, wie bei Gönner, mit Marktintegration kombiniert werden können. Eine Analyse des lokalen Wissens soll helfen, diese Managementstrategien herauszuarbeiten, um die lokale Bevölkerung besser in Wirtschaftskreisläufe zu integrieren. Momberg führt aus, dass seine Analyse includes the inventarization of land use systems and environment from a co- gnized and a western “scientific” perspective. The comparison of the cognized and “objective” environment should serve for a better understanding between farmers, and the change agents, and provide information on indigenous know- ledge systems as potential for sustainable resource management. (Momberg, 1993, S. 3) Auch hier ist die „emische Analyse“ ein Prozess der Trennung des praktischen Wissens von der lokalen Episteme und führt zu einer Überführung der lokalen Epis- teme in „objektives“ Wissen. Dieses Wissen erscheint aber nur deshalb objektiv, weil der Naturalismus als epistemische Grundlage angenommen wird. Die lokale Episte- me wird dagegen von Beginn an ausgeblendet. SCHLUSSFOLGERUNGEN Anhand einiger Beispiele hat dieser Artikel gezeigt, dass ökologische Konflikte auch eine diskursive, mitunter epistemische oder, wie Descola es nennen würde, on- tologische Dimension haben. Der im Westen entstandene Naturbegriff, der den Um- gang mit Natur strukturiert, beruht auf einem ontologischen Konzept, das grundle- gende Unterschiede zu jenem von indigenen Gemeinschaften am Beispiel der Dayak in Kalimantan, Indonesien, aufweist. Die uns vertraute Dichotomie zwischen Natur und menschlichem Geist ist dort erst durch den Import dieser Episteme bekannt; die indigene Welterfahrung dagegen lässt sich mit Descola als Animismus charakte- risieren, der den Entitäten der Umwelt eine ähnliche Interiorität wie den Menschen zuspricht. Seit dem Sturz Suhartos können in Indonesien vielfältige Revitalisierungsprozes- se indigener Identität mit politischen Folgen (Davidson & Henly, 2007; Li, 2000; für West-Kalimantan, siehe beispielsweise Tanasaldy, 2012, S. 257–308), oft in Zusam- menhang mit einer Revitalisierung des adat (Benda-Beckmann & Benda-Beckmann, 2011, S. 168) konstatiert werden, die auch indigene epistemische Ordnungen auf- 108 Timo Duile  ASEAS 7(1) greifen, um die eigene Identität beispielsweise gegen umweltzerstörende Praktiken des Staates oder internationaler Unternehmen abzugrenzen. Neben AkteurInnen, die auf nationaler Ebene agieren (z.B. Aliansi Masyrakat Adat Nusantara, AMAN), ha- ben sich lokale Indigenen-NROs etablieren können, wie beispielsweise das Institut Dayakologi, das seine Aktivitäten auf West-Kalimantan beschränkt. Wie am Beispiel der Äußerungen des Direktors dieses Instituts, John Bamba, gezeigt wurde, nehmen diese Stimmen eine ambivalente Rolle ein: Um sich in die hegemonialen Diskurse einzuschreiben, müssen sie sich in Sprechakten artikulieren, die der hegemonialen symbolischen Ordnung, das heißt vor allem dem Naturalismus Descolas, zugeord- net werden können. Gleichzeitig wurde gezeigt, dass eine sorgfältige Lektüre andere, den Äußerungen zugrunde liegende Ontologien freilegen kann, die die uns vertraute Dichotomie zwischen interioritätenloser Natur und menschlichem Geist (als einzi- ge Interiorität) nicht kennen. Das indigene Identitätsverständnis, das sich für seine Konstitution unter anderem auf diese epistemische Differenz beruft, kann in der Fol- ge für politische Strategien genutzt werden, beispielsweise in ökologischen Konflik- ten um die Expansion von Palmölplantagen. Diese alternativen epistemischen Ordnungen spielen jedoch für ökonomisch aus- gerichtete Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit, die Natur als Ressourcen kon- zipieren muss, keine Rolle – daher wird mitunter, wie hier anhand zweier Beispiele gezeigt wurde, nur der instrumentelle Aspekt des lokalen Wissens betont. Wie an Beispielen aus der EZA gezeigt wurde, findet hier ein Übersetzungsprozess statt, der lokales Wissen nur als Phänomen betrachtet, dass sogleich von westlichen ExpertIn- nen in die ihnen vertrauten Dichotomien und epistemischen Ordnungen gebracht wird. Die uns mittlerweile vertrauten Konzepte von Nachhaltigkeit, Ressourcenma- nagement oder lokalem Wissen sollten dementsprechend immer wieder auf ihre Prämissen hin untersucht werden. Letztlich würde ein angemessener Umgang mit Indigenen bedeuten, die eigenen Konzepte zu partikularisieren, sich also bewusst zu machen, dass die Art und Weise, wie wir über Natur sprechen und denken, eine histo- risch gewordene ist. In der Kontroverse um ökologische Konflikte wie jene um Palmöl müssen diese epistemischen Differenzen stärker betrachtet werden, da sie zwar nicht direkt sichtbar sind, aber als Basis einer westlichen epistemischen Hegemonie eng mit der Transformation der Landschaft verbunden ist: Jedem Eingriff liegt eine spe- zifische Weltauffassung zugrunde, und jeder Eingriff hat andererseits Auswirkungen auf die Weltwahrnehmung der AkteurInnen. Entfremdung, Anpassung und Revitali- sierung alternativer Ontologie können dann mögliche, politisch und gesellschaftlich relevante Konsequenzen sein. Im Falle der Dayak in Kalimantan kann die Revitalisie- rung als Reaktion auf Entfremdungserfahrungen gedeutet werden, die letztlich vor allem eine politische Reaktion auf die ökonomische Marginalisierung darstellt.  LITERATURVERZEICHNIS Alcon, J. (2000). An introduction to the linkages between ecological resilience and governance. In J. Alcon, & A. Royo (Hrsg.), Indigenous social movements and ecological resilience: Lessons from the Dayak in Indo- nesia (S. 1–16). Washington, DC: Biodiversity Support Program. 109Naturkonzepte und indigene Identitätsentwürfe im Kontext ökolog. Konflikte in Kalimantan Arnscheidt, J. (2009). ‘Debating’ nature conservation: Policy, law and practice in Indonesia. A discourse analysis of history and present. Leiden, Niederlande: Leiden University Press. Bamba, J. (2000). Land, rivers and forests: Dayak solidarity and ecological resilience. In J. Alcon, & A. Royo (Hrsg.), Indigenous social movements and ecological resilience: Lessons from the Dayak in Indonesia (S. 35– 60). Washington, DC: Biodiversity Support Program. Bamba, J. (2008). “Seven fortunes versus seven calamities”: Cultural poverty from an indigenous peoples’ perspective. In Tebtebba Foundation (Hrsg.), Indicators relevant for indigenous people. A resource book (S. 241–249). Baguio City, Philippinen: Tebtebba Foundation. Bamba, J. (2010). Self-determined development: Lessons from Kalimantan credit union movement. In V. Tauli-Corpuz, L. Enkiwe-Abayao, & R. Chavez (Hrsg.), Towards an alternative development paradigm. Indigenous people’s self-determined development (S. 415–432). Baguio City, Philippinen: Tebtebba Foun- dation. Benda-Beckmann, F., & Benda-Beckmann, K. (2011). Myths and stereotypes about adat law. A reassessment of Van Vollenhoven in the light of current struggles over adat law in Indonesia. Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde, 167(2-3), S. 167–195. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2014). Nachhaltiges Wachstum. Zugegriffen unter http://www.bmz.de/de/was_wir_machen/themen/les/ernaehrung/basiswissen/ nachhaltiges_wachstum/index.html Caroko, W., Komarudin, H., Obidzinski, K., & Gunarso, P. (2011). Policy and institutional frameworks for the development of palm oil-based biodiesel in Indonesia. Working Paper No. 62. Bogor, Indonesien: Center for International Forestry Research. Cleary, M., & Eaton, P. (1992). Borneo. Change and development. Oxford, UK: Oxford University Press. Colchester, M., Jiwan, N., Sirait, M., Andiko, Firdaus, A. Y., Surambo, A., & Pane, H. (2006). Promised land. Palm oil and land acquisition in Indonesia: Implications for local communities and indigenous people. Bo- gor, Indonesien: Forest Peoples Programme and Sawit Watch. Davidson, J. S., & David, H. (2007). The revival of tradition in Indonesian politics: The deployment of adat from colonialism to indigenism. London, UK: Routledge. Dera, P. (2009). „Biodiesel“ – Wachstumsmarkt mit Nachhaltigkeitsstrategie? Sozioökonomische Dimensionen der Palmölproduktion in Indonesien. Berlin, Deutschland: Regiospectra. Descola, P. (2011). Jenseits von Natur und Kultur. Berlin, Deutschland: Suhrkamp. Eaton, P. (2005). Land tenure, conservation and development in Southeast Asia. London, UK: Routledge. Eblinghaus, H., & Stickler, A. (1992). Nachhaltigkeit und Macht. Zur Kritik von Sustainable Development. Frankfurt/Main, Deutschland: Verlag für interkulturelle Kommunikation. Geddes, W. R. (1961). Nine Dayak nights. London, UK: Oxford University Press. Gönner, C. (2000). Resource management in a Dayak Benuaq village: Strategies, dynamics and prospects. A case study from East Kalimantan, Indonesia. Eschborn, Deutschland: Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GmbH. Houtard, F. (2010). Agrofuels. Big profits, ruined lives and ecological destruction. London, UK: Pluto Press. Institut Dayakologi. (2011). Subsuku dan Bahasa Dayak. Zugegriffen unter http://institutdayakologi.word- press.com/ Jiwan, N. (2013). The political ecology of the Indonesian palm oil industry. In O. Pye, & J. Bhattacharya (Hrsg.), The palm oil controversy in Southeast Asia. A transnational perspective (S. 48–75). Singapur: ISEAS Publishing. Klute, M. (2010). Schall und Rauch. Umweltpolitik und Umweltprobleme Indonesiens. In G. Findeisen, K. Großmann, & N. Weydmann (Hrsg.), Herausforderungen für Indonesiens Demokratie. Bilanz und Perspe- ktiven (S. 221–229). Berlin, Deutschland: Regiospectra. Li, T. M. (2000). Articulating indigenous identity in Indonesia: Resource politics and the tribal slot. Com- parative Studies in Society and History, 42(1), S. 149–179. Linkenbach, A. (2004). Lokales Wissen im Entwicklungsdiskurs: Abwertung, Aneignung oder Anerken- nung des Anderen? In N. Schareika, & T. Bierschenk (Hrsg.), Lokales Wissen: Sozialwissenschaftliche Per- spektiven (S. 233–258). Münster, Deutschland: LIT-Verlag. 110 Timo Duile  ASEAS 7(1) McEvan, C. (2009). Postcolonialism and development. New York, NY: Routledge. Momberg, F. (1993). Indigenous knowledge systems: Potentials for social forestry development: Resource man- agement of Land-Dayaks in West Kalimantan. Berlin, Deutschland: Technische Universität Berlin. Ngabut, Y. (2003). Kenyah bakung oral literature: An introduction. In C. Eghenter, B. Sellato, & S. G. Devung (Hrsg.), Social science research and conservation management in the interior of Borneo. Unravelling past and present interaction of people and forests (S. 241–257). Bogor, Indonesien: Center for Interna- tional Forest Research. Nieuwenhuis, A. W. (2009). Quer durch Borneo. Paderborn, Deutschland: Salzwasser-Verlag. Nuscheler, F. (2006). Entwicklungspolitik. Bonn, Deutschland: Bundeszentrale für politische Bildung. Pichler, M., & Pye, O. (2012). Wenn die Lösung zum Problem wird: Agrotreibstoffe und der Palmölboom in Indonesien. In H. Schneider, R. Jordan, & M. Waibel (Hrsg.), Umweltkonflikte in Südostasien (S. 139–164). Berlin, Deutschland: Horlemann. Plumwood, V. (2003). Decolonizing relationships with nature. In W. M. Adams, & M. Mulligan (Hrsg.), Decolonizing nature. Strategies for conservation in a post-colonial era (S. 51–78). London, UK: Earthscan. Pye, O. (2013). Introduction. In O. Pye, & J. Bhattacharya (Hrsg.), The palm oil controversy in Southeast Asia. A transnational perspective (S. 1–18). Singapur: ISEAS Publishing. Rauch, T. (2009). Entwicklungspolitik. Theorien, Strategien, Instrumente. Braunschweig, Deutschland: Wes- termann. Rettet den Regenwald. (2011). Erfolg: EU beschließt Kennzeichnungspflicht für Palmöl. Zugegriffen unter http://www.regenwald.org/erfolge/3630/erfolg-eu-beschliesst-kennzeichnungspflicht-fuer-palmoel Tanasaldy, T. (2012). Regime change and ethnic politics in Indonesia. Dayak politics of West Kalimantan. Leiden, Niederlande: KITLV-Press. The New Generation of Noyan. (2013). The new generation of Noyan. Zugegriffen unter http://noyan.webs. com/budaya.htm Wagner, H. (1993). Wachstum und Entwicklung. Theorie der Entwicklungspolitik. München, Deutschland: R. Oldenbourg Verlag. Wallerstein, I. (2010). Die Barbarei der anderen. Europäischer Universalismus. Berlin, Deutschland: Verlag Klaus Wagenbach. Wandelt, I. (1989). Der Weg zum Pancasila-Menschen. Frankfurt/Main, Deutschland: Verlag Peter Lang. World Wildlife Fund Deutschland. (2013). Die Entwaldung Borneos. Zugegriffen unter http://www.wwf. de/themen-projekte/projektregionen/indonesien-malaysia/waldverlust-seit-1985/die-entwaldung- borneos/ Zapf, W. (1997). Entwicklung als Modernisierung. In M. Schulz (Hrsg.), Entwicklung. Die Perspektive der Entwicklungssoziologie (S. 31–45). Opladen, Deutschland: Westdeutscher Verlag. ÜBER DEN AUTOR Timo Duile ist Doktorand an der Universität Bonn (Abteilung für Südostasienwissenschaft) und Guest Researcher an der Universitas Tanjungpura in Pontianak, Indonesien. Seine For- schungsschwerpunkte sind ökologische Konflikte, Identitätspolitiken und Demokratisie- rungsprozesse in Indonesien sowie postkoloniale Theorien. ► Kontakt: tduile@uni-bonn.de DANKSAGUNG Dieses Forschungsvorhaben wird von der Universität Bonn und dem Deutschen Akademi- schen Austauschdienst (DAAD) gefördert.