Iberica 13 Ibérica 23 (2012): 157-172 ISSN 1139-7241 Zusammenfassung Der aufgabenoriente Unterricht Deutsch für den Tourismus stellt eine realitätsnähere Variante des kommunikativen Deutschunterrichts dar, die es ermöglicht, sinnvolle Inhalte mit der effizienten Bewältigung konkreter Interaktionssituationen des Berufslebens zu kombinieren. Dabei werden die formellen Aspekte der Sprache weder aus dem Unterricht ausgeklammert noch als reine Form-Funktionsbeziehungen eingeführt. Grammatik wird vielmehr als eine metasprachliche Aufgabe verstanden, die es kooperativ und interaktiv zu entschlüsseln und zu lösen gilt. Schlüsselwörter: Didaktik Deutsch für den Tourismus,   Aufgabenorientierter Deutschunterricht für den Tourismus. Abstract Task-based language learning and focus on form as a teaching concept for German for Tourism Task-based German for Tourism is the most realistic alternative among communicative language methods. It makes possible to combine relevant contents for professional purposes with real communicative tasks. Cognitive- interactionist approaches in second language acquisition research assume that communicative, meaning-oriented language learning needs to be complemented with more formal instruction. As a result of a task-based learning with focus on form, Grammar becomes a metalinguistic task that has to be undertaken cooperatively and interactively. Aufgabenorientierung mit proaktiver Formfokussierung als didaktisches Konzept für den Deutschunterricht im Tourismus Gloria Bosch Roig Universitat de les Illes Balears (Spanien) gloria.bosch@uib.es 157 Ibérica 23 (2012): 157-172 GLoRIA BoSCh RoIG Keywords: task-based language learning, German for Tourism, focus on form. Einleitung Im Gegensatz zum rein sprachorientierten stellt der berufsorientierte Deutschunterricht und in unserem Fall der Unterricht Deutsch als Fremdsprache für den Tourismus (im Folgenden DafT) an der Universität der Balearen eine besondere Form der Interaktionssituation dar, aus der sich eine ganze Reihe von didaktischen Überlegungen und Konsequenzen ableiten. Deutsch ist nicht nur die zweitmeist gelernte Fremdsprache an den Schulen, sondern auch die erste Fremdsprache im wichtigsten Wirtschaftssektor der Insel Mallorca. Zurzeit macht der Tourismus aus Deutschland 41% des gesamten internationalen Tourismus auf der Insel aus. Deutschland ist schon seit 19991 der erste Entsendemarkt für den Tourismus nach Mallorca geworden, und das hat natürlich deutliche Implikationen für die Ausbildung der zukünftigen Fachkräfte auf der Insel. Deutsch fungiert hier nicht nur als eine berufsrelevante Sprache, sie ist darüber hinaus die erste Fremdsprache auf dem Arbeitsmarkt Mallorcas. Bedingt durch diese Tatsachen und dank der Erkenntnis der entscheidenden Merkmale, die den Deutschunterricht für den Tourismus auf Mallorca ausmachen, soll ein fremdsprachendidaktisches Konzept entwickelt werden, das die Stärken dieses Lernszenarios für den Lernprozess optimal nutzen kann. Wir werden in diesem Beitrag darauf verzichten, auf die wenigen Lehrwerke für den spezifischen Deutschunterricht im Tourismus einzugehen, die es zur Zeit auf dem Markt gibt. Deren überwiegende Zahl berücksichtigt meines Erachtens kaum zwei wichtige Merkmale, die den Unterricht „Deutsch für den Tourismus“ ausmachen: die Sprachbedarfs- und die Realitätsorientierung. Inhaltsorientierung Wir verstehen den berufsorientierten Deutschunterricht im Tourismus primär als einen inhaltsorientierten Unterricht mit reaktiver und proaktiver 158 Formfokussierung. Im prinzip stellen wir uns unter Inhaltsorientierung eine Unterrichtsform vor, in der die Themen bzw. Inhalte im Vordergrund stehen. oft wird davon ausgegangen, dass die Lerner beim inhaltsorientierten Unterricht implizit und ohne explizite Erklärungen eine Fremdsprache erwerben.2 Zahlreiche Studien haben jedoch nachgewiesen, dass die gezielte Beschäftigung mit sprachlichen Formen den Spracherwerb fördert (Spada, 1997: 74). Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang sind die durchgeführten Forschungsarbeiten im Rahmen der Immersionsprogramme für englischsprachige Schüler in Kanada (Fortune und Tedick, 2008). Im Fach „Deutsch für den Tourismus“ (DaFT) wird gezielt und geplant die Sprachform fokussiert, denn die Unterrichtsfrequenz und Unterrichtsdauer sind sehr gering. Die Unterschiede zwischen den L1 der Studenten (meistens Mallorquinisch und Spanisch) und der L3, in diesem Fall der deutschen Sprache, sind zu groβ, um von den Studenten ohne bewusstes Lernen wahrgenommen werden zu können.3 Die kognitiv-interaktionistisch ausgerichtete Fremdsprachenforschung geht davon aus, dass im kommunikativen, bedeutungsorientierten Unterricht bestimmte formale Strukturen unvollständig erworben werden, wenn ihnen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wir gehen hier von der hypothese aus, dass bewusstes Lernen den L2- Erwerb fördert.4 Aus diesem Grund ergibt sich für den DaFT-Unterricht die didaktische Möglichkeit, dass die Sprachform bzw. die Grammatik immer im Rahmen eines passenden und sinnvollen thematischen Kontexts vermittelt wird. So können z. B. die Lokalpräpositionen anhand der Sehenswürdigkeiten des jeweiligen Standortes oder die Modalverben im Zusammenhang mit der typischen Lokalgastronomie konkret referenziert werden. Wir wollen hier besonders auf die Unterscheidung zwischen „Grammatik einführen“ und „Grammatik thematisieren“ aufmerksam machen. Die Grammatik wird im DaFT-Unterricht nicht a priori als Thema im passenden kommunikativen Kontext eingeführt, sondern sie ist von Anfang an präsent im Unterricht und kann jederzeit sowohl vom Lehrer als auch von den Lernern thematisiert werden.5 Die Grammatik ergibt sich aus der Interaktionssituation und dem tatsächlichen Kommunikations- und Verstehensbedarf der Lerner. Die Grammatik ist demnach inhaltsabhängig und interaktionsorientiert. AUFGABEnoRIEnTIERUnG MIT pRoAKTIVER FoRMFoKUSSIERUnG Ibérica 23 (2012): 157-172 159 Inhaltsorientierung setzt hier voraus, dass sich sowohl Lehrer als auch Lerner vorher aktiv mit den Inhalten auseinandersetzen. Kleine Recherchen seitens der Studenten zu einem bestimmten Thema bilden einen zentralen Bestandteil des aufgabenorientierten Deutschunterrichts für den Tourismus, da die Vorbereitung der Inhalte durch die Studenten eine besonders relevante nebenfunktion im Unterricht darstellt. Sie bietet verstärkt die Möglichkeit, handlungsorientiert im Sinne eines kommunikativen bzw. aufgabenorientierten Unterrichts zu arbeiten. Die Erarbeitung der Inhalte seitens der Studenten ist daher eine wichtige Aufgabe im DaFT-Unterricht. Auf diesen konkreten Aspekt des Lernens werden wir später näher eingehen. Zusammenfassend können wir hier die Inhaltsorientierung sowohl als ein konzeptuelles als auch ein methodologisches prinzip verstehen, denn es geht darum, einen sprachlich sinnvollen Kontext zu schaffen, an dessen Gestaltung sich nicht nur die Lehrer, sondern auch die Studenten aktiv beteiligen und der genügend impliziten und expliziten Input liefert. nicht zuletzt ist das implizite Lernen neben dem expliziten Lernen ein wichtiges prinzip des Spracherwerbs. Diese Form des Lernens setzt eine inhalts- und inputbasierte Lernumgebung voraus, die ein qualitativ (im Sinne von verständlich) und ein quantitativ (im Sinne von frequent) adäquates Sprachangebot bereitstellt. Je häufiger und intensiver die Lernenden an natürlichen, bedeutungsbezogenen Sprachsitua tio nen beteiligt sind, desto schneller und effizienter werden sie die Zielsprache erwerben. Im DaFT-Unterricht wird inhaltlich-sinnvolles mit explizit-bewusstem Lernen stark kombiniert. Handlungs- und Aufgabenorientierung Das hauptziel des berufsbezogenen Deutschunterrichts für den Tourismus ist die Entwicklung der sprachlichen handlungskompetenz der Studenten. Die mündliche und schriftliche Kommunikation steht demnach im Mittelpunkt des Unterrichts. Unsere Studenten müssen am Ende des Tourismusstudiums in der Lage sein, in den verschiedenen beruflichen Kontaktsituationen mit deutschsprachigen Kunden und Arbeitgebern angemessen zu reagieren. Die Förderung prozeduralen Wissens als das Wissen, wie man eine bestimmte Kommunikationssituation in der Tourismusbranche bewältigt, erfordert eine differenziertere Beschreibung vereinzelter Kompetenzen und Fertigkeiten. GLoRIA BoSCh RoIG Ibérica 23 (2012): 157-172160 Besonders wichtig für unseren Deutschunterricht für den Tourismus sind die pragmatischen und soziolinguistischen Kompetenzen und die interkulturellen Fähigkeiten. Diese Fertigkeiten sind im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen6 näher definiert: (a) pragmatische Kompetenz: hier wird zwischen Diskurskompetenz und funktionaler Kompetenz unterschieden. Die erste bezieht sich auf die Fähigkeit, Teile eines mündlichen oder schriftlichen Textes aufzubauen, wie z.B. ein Telefongespräch durchzuführen oder eine E-Mail zu schreiben. Unter funktionaler Kompetenz ist die Fähigkeit zu verstehen, in einer bestimmten Situation die eigene Absicht auszudrücken und textsorten- und situationsadäquat zu kommunizieren. Dafür sind im Deutschunter richt für den Tourismus besonders feste Wendungen und häufig auftretende Sprachmittel vonnöten. (b) Soziolinguistische Kompetenz: In Kontaktsituationen mit deutschsprachigen Kunden ist es besonders wichtig, soziale Beziehungen und soziale Distanz sprachlich zu markieren. höflichkeitskonventionen, Anrede- und Begrüβungsformeln, Registerunterschie de usw. bedürfen im Deutschunterricht in Spanien eines intensiveren Trainings, da im spanischen Kontext soziale Distanz sprachlich weniger markiert ist und es häufig zu negativen pragmatischen Transfers7 kommen kann. (c) Interkulturelle Fähigkeiten: Unter diesem Aspekt wird die Beziehung zwischen der eigenen und der Zielkultur betont und die Fähigkeit gefördert, Strategien für den Kontakt mit Angehörigen der Zielkultur zu identifizieren und anzuwenden sowie mit Missverständnissen und Konfliktsituationen umzugehen und Stereotype zu überwinden. Beobachtung, Analyse und Selbstreflexion sind hier unerlässlich. Wenn wir also in den DaFT-Unterricht eine pragmatische, eine soziolinguistische und eine interkulturelle perspektive integrieren wollen, müssen wir zunächst den passenden konzeptuellen und methodologischen Rahmen finden und neu definieren. Ein rein kommunikativer Unterricht mit Funktionsgrammatik kommt den Sprachbedürfnissen der DaFT-Studenten sicherlich nicht entgegen. Deshalb stellt die Aufgabenorientierung eine Sonderform des traditionellen kommunikativen Unterrichts dar, die eine Verbindung zur realen Arbeitswelt anstöβt. AUFGABEnoRIEnTIERUnG MIT pRoAKTIVER FoRMFoKUSSIERUnG Ibérica 23 (2012): 157-172 161 Die grundlegende Annahme, dass der Lernerfolg umso gröβer sein sollte, je mehr die unterrichtliche und die auβerunterrichtliche Verwendung der gelernten Fremdsprache übereinstimmen, ist im DaFT-Bereich besonders nachvollziehbar und durch einzelne Erfahrungen gestützt. Beim aufgabenorientierten Unterricht herrscht allgemeine Einigkeit darüber, dass die Aufmerksamkeit der Lerner nicht auf der sprachlichen Form, sondern auf der durch die Aufgabe geförderte problemlösung liegen sollte. „Die Fremdsprache ist primär Kommunikationsmittel und erst sekundär Lerngegenstand“ (Solmecke, 2006: 237). In diesem Zusammenhang kommt die berechtigte Frage auf, was den Ansatz des aufgabenorientierten Lernens vom kommunikativen Unterricht eigentlich unterscheidet. Solmecke versteht das aufgabenorientierte Lernen als eine „radikalere Variante des mit dem Aufkommen des kommunikativen Ansatzes beginnenden Versuchs, den Fremdsprachenunterricht durch die Annährung von Weg und Ziel effektiver zu gestalten“ (Solmecke, 2006: 237). Es geht also darum, den Fremdsprachenunterricht so zu gestalten, dass die Aufgaben, die Lerner im Klassenzimmer zu lösen haben, sich an den Aufgaben orientieren, die sie auβerhalb des Unterrichts bewältigen müssen. Wir möchten an dieser Stelle auf eine konzeptuelle Differenzierung von Aufgaben eingehen. Es besteht Einigkeit darüber, dass kommunikative Aufgaben das produkt und das hauptziel des aufgabenorientierten Unterrichts sind, es ist aber auch nicht von der hand zu weisen, dass produktaufgaben als Resultat prozessorientierter Aufgaben anzusehen sind. Der Begriff „Aufgabe“ wird hier erweitert. Wir verstehen Aufgaben im weitesten Sinne als Anforderungen, die immer dann auftreten, wenn es im Unterricht ein Sprach- oder Kommunikationsproblem zu lösen gibt. Die Bewältigung kommunikativer Aufgaben stellt trotzdem das intendierte hauptprodukt des aufgabenorientierten Unterrichts dar. Für den DaFT-Unterricht bietet dieser Ansatz einen klaren Vorteil gegenüber dem traditionellen kommunikativen Unterricht, denn unsere Studenten werden im Berufsleben ganz konkrete kommunikative Aufgaben zu bewältigen haben. Wir können also unsere Lernziele genauer formulieren, indem wir diese Aufgaben identifizieren und beschreiben. Das ist die erste Voraussetzung für einen effektiven DaFT-Unterricht. Anhand von Bedarfsanalysen in den verschiedenen Bereichen der Tourismusindustrie sind wir in der Lage, die kommunikativen Aufgaben genauer zu beschreiben, mit denen unsere Studenten in ihrem Berufsleben konfrontiert werden. Der DaFT-Unterricht ist somit bedarfsorientiert. GLoRIA BoSCh RoIG Ibérica 23 (2012): 157-172162 Aufgabe vs. Übung Bevor wir zu einer Aufgabentypologie für den DaFT-Unterricht kommen, ist es notwendig, dass wir die Begriffe „Aufgabe“ und „Übung“ voneinander abgrenzen. Es gibt zwischen „Aufgabe“ und „Übung“ zahlreiche Überschneidungen und flieβende Übergänge, aber wenn wir die didaktischen Ziele fokussieren, werden uns die Unterschiede deutlicher. Unter „Aufgabe“ versteht man einen Arbeitsauftrag, der von den Lernenden zu lösen ist. Wichtig dabei ist das produkt, d.h. der Gebrauch der Fremdsprache und ihre Authentizität hinsichtlich der Kommunikationssituation. Ellis (Ellis, 2003: 16) definiert „task“ wie folgt: „A task is intended to result in language use that bears a resemblance, direct or indirect, to the way language is used in the real world“. Das hauptziel einer Aufgabe im Fremdsprachenunterricht ist demnach, die Anwendung der Sprache in einer möglichst realitätsnahen Kommunikations - situation zu generieren. Dabei werden mehrere Kompetenzen und Fähigkeiten, wie die pragmatischen, soziolinguistischen und interkulturellen, integriert. Im Gegensatz zu den Aufgaben sind Übungen auf das Wiederholen und Trainieren einzelner Sprachphänomene und Kompetenzen ausgerichtet. Lexikalische oder grammatikalische Einheiten können z.B. somit den Lernern expliziter gemacht werden. Übungen sind auch ein wichtiger Teil des aufgabenorientierten DaFT-Unterrichts mit Formfokussierung. Wenn wir Aufgaben sowohl als produkt- wie auch als prozessorientiert verstehen, müssen wir im DaFT-Unterricht folgende Typologie unterscheiden: Kommunikative Aufgaben Im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen versteht man unter den „Kommunikativen Aufgaben“ jene Aufgaben, die realitätsbezogen sind. Das sind Aufgaben, die Lerner in ihrem späteren Berufsleben bewältigen müssen. Die kommunikativen Aufgaben sind die „produkte“ des aufgabenorientierten Unterrichts. Das hauptziel des DaFT-Unterrichts ist, dass Lerner am Ende des Studiums in der Lage sind, solche Aufgaben, wie die folgenden, effektiv und autonom zu lösen: Die Reservierung eines Zimmers im Hotel, Touristen Auskunft über Sehenswürdigkeiten AUFGABEnoRIEnTIERUnG MIT pRoAKTIVER FoRMFoKUSSIERUnG Ibérica 23 (2012): 157-172 163 und interessante Orte geben, eine Reise buchen oder stornieren, auf Beschwerden angemessen reagieren usw. Metakommunikative Aufgaben Metakommunikative Aufgaben sind prozessaufgaben, die zur Realisierung einer kommunikativen Aufgabe nötig sind. hier geht es um die Ausführung der kommunikativen Aufgabe und um die dazu erforderliche Anwendung der Sprache. Metakommunikative Aufgaben sind Aushandlungsprozesse, die Lerner untereinander durchführen, um eine bestimmte kommunikative Aufgabe zu lösen. In diesem Sinne sind sie auf die Kooperation der Kommunikationsbeteiligten angewiesen. Metasprachliche Aufgaben Metasprachliche Aufgaben sind wie die kommunikativen Aufgaben ebenfalls prozessorientierte Aufgaben. Dabei geht es hauptsächlich um die Sprachform; sie steht hier im Vordergrund der Aufgabe. Immer, wenn Bedarf besteht, werden jene Aspekte der Sprache thematisiert, die für die Bewältigung einer bestimmten kommunikativen Aufgabe nötig sind. Metasprachliche Aufgaben sind stark reflexive und interaktive Momente des Lernens, die im Laufe des Lernprozesses jederzeit stattfinden können. Metasprachliche Aufgaben tragen zum bewussten, expliziten Lernen bei. Metakognitive Aufgaben Die metakognitiven Aufgaben sollen den Lernern helfen, ihren eigenen Lernprozess zu beobachten und zu steuern. Sie fördern die Lernerautonomie der Studenten und ihre Fähigkeit, sich selbst als Lerner besser zu verstehen. Sowohl die metakommunikativen, die metasprachlichen als auch die metakognitiven Aufgaben können als didaktische Aufgaben verstanden werden. Sie stehen nicht im direkten Zusammenhang mit den realitätsnahen Aufgaben, welche das Endziel des DafT-Unterrichts darstellen, dennoch sind sie sehr relevante Aufgaben im Lernprozess. GLoRIA BoSCh RoIG Ibérica 23 (2012): 157-172164 Formfokussierung Der Begriff „Formfokussierung“ (focus on form) ist seit Beginn der 90er Jahre in der kognitiv-orientierten angloamerikanischen Fremdsprachenerwerbstheorie bekannt8. Darunter versteht man einen fremdsprachendidaktischen Ansatz, der formale Aspekte der Sprache mit kommunikativen Zielsetzungen verbindet. Diese Vorgehensweise stellt einen Kompromiss zwischen jenen Zugängen dar, die explizite Grammatikvermittlung aus dem Unterricht ausklammern, und traditionelleren Ansätzen, die formale Aspekte der Sprache auβerhalb eines kommunikativen Zusammenhangs betrachten. Die „Aufmerksamkeit“ ist hier ein zentrales kognitives Lernmoment und weist auf die von Schmidt in den 90er Jahren formulierte Noticing-Hypothese hin. Demnach findet Fremdsprachenlernen statt, wenn Lerner neue Elemente der Sprache erkennen und bemerken und sie bewusst im Gehirn registrieren. Diese Form von selektiver Aufmerksamkeit führt nach Schmidt (2001) zum effektiveren Lernen. Das Bemerken und Aufmerksamwerden auf eine neue linguistische Form kann intern oder extern intendiert sein, denn die Lerner können selbst beim Versuch, Sätze zu bilden, neues entdecken, und genauso kann der Lehrer anhand von Fragen die Aufmerksamkeit der Lerner auf die neue Form bzw. auf die Merkmale des neuen Lernmaterials steuern. Wichtig ist dabei, dass die Lerner sich der Diskrepanzen zwischen ihren eigenen nichtzielsprachenkonformen Äuβerungen und jenen kompetenterer Sprecher, die als Vergleichsbasis verfügbar sind, bewusst werden. hier stellt sich die Frage nach der Explizitkeit bzw. nach der Regelformulierung. Welcher Grad an metasprachlicher Kommunikation im Unterricht ist für die Vermittlung der neuen Form angemessen und notwendig? Im aufgabenorientierten DafT-Unterricht für spanischsprechende Studenten wird die Formfokussierung sowohl zufällig (reaktiv) als auch geplant (proaktiv) erfolgen. Erfahrungsgemäβ sind die Sprachsysteme Deutsch und Spanisch zu verschieden, um auf die letztere Variante der Formfokussierung verzichten zu können. Die deutsche Sprache weist ein starkes Kontrastverhältnis zur Muttersprache der Lerner auf. Spanischsprechende Deutschlerner haben in der Regel besonders viele Schwierigkeiten sowohl mit dem Satzbau als auch der Kasusmarkierung, der Semantisierung, dem Gebrauch von präpositionen oder der pronomen-Abfolge im Deutschen. AUFGABEnoRIEnTIERUnG MIT pRoAKTIVER FoRMFoKUSSIERUnG Ibérica 23 (2012): 157-172 165 Ideal wäre natürlich, dass die Aufmerksamkeit als spontane Reaktion der Lerner auf die im Unterricht auftauchenden probleme bei der produktion oder beim Verstehen der fremdsprachigen Äußerungen erfolgen würde. Das ist aber selten der Fall, denn Lerner müssen erst durch geplante Formfokussierung darauf trainiert werden. Sie bemerken eine neue Form, sind aber am Anfang des Lernprozesses nicht in der Lage, diese selbständig zu analysieren. Der Weg vom Noticing zur Awareness läuft hier über eine geplante Formfokussierung, die am Anfang des Lernprozesses kognitiv aufdringlicher sein mag, in den späteren Lernphasen aber zu einer stets reaktiveren Formfokussierung führen soll. Formfokussierungs-Strategien im aufgabenorientierten DaFT-Unterricht In diesem Abschnitt werden wir die verschiedenen Formfokussierungs- Strategien beschreiben, die im aufgabenorientierten DaFT-Unterricht angewandt werden. Wir haben sie nach dem intendierten Ziel der jeweiligen Aufgabe klassifiziert. Kommunikative Aufgaben Kommunikative Aufgaben bilden den Kern des aufgabenorientierten DaFT- Unterrichts. Sie sind interaktiv und erfordern den Einsatz von impuls- und reaktionsorientierten Formfokussierungs-Strategien. Inputorientierte Strategien Authentische schrifftliche und mündliche Kommunikationsbeispiele werden in ausreichendem Maβe mit der zu fokussierenden Form präsentiert. Wichtig ist dabei, möglichst auf originaltexte zurückzugreifen. originaltexte können aber auch in weiteren phasen des Unterrichts bearbeitet und angepasst werden, so dass die neuen Formen häufiger vorkommen. hör- oder Lesematerial, wie ein Dialog beim Check-in im hotel, könnte diesem Ziel dienen. Durch Kontextualisierungs- und Verständnisfragen sowie durch Fragen, die auf die neue Sprach- oder Satzform abzielen, kann die Aufmerksamkeit der Lerner gesteuert werden. Wie fragt der Rezeptionist nach dem Ausweis des Gastes? Welche Anredeform benutzt der Hotelangestellte? GLoRIA BoSCh RoIG Ibérica 23 (2012): 157-172166 Metakommunikative Aufgaben Die metakommunikativen Aufgaben dienen der Ausführung der kommunikativen Aufgaben. Prozess-Aushandlungsstrategien hier planen die Lerner miteinander die Ausführung der kommunikativen Aufgabe. Die Fokussierungstechnik besteht darin, klärende Fragen zu stellen. In den ersten phasen des Lernprozesses wird meistens der Lehrer diese Fragen stellen; in späteren Stadien sollten die Lerner dazu in der Lage sein, selbst Fragen zu stellen und zu beantworten. Für die planung der Aufgabe sind folgende Fragen hilfreich: wer, was, wo, wann? Wer spielt die Rolle des Hotelgastes, wer ist der/die Rezeptionist/in? Wann, wie lange soll der Aufenthalt dauern? Sind für die Zeit Hotelzimmer frei? Form-Bedeutung-Aushandlungsstrategien Bei der Ausführung der kommunikativen Aufgabe entscheiden sich die Lerner für bestimmte Sprachformen und Redemittel. Diese Technik ermöglicht den Vergleich zwischen normkonformen und von der norm divergierenden Formen. Sie kann aber auch das Form-Funktions-Inventar der Lerner erweitern, denn vielleicht kennen sie bereits die Formel „kann ich Ihnen helfen?“, von der ausgehend der Lehrer einen weiteren Impuls mit der Frage geben kann: Wie kann man sonst noch Hilfsbereitschaft ausdrücken? Die didaktische Absicht, die dahinter steckt, ist, dass Lerner sich in späteren phasen des Lernprozesses diese Frage selbst stellen. Formfokussierungs- Techniken führen zu mehr Lernbewusstheit und Lernautonomie. Metasprachliche Aufgaben Metasprachliche Aufgaben sind explizitere Lernmomente im Unterricht. Die Formfokussierungs-Techniken sind hier gezielter und präziser, sie thematisieren und lenken die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes grammatikalisches phänomen. Kooperatives Bemerken und Bewusstwerden In den Anfangsphasen des Lernprozesses ist es besonders wichtig, die Lerner darin zu üben, neues Lernmaterial zu bemerken und in den Fokus AUFGABEnoRIEnTIERUnG MIT pRoAKTIVER FoRMFoKUSSIERUnG Ibérica 23 (2012): 157-172 167 ihrer Aufmerksamkeit zu stellen. Im Unterricht kann man dieses Ziel anhand einer kooperativen Aufgabe erreichen. Das Bemerken und Bewusstwerden wird zuerst in der Gruppe geübt. Schriftliche oder mündliche Texte können dazu dienen, das neue Material zu präsentieren und in einen kommunikativen Rahmen einzubetten. Der Lehrer bringt die Lerner mit hilfe von Übungen und direkten und indirekten Fragen dazu, die gewünschten neuen Formen zu erkennen, sie laut auszusprechen, ihre Bedeutung zu raten, Analogien zu anderen Sprachen zu bilden, morphologische Merkmale, Satzfunktionen zu erkennen usw. Kooperatives Erstellen und Überprüfen von Hypothesen Diese Strategie besteht darin, die Lernergruppe zur Erstellung und zur Überprüfung von hypothesen zu motivieren. Sie muss dabei selbst zur Lösung des problems kommen. Warum ist die Adjektivendung hier „e“ und nicht „en“? Was passiert, wenn ich denselben Satz im Plural sage? Was hat sich da verändert? Könnt ihr jetzt eine Regel formulieren? Metakognitive Aufgaben Diese Aufgaben helfen den Lernern, den eigenen Lernprozess zu beobachten und zu kontrollieren. Selbstkorrektion Eine wichtige Fokussierungstechnik ist die selbstinitiierte Fehlerkorrektur. Dafür ist es allerdings erforderlich, diese Strategie im Unterricht häufig geübt zu haben. In den Anfangsphasen ist es empfehlenswert, dass die gesamte Lernergruppe an der Fehlerkorrektur beteiligt ist. Anhand von Satzpaaren und anderen Kontrastübungen können die Lerner auf die korrekte Form aufmerksam gemacht werden. Fragen wie „Kann man das so sagen?“ können dem Lehrer helfen, die Aufmerksamkeit der Lerner auf den Fehler lenken. Diese Technik baut die Monitorfunktion der Lerner aus. In späteren phasen werden die Lerner idealerweise diese Monitorfunktion bei sich selbst und bei anderen übernehmen. Reformulierungen Reformulierungen haben eine wichtige Funktion. Sie helfen den Lernern, Form-Funktionsbeziehungen im Langzeitgedächtnis festzulegen. Am GLoRIA BoSCh RoIG Ibérica 23 (2012): 157-172168 Anfang können Reformulierungen in der Gruppe vorkommen, in späteren phasen sollten die Lerner aber in der Lage sein, diese Strategie bei sich selbst anzuwenden. Reformulierungen können reguliert werden. Das bedeutet, dass wir vielleicht nur einen bestimmten Aspekt verbessert haben wollen oder aber einen ganzen Satz. Das hängt vom niveau und von der kommunikativen Aufgabe ab. Wir können einen Satz so oft reformulieren lassen, bis er akzeptabel oder richtig ist. Die Entscheidung hierüber trifft der Lehrer, wobei die Erfahrung und Lehrer-Lerner-Beziehung eine wichtige Rolle spielt. In der folgenden Tabelle werden die Formfokussierungsstrategien zusammengefasst. Zusammenfassung prokukt- und prozessiorientierte Aufagen stellen den Kern des Unterrichts Deutsch für den Tourismus dar. Die progressive Entwicklung von Formfokussierungsstrategien bei den Lernern soll dazu beitragen, dass sie schrittweise in der Lage sind, diese Aufgaben selbständig zu meistern. Es lassen sich für den DaFT-Unterricht folgende Merkmale erkennen: - Der DaFT-Unterricht ist sprachbedarfs- und realitätsorientiert. - Der DaFT-Unterricht zielt auf die Kommunikationsfähigkeit. produktaufgaben sind das Resultat von prozessaufgaben. - Die Aufgaben werden durch Interaktion und Kooperation in der Gruppe gelöst. AUFGABEnoRIEnTIERUnG MIT pRoAKTIVER FoRMFoKUSSIERUnG Ibérica 23 (2012): 157-172 169 Interaktive Formfokussierungsstrategien Kommunikative Aufgaben Produktorientiert Inputorientierte Strategien Prozessorientiert Metakommunikative Aufgaben Prozess-Aushandlungsstrategien Form-Bedeutung-Aushandlungsstrategien Metasprachliche Aufgaben Kooperatives Bemerken und Bewusstwerden Kooperatives Bilden und Überprüfen von Hypothesen Metakognitive Aufgaben Selbstkorrektion Reformulierung Tabelle 1: Interaktive Formfokussierungsstrategien. Z - Die Formfokussierung wird proaktiv anhand von Strategien in der Gruppe trainiert. - Der DaFT-Unterricht fördert die Lernerautonomie durch bewusstes und reflexives Lernen. [Artikel eingegangen am 30. November 2010] [Überarbeiteter Artikel angenommen am 28. Mai 2011] Literaturverzeichnis GLoRIA BoSCh RoIG Ibérica 23 (2012): 157-172170 Conselleria de Turisme (2009). Libro blanco del Turismo de las Islas Baleares, S. 60-62. Mallorca: Govern de les Illes Balears. 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Tübingen: Narr. Dr. Gloria Bosch Roig ist verantwortlich für den Fachbereich Deutsch an der Universität der Balearen und lehrt im Masterstudiengang für Lehramtstudenten Methodologie und Didaktik der Deutschen Sprache. Sie ist Autorin didaktischer Materialien für Deutsch für den Tourismus im internationalen hueber-Verlag. Sie hat 2011 zwei Bücher für den Unterricht herausgegeben: Übungsgrammatik Deutsch für den Tourismus und Training Deutsch im Tourismus. FUβnoTEn 1 Vgl. Libro blanco del Turismo de las Islas Baleares (Conselleria de Turisme, 2009: 60-62) 2 Lernen und Erwerben werden von mir synonymisch verwendet. Über die Monitor-Theorie und den Zusammenhang zwischen Lernen und Erwerben vgl. Krashen, 1981 und 1985. 3 Zum Thema Markiertheit und L1 Transfer vgl. Eckmanns Markedness Differential Hypothesis (1977). 4 Siehe dazu die Noticing-Hypothese, Schmidt, 1995. Über den Zusammenhang zwischen noticing und awareness vgl. Leow, 1997 und 2001; Rosa und o’neill, 1999; Rosa und Leow, 2004. 5 Longs Konzept des Focus on Form fordert eine reactive und implizite Vorgehensweise. Vgl. Long, 1991 und 1996. 6 Vgl. Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen in profile Deutsch (2009). Lernzielbestimmungen, Kannbeschreibungen und kommunikative Mittel für die niveaustufen A1, A2, B1, B2, C1 und C2 des „Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen“. Berlin: Langenscheidt. 7 Zur Interkulturellen Pragmatik vgl. die kontrastive Untersuchung Spanisch-Deutsch von Siebold (2008). 8 Vgl. Long 1991, 1996 und 1998; und Swain, 1998. AUFGABEnoRIEnTIERUnG MIT pRoAKTIVER FoRMFoKUSSIERUnG Ibérica 23 (2012): 157-172 171 Spada, N. (1997). „Form-focused instruction and second language acquisition: A review of classroom and laboratory research“. Language Teaching 30: 73-87. Swain (1998). „Focus on form through conscious reflection“ in C. Doughty und J. 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