Book Review: Pichler, M. (2014). Politische Ökologie der Palmöl- und Agrartreibstoffproduktion in Südostasien. Münster: Westfälisches Dampfboot. ISBN 978-3-89691-978-6. 248 Seiten. ► Duile, T. (2015). Book review: Pichler, M. (2014). Umkämpfte Natur. Politische Ökologie der Palmöl- und Agrartreibstoffproduktion in Südostasien. ASEAS – Austrian Journal of South-East Asian Studies, 8(1), 107-110. Palmöl wurde in Europa in den letzten Jahren zum Politikum und damit auch zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und Auseinander- setzungen. War Palmöl davor oft als ein Lösungsansatz im Kampf gegen den Klimawandel und als Möglichkeit zur Einkommensgenerierung in den Ländern des globalen Südens (in erste Linie Indonesien und Malaysia, woher etwa 90 Prozent des weltweit produzierten Palmöls stammen) gesehen, mehren sich nun auch im akademischen Diskurs kritische Stimmen, die ökologische und soziale Folgen des Palmölbooms in den Erzeugerländern untersuchen. Melanie Pichler, Universitätsassistentin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien, hat in diesem Kontext eine weitere Studie vorgelegt, die sich mit der Palmölproduktion in Südostasien beschäftigt. In ihrem Werk widmet sie sich einem bisher wenig beachteten Untersuchungsgegenstand, nämlich der Rolle des Staates bei der Schaffung eines für die Palmölindustrie vorteilhaften Produktionsumfeldes. Den Staat charakterisiert Pichler hierbei im Anschluss an kritisch-materialistische Staatstheorien als umkämpftes Terrain, in dem verschiedene Gruppen versuchen, ihre Interessen durchzusetzen und als Allgemeininteressen zu universalisieren. „Natur“ wird in diesem konflikthaften Prozess sowohl materiell-stofflich als auch diskursiv-symbolisch (re-)produzi- ert, von bestimmten AkteurInnen angeeignet und innerhalb postfordistischer Naturverhältnisse als nachhaltig zu managendes Ressourcenreservoir entwor- fen, ohne dass Besitz- und Machtverhältnisse in Frage gestellt werden. Im ersten Teil der Studie erläutert Pichler diesen kritisch-materialistischen Zugang und diskutiert überzeugend dessen Vorzüge gegenüber konventionellen Theorien von Staat und Staatlichkeit. Dabei beschreibt sie den Staat als ein Ge- füge sozialer Verhältnisse, in welchem Hegemonie durch Konsens und Zwang, also sowohl diskursiv als auch durch staatliche Gewalt, durchgesetzt wird. In- nerhalb kapitalistischer Widersprüchlichkeiten gelingt es so, die sozialen Ver- hältnisse trotz latenter Konflikthaftigkeit immer wieder zu stabilisieren. Anschließend wird das methodische Vorgehen der Untersuchung dargelegt, wobei die Autorin ihre Arbeit als qualitative Forschung ausweist, in der Inter- views, Gesetzestexte und Publikationen der untersuchten AkteurInnen aus- gewertet werden. Daran anschließend wird die Entwicklung und Förderung des Agrartreibstoffsektors in Indonesien und Malaysia diskutiert. Hier wird deutlich, wie bestimmte AkteurInnen ihre partikularen Interessen in staatli- che Praktiken einschreiben. Besonders wird dann aber die materielle Basis des Rezensionen  Book Reviews w w w .s ea s. at d o i 10 .1 47 64 /1 0. A SE A S- 20 15 .1 -9 108 Timo Duile  ASEAS 8(1) „Palmölprojekts“ analysiert: Diese macht Melanie Pichler in Anlehnung an regula- tionstheoretische Überlegungen in einem regionalen Akkumulationsregime aus, das vor allem aus nationalen und regionalen Konglomeraten besteht. Diese sind, wie Pi- chler in der Analyse der historischen Entwicklung der AkteurInnen, Strukturen und Kräfteverhältnisse ausführt, in transnationale Wirtschaftszusammenhänge einge- bunden, ermöglichen aber einer regionalen Elite ebenfalls eine effektive Akkumula- tion von Kapital. Darauffolgend wird die Bedeutung Indonesiens, Malaysias und Singapurs für die- ses Akkumulationsregime analysiert. Während Indonesien – zumindest theoretisch – auf eine Diversifizierung von Rohstoffen für die Biotreibstoffproduktion abzielt und mehrere Institutionen und Interessensgruppen in die Ausarbeitung der Strategien involviert sind, konzentrierte sich Malaysia seit den 1960er Jahren auf die Produktion von Palmöl und lediglich dem Plantagenministerium fallen hier politische Entsche- idungskompetenzen zu. In beiden Ländern profitieren besonders Konglomerate, die sowohl über eigene Plantagen als auch über eine weiterverarbeitende Industrie ver- fügen. Singapur nimmt innerhalb des regionalen Akkumulationsregimes die Position des Handels-, Technologie- und Finanzzentrum ein. Ein zentraler Aspekt des Buches ist dann die Untersuchung zu den Konflikten um die Kontrolle und Aneignung von Land. Dabei wird zunächst die historische Gen- ese der Eigentumsverhältnisse nachgezeichnet. Hier wird deutlich, dass die heutigen Eigentumsverhältnisse, die eine Akkumulation von Land als Produktionsmittel in den Händen des Staates und privatwirtschaftlicher Unternehmen ermöglichen, eine Vorgeschichte haben, die in Indonesien auf die niederländische Kolonialzeit zurück- geht. Deutlich wird hier allerdings auch, dass „Natur“ im Rahmen dieser Analyse einer politischen Ökologie als Ressource, z.B. als Land in Erscheinung tritt, was letz- tlich vielleicht auf einen anthropozentrischen Naturbegriff des späten Marx verweist. Auch wenn so ökonomisch nicht fassbare Dimensionen von Natur nur schwer in eine Analyse eingebunden werden können, beispielsweise Bedeutungszuschreibungen durch Indigene an natürliche Entitäten, so ist eine solche Herangehensweise doch adäquat und wichtig, um vermeintlich unideologischen Analysen des Managements und der Inwertsetzung natürlicher Ressourcen, die lediglich marktbasierte Lösungs- mechanismen propagieren, Argumente entgegenzusetzen. Des Weiteren führt Melanie Pichler aus, dass Indonesiens Dezentralisierungsproz- esse seit 1999 dazu geführt haben, dass Unternehmen ihre Interessen nun auf unter- schiedlichen politischen Ebenen – beispielsweise in Jakarta und auf Provinz- oder Landkreisebene – und damit effektiver durchsetzen können. Sie zeigt außerdem, dass die „Neue Ordnung“ unter Suharto maßgeblich auf der Inwertsetzung von Natur basierte, da so einerseits die Anbindung an das kapitalistische Wirtschaftssystem vor- angetrieben, andererseits auch die ökonomischen Interessen nationaler und lokaler Eliten bedient werden konnten. Im demokratischen Indonesien haben nun jedoch auch NGOs sowie soziale und indigene Bewegungen die Möglichkeit, den Staat als Arena zu nutzen. So hat es beispielsweise die indonesienweit agierende Indigenen- NGO AMAN zum Teil geschafft, die Anerkennung von solchen Besitzverhältnissen durchzusetzen, die sich aus dem traditionellen Gewohnheitsrecht Indigener Grup- pen ableiten. Auch innerhalb des Staatsapparates selbst werden dabei Konflikte aus- gemacht. Schließlich kann so gezeigt werden, dass der Staat selbst ein umkämpftes 109Book Review Terrain ist, auf dem jedoch AkteurInnen, die mit Kapital ausgestattet sind, strukturell im Vorteil sind. Neben den Konflikten um Land macht die Autorin als weitere zentrale Konflik- tlinie die Auseinandersetzungen um die Beimischung und Zertifizierung von Agrar- treibstoffen aus. Beimischungsquoten von Agrartreibstoffen waren dabei zunächst als Strategie im Kampf gegen den Klimawandel und als Maßnahme gedacht, um die Ab- hängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Pichler zeigt jedoch, dass hier der Staat in erster Linie als Regime in Erscheinung tritt, das ein exportorientiertes Landwirtschaftsmodell fördert, welches letztlich hauptsächlich Agrarkonzernen und Biodieselunternehmen zugutekommt. Auch der Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO), der eine Zertifizierung von Palmöl auf freiwilliger Basis anstrebt, wird analy- siert. Dabei wird herausgearbeitet, wie im RSPO bestimmte Gruppen systematisch marginalisiert werden – allen voran unabhängige KleinbäuerInnen und Plantagenar- beiterInnen. Auch zeigt die Autorin, dass indigene Landrechte im Rahmen des RSPO kaum beachtet werden. Sie argumentiert überzeugend, dass der RSPO ein Beispiel für ein Steuerungsinstrument ist, das Government durch Governance ersetzt und letztlich auf Freiwilligkeit und Markt baut anstatt auf demokratisch-politische Kon- trolle. Dennoch ist der Staat weiterhin präsent, da er diese Formen der Regulierung anerkennt und auf eigene Instrumente verzichtet. Resümierend hält Pichler fest, dass innerhalb des aus den Palmölkonglomeraten bestehenden, staatlich abgesicherten regionalen Akkumulationsregimes auch ge- sellschaftliche Naturverhältnisse transformiert werden, Natur also noch stärker den Interessen der Konglomerate untergeordnet wird. Schließlich regt sie im Ausblick auch an, die Renewable Energy Directive der EU insgesamt in Frage zu stellen, denn die Untersuchung legt nahe, dass die Beimischung von zertifizierten Treibstoffen, die innerhalb der ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen des Akkumula- tionsregimes produziert werden, bestehende systemimmanente Probleme wohl eher reproduzieren als lösen. Melanie Pichler hat eine Studie vorgelegt, die nicht nur für WissenschaftlerIn- nen interessant ist, sondern auch wichtige Anregungen für die politische Arbeit von Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen geben kann, indem der systemische Charakter der Probleme, die das Akkumulationsregime verursacht, aufgedeckt wird. Gerade die Idee, den Staat als umkämpftes Terrain zu fassen, in- dem sich Machtasymmetrien reproduzieren, ist hier sehr überzeugend: Mit diesem theoretischen Rahmen kann erklärt werden, warum viele Konflikte und Missstände in der Palmölindustrie einen derart persistenten Charakter aufweisen und mit dem Ruf nach mehr Nachhaltigkeit oder Transparenz im Rahmen der bestehenden Ver- hältnisse bisher nicht gelöst werden konnten – und wohl auch nicht zu lösen sind. Es bleibt zu hoffen, dass diese informative, argumentativ starke und theoretisch gut fundierte Studie auch über akademische Kreise hinaus eine entsprechende Wirkung entfalten kann. Timo Duile Universität Bonn, Deutschland