Book Review: Köster, U., Trong, P. L., & Grein, C. (Eds.). (2014). Handbuch Myanmar. Gesellschaft, Politik, Wirt- schaft, Kultur, Entwicklung. Angermünde: Horlemann Verlag. ISBN: 978-3-89502-361-3. 496 Seiten. ► Stange, G. (2015). Book review: Köster, U., Trong, P. L., & Grein, C. (Hrsg.). (2014). Handbuch Myanmar. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur, Entwicklung. ASEAS – Austrian Journal of South-East Asian Studies, 8(2), 225-228. Ute Köster, Phuong Le Trong und Christina Grein haben mit der Herausgabe des Handbuch Myanmar für die Burma-Initiative in Köln Erstaunliches geleistet. Sie und die fast 50 Autor_innen des Handbuchs tragen dazu bei, die große Lücke in Bezug auf kompakte, wissenschaftlich fundierte und vor allem umfassende Informationen zu einem Land zu schließen, das hinsichtlich seines rasanten po- litischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandels in den vergangenen fünf Jah- ren weltweit seinesgleichen sucht. Myanmar befindet sich nach einer fast 50-jährigen Militärdiktatur seit dem Jahre 2010 in einem von „oben“ gesteuerten demokratischen Transformations- prozess, der gleichzeitig die wirtschaftliche und politische Öffnung des größ- ten Landes Festlandsüdostasiens bedeutete. Neben dieser, wie es scheint, fun- damentalen Transformation des politischen Systems und seiner Akteur_innen steht das sprachlich, ethnisch und religiöse äußerst vielfältige Land vor der gro- ßen Herausforderung eines nationalen Versöhnungsprozesses zwischen der Re- gierung in der Hauptstadt Naypyidaw und den unterschiedlichen bewaffneten Gruppierungen der ethnischen Minderheiten des Landes, die seit Jahrzehnten für mehr Selbstbestimmung und/ oder die Unabhängigkeit von Myanmar kämp- fen. Das knapp 500 Seiten umfassende Handbuch gliedert sich in insgesamt sechs hinsichtlich ihres Umfangs unterschiedlich gewichtete Kapitel und einen umfassenden Anhang. Sympathisch erscheint zunächst, dass die Einleitung in Form eines „Fahrplans“ durch das Buch eine kompetente und gut lesbare „Ein- führung“ (S. 13) zu den Kernthemen Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Entwicklung bietet. Zudem geben die Herausgeber_innen eine Leseanleitung an die Hand, ohne die man in einer derart komplexen Publikation leicht den Über- blick verlieren würde. So ziehen sich durch das gesamte Buch themenzentrierte Verweise auf Internetquellen und Querverweise auf weitere Beiträge im Hand- buch, die sich mit dem jeweiligen Thema beziehungsweise einem bestimmten Aspekt in einem anderen Zusammenhang beschäftigen. Das erste Kapitel „Das Land und seine Menschen“ thematisiert Fragen der Demographie, Migration und Urbanisierung sowie der linguistischen und eth- nischen Vielfalt des Landes. Vor dem Hintergrund dramatischer Naturkatastro- phen wie etwa die des Zyklons Nargis im Jahr 2008 nimmt das Kapitel gleicher- maßen die Auswirkungen von und den Umgang mit Naturrisiken in den Blick. Rezensionen  Book Reviews w w w .s ea s. at d o i 10 .1 47 64 /1 0. A SE A S- 20 15 .2 -1 1 226 Gunnar Stange  ASEAS 8(2) Darüber hinaus wird der außerordentliche Reichtum des Landes an natürlichen Res- sourcen unter Gerechtigkeits- und Umweltgesichtspunkten diskutiert. Das zweite Kapitel „Facetten der Kultur“ nimmt sich zunächst in den ersten drei Beiträgen der wichtigsten Kongregationen und Glaubensvorstellungen (Buddhismus, Christentum, Islam und Animismus) sowie der Beziehungen ihrer Anhänger_innen zueinander an. Von einer „Eintracht in Vielfalt“ (S. 88) unter den Religionen kann derzeit in Myanmar allerdings kaum gesprochen werden, wie unter anderem die ge- waltsamen Ausschreitungen buddhistischer Mönche gegen die staatsbürgerlich nicht anerkannte muslimische Minderheit der Rohingya im Rakhine-Staat verdeutlichen, die im fünften Kapitel „Soziale Brennpunkte“ eingehend diskutiert werden. Die sich anschließenden Kapitel widmen sich dem zeitgenössischen Theater, dem Wandel der musikalischen Traditionen der Bamar, der größten ethnischen Gruppe Myanmars, sowie der modernen und zeitgenössischen Literatur des Landes als Reflexion ge- sellschaftlicher und politischer Wandlungsprozesse. Eine wunderbare Auflockerung bieten dabei die das Buch durchziehenden zahlreichen bebilderten Textboxen, die sich in Miniessays unterschiedlichsten Alltagsphänomenen Myanmars widmen und den Leser_innen das Land auf diese Weise nahe bringen. So wird im zweiten Kapitel etwa von der „kleinen, aber lebendigen Punkszene“ (S. 116) Yangons oder aber von der allgegenwärtigen lebenspraktischen Bedeutung der Astrologie in Form von „zahnlo- sen Mittwochselefanten und Planetendiagrammen“ (S. 104) berichtet. Etwas traurig muss stimmen, dass ein Einblick in die moderne und zeitgenössische Malerei Myan- mars leider fehlt. Wie in anderen südostasiatischen Ländern auch ist es sicher eine der großen Herausforderungen der nahen Zukunft, eine Kunstgeschichte Myanmars zu schreiben. Wer es einmal in das letzte Stockwerk des Nationalmuseums geschafft oder einen Tee in der Pansodan-Galerie in Yangon getrunken hat, weiß, dass die mo- derne und zeitgenössische Kunst des Landes ein solches Unterfangen durchaus loh- nenswert erscheinen lassen. Das mit Abstand umfangreichste dritte Kapitel des Handbuchs „Geschichte, Staat und Politik“ konzentriert sich vorrangig auf Fragestellungen, die hinsichtlich der ak- tuellen politischen Entwicklungen in Myanmar dringend sind und diskutiert diese vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen des Landes. So erfahren die Leser_innen, dass eine zukünftige Stärkung der Rechte der ethnischen Minderheiten Myanmars auch maßgeblich davon abhängen wird, ob es gelingt, die offizielle Lesart der Geschichte des Landes als Geschichte der politisch und wirtschaftlich dominan- ten größten ethnischen Gruppe der Bamar umzudeuten und allen Volksgruppen ei- nen Platz in einem gemeinsamen Nationenbildungsnarrativ einzuräumen. Es geht also in Myanmar derzeit nicht nur um die Frage, ob der einmal eingeschlagene Weg der Demokratisierung weiter beschritten wird, sondern auch darum, den Nationen- bildungsprozess Myanmars als noch längst nicht abgeschlossen zu begreifen, und ihn im Sinne einer nationalen Integration weiter zu gestalten. Die Beiträge beschäftigen sich mit dringenden Themen wie der Reform des Wahlsystems und der Verfassung – unter anderem in Bezug auf die Frage einer angemessenen politischen Repräsenta- tion der ethnischen Minderheiten des Landes – sowie der Rolle der (lange Zeit staat- lich gelenkten) Medien für den Demokratisierungsprozess. Darüber hinaus beleuch- tet das Kapitel in mehreren Beiträgen die geopolitische Rolle und die Außenpolitik Myanmars sowohl in Asien an der „Seite der Riesen“ Indien und China als auch die 227Book Review neuen politischen Beziehungen zu den USA und der EU vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Sanktionen gegen das Land, die im Jahre 2012 seitens der EU auf- gehoben wurden. In diesem Zusammenhang widmet sich ein Beitrag dezidiert den deutsch-myanmarischen Beziehungen der vergangenen sechzig Jahre. Besondere Be- achtung wird darüber hinaus den zwei derzeit wohl bedeutendsten politischen Prot- agonisten geschenkt: dem vom „Bürosoldaten zum Staatsmann“ (S. 217) gewandelten Präsidenten Thein Sein, der die Demokratisierung von oben verkörpert, sowie der Tochter des Staatsgründers Aung San, Friedensnobelpreisträgerin und Gesicht der Opposition Myanmars, Aung San Suu Kyi. Das vierte Kapitel bietet „Einblicke in die Wirtschaft“ des Landes. Schwerpunk- te bilden dabei einerseits die trotz des enormen Ressourcenreichtums des Landes bislang ausgebliebene Entwicklung verarbeitender Industrien und die damit verbun- dene Knappheit formeller, qualifizierter Beschäftigungsmöglichkeiten. Andererseits warnen die Autor_innen des Kapitels vor den möglichen negativen sozialpolitischen und ökonomischen Auswirkungen des aktuellen Einströmens internationaler Inves- titionen nach Myanmar und mahnt eine „verantwortungsbewusste Wirtschaftspoli- tik“ (S. 266) an. Verdeutlicht wird dies anhand des zunehmenden Landraubs in den durch die Regierung eingerichteten Sonderwirtschaftszonen (SEZ) durch nationale und internationale privatwirtschaftliche Akteur_innen sowie durch das myanma- rische Militär. Einen weiteren Fokus bildet die enorme wirtschaftliche Bedeutung des illegalen Anbaus von Opium im Goldenen Dreieck zwischen Myanmar, Thailand und Laos und dessen vehementer, jedoch bislang wenig erfolgreicher Bekämpfung durch die Regierung Myanmars. Abschließend stellt das Kapitel die Frage nach den Herausforderungen und Chancen für den Tourismussektor in einem Land, das tou- ristisch auch aufgrund der jahrzehntelangen Sanktionspolitik im Vergleich zu seinen regionalen Nachbarn kaum erschlossen ist, allerdings ein erhebliches touristisches Potential besitzt. Auch hier wird vor der Gefahr gewarnt, dass die Chance des Auf- baus einer sozial gerechten und nachhaltigen touristischen Infrastruktur zugunsten kurzfristiger Gewinninteressen verspielt werden könnte. Das fünfte Kapitel „Soziale Brennpunkte“ thematisiert die komplexen sozialen Problemlagen eines Landes, dessen öffentliche Ausgaben für Bildung die niedrigsten und für das Militär die höchsten im globalen Vergleich sind (S. 313). Dringender so- zialpolitischer Handlungsbedarf ergibt sich in Myanmar, so die Beiträge des Kapitels, aufgrund chronischer Unterernährung, Einkommensarmut, hoher Kindersterblich- keit sowie massiver sozialen Ungleichheit und der damit einhergehenden Ausgren- zung großer Bevölkerungsteile, allen voran der ethnischen Minderheiten des Landes. Die Beiträge des Kapitels fokussieren daher schwerpunktmäßig den Zustand des Bil- dungssystems, die Situation von Kindern, die Menschenrechtslage sowie die Themen Flucht, Vertreibung und Arbeitsmigration Das sechste Kapitel „Möglichkeiten und Entwicklung“ zeigt auf Grundlage des vo- rangegangenen Kapitels einleitend die vielfältigen Herausforderungen und bürokra- tischen Hürden auf, vor denen Akteur_innen der internationalen Entwicklungszu- sammenarbeit stehen, die es zum Ziel haben den Transformationsprozess Myanmars aktiv mitzugestalten. Die Beiträge beschäftigen sich mit Fragen der Armutsbekämp- fung und den Chancen, die sich für diese mit der internationalen Öffnung Myan- mars ergeben. Darüber hinaus findet die Zivilgesellschaft Myanmars und ihre Rolle 228 Gunnar Stange  ASEAS 8(2) im Kampf gegen Armut und soziale Ungleichheit Vorstellung. Die letzten drei Bei- träge dürften vor allem für „Entwicklungspraktiker_innen“ interessant sein. Sie be- schäftigen sich dezidiert mit der Entwicklungszusammenarbeit zwischen Myanmar und der Bundesrepublik Deutschland und zeigen anhand zweier Praxisbeispiele von deutschen Entwicklungsorganisationen in Myanmar auf, wie sich partnerschaftliche Zusammenarbeit konkret gestaltet. Der abschließende Beitrag reflektiert zusammen- fassend die wesentlichen Entwicklungen und aktuellen Herausforderungen in My- anmars Transformationsprozess. Der mit viel Detailliebe und Bedacht erarbeitete Anhang bietet den Leser_innen eine Zeittafel der wichtigsten historischen Ereignisse seit der Gründung des ersten birmanischen Großreichs Mitte des 11. Jahrhunderts. Eine große Orientierungshilfe für die Leser_innen stellen zudem die Kurzbiographien zentraler historischer und zeitgenössischer Vertreter_innen der Eliten Myanmars dar, da es sich im Vergleich zu anderen südostasiatischen Ländern bei Myanmar um ein Land handelt, über dessen Akteur_innen vergleichsweise wenig bekannt ist. Darüber hinaus bietet der Anhang Empfehlungen zu Internetseiten und weiterführender Literatur. Abgerundet wird der Anhang durch einen kurzen, jedoch für erste Alltagskommunikation durchaus hilfreichen Myanma-Sprachführer. Auch wenn die Herausgeber_innen angesichts des komplexen Unterfangens, ein Überblickswerk zu Myanmar vorzulegen, explizit keinen Anspruch auf Vollständig- keit erheben, den zu stellen ohnehin vermessen wäre, ist es ihnen gemeinsam mit den Autor_innen gelungen, ein bislang einzigartiges Informations- und Analysean- gebot zu Myanmar in deutscher Sprache zu schaffen. Aus diesem Grund soll diese Re- zension ungewöhnlicherweise mit zwei Forderungen schließen. Zum einen sollte das Handbuch Myanmar schnellstmöglich ins Englische übersetzt werden, um es einem weiteren internationalen Leser_innenkreis zugänglich zu machen. Zum anderen wird es aus den genannten Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit zum favorisier- ten Vademekum für all die Aktivist_innen, Politiker_innen, Mitarbeiter_innen der Entwicklungszusammenarbeit, Geschäftsleute und nicht zuletzt Reisenden werden. Leider ist es mit seinen 500 Seiten kein Leichtgewicht und wird so manchen Koffer oder Rucksack um einiges schwerer wiegen lassen. Eine ebook-Ausgabe könnte hier sicherlich Abhilfe schaffen. Gunnar Stange Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland